Filmbulletin Print Logo
Wild women 01

Wild Women – Gentle Beasts

«Uns verbindet etwas, das man nicht beschreiben kann.» Die Dompteuse unterhält sich mit ihren ­Tigern in einer eigenen Sprache. Neben dem freundlichen Ton und dem scharfen Wort sind es auch Geräusche wie etwa ein lautes Ausatmen und ein seltsam klingendes Schnattern. «The Queen of Tigers» sieht sich ganz im Einklang mit ihren Raubtieren. Die Frau und ihre Katzen bilden eine eigene kleine Welt in der etwas grösseren des Zirkus.

Text: Michael Pekler / 15. Juli 2015

«Uns verbindet etwas, das man nicht beschreiben kann.» Die Dompteuse unterhält sich mit ihren ­Tigern in einer eigenen Sprache. Neben dem freundlichen Ton und dem scharfen Wort sind es auch Geräusche wie etwa ein lautes Ausatmen und ein seltsam klingendes Schnattern. «The Queen of Tigers» sieht sich ganz im Einklang mit ihren Raubtieren. Die Frau und ihre Katzen bilden eine eigene kleine Welt in der etwas grösseren des Zirkus.

Diesem Motiv der Abschottung begegnet man in Wild Women – Gentle Beasts von Anka Schmid noch etliche Male und in unterschiedlicher Form. Die fünf Dompteusen, in einem Fall Mutter und Tochter, die Schmid in ihrem Porträtfilm versammelt, haben sich alle ihren eigenen Platz geschaffen, der klar von Grenzen gekennzeichnet ist. Ein jeweils enger, vertrauter Kreis sorgt für die nötige Unterstützung im Hintergrund, damit in der Manege der Lohn für die Arbeit mit den Tieren eingeholt werden kann. Die Abgrenzung wird jedoch auch in Form jener Schutzgitter sichtbar, die das Publikum von den Raubtieren trennen und durch die auch wiederholt die Kamera blickt. Der Alltag der Frauen, auf den Schmid ihre Aufmerksamkeit richtet, sieht erwartungsgemäss bei weitem weniger glamourös aus.

Wild women 02

Wild Women – Gentle Beasts ist in diesem Sinn ein Entdeckungsfilm, der das für die Öffentlichkeit eigent­lich Unsichtbare zeigen und den Blick buchstäblich hinter die Kulissen werfen möchte. Das ist ein Zugang, der vor allem auf Diskrepanz abzielt: auf der einen Seite der Glanz der Aufführung, mit dem der Film auch beginnt und endet, auf der anderen Seite die Mühen des Alltags zwischen Fütterung, Krankheit und privaten Problemen. Dass es darüber hinaus ausschliesslich Frauen sind, die sich in einer Männerdomäne und mit Zuckerbrot und Peitsche gegen Wildtiere behaupten, darauf spielt der Film bereits im Titel an. Natürlich sind in Wahrheit weder die Frauen wild noch die Biester sanft. Die älteste Protagonistin, eine russische Bärendompteuse, hat ihre Tochter mit Argusaugen zu ihrer Nachfolgerin herangezogen; die deutsche «Tiger-Lady» hat der DDR als Leistungssportlerin gedient; die französische Löwenbändigerin sucht die Anerkennung des Vaters; und die ägyptische Dompteuse, mit ihrem Zirkus gerade unterwegs in Katar, stellt sich bereitwillig als Fotomodell zur Verfügung. Wenig überraschend kämpft jede der Frauen mit ihrer eigenen Gegenwart, und doch will keine etwas anderes sein als das, was sie ist.

Ausgerechnet die mosaikartig zusammen­gestellten Alltagssituationen führen in der Folge zu keiner Vertiefung beziehungsweise zu keinem tiefe­ren Verständnis: Sprunghaft wechselt der Film die Schauplätze und greift – als ob der reinen Beobachtung nicht zu trauen wäre – wiederholt auf Interviewsituationen zurück, in denen die Frauen von sich berichten. Doch eben weil sie mit ähnlichen Sorgen und Ängsten belastet sind – erkrankte Tiere, verlore­ne Kindheit, Einsamkeit im Alter – vermisst man zunehmend eine klare Differenzierung: Ihre unmittelbare Lebenswelt, die diese Frauen kraft ihrer Möglichkeiten meistern, bleibt so flüchtig wie die Orte, an denen sie ihrer Tätigkeit nachgehen. Die Frage, war­um diese Frauen eigentlich die Gefahr suchen, auf die hinzuweisen sie nicht müde werden und die eine Art Leitmotiv des Films darstellt, bleibt offen. Aus Gründen der Tradition, der Faszination, der Liebe zu den Tieren? Einzig die Tigerdompteuse verweist auf die Verbindung von Erotik, Macht und Wildheit – und dass sie sich aus ebendiesem Grund ihre blonde Mähne schwarz färbt. Die Russin hingegen will mit Männern nach ein paar schlechten Erfahrungen nichts mehr zu tun haben. «Ich mag die Menschen eigentlich nicht», erklärt sie und träumt von einem Haus im Grünen, um das sich nur Tiere tummeln.

Wild women 03

Die Raubtierdressur als Teil der Zirkuskultur, als Relikt einer vergangenen Epoche und als aussterbende Attraktion einer untergehenden Ära, interessiert Wild Women – Gentle Beasts nur am Rand. Der Anblick eines Tanzbären mag befremdlicher wirken als eine Männchen machende Raubkatze auf einem Podest – am Ende sind für alle Dompteusen die ­Tiere auch Kapital und Lebensgrundlage. Es sei «weder grausam noch pervers, wenn eine Dame Löwen im Käfig hält», schrieb der Wiener Lyriker Albert Ehrenstein, als vor hundert Jahren die tschechische Opernsängerin Emmy Destinn in Die Löwenbraut zum ersten Mal auf der Leinwand inmitten von Löwen eine Arie zum Besten gab. Es deute aber «eine andere Sinnlichkeit an, als wenn sie einen Kanarienvogel besässe».

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

24. Sep. 2014

Faust

In Fausts Person, sagt Alexander Sokurow, sei alles angelegt, was Hitler, Lenin und den Tenno ausgemacht habe. Goethes Dichtung ist für ihn Ausgangspunkt und Schlussstein seiner Tetralogie.

Kino

08. Dez. 2010

Des hommes et des dieux

«Nie tun Menschen Böses so gründlich und glücklich wie aus religiösen Überzeugungen.» Des hommes et des dieux thematisiert die Ermordung von sieben Mönchen in der Nähe der marokkanischen Stadt Médéa. Bis heute ist diese Untat nicht geklärt, bei den Mördern soll es sich um Rebellen der radikalen «Groupe Islamiques Armés» handeln. Xavier Beauvois will jedoch nicht die Schuldfrage klären, sondern beleuchtet vielmehr eine zeitlos erscheinende Handlung.

Kino

22. Mai 2019

Aladdin

In der Neuverfilmung von Disneys Aladdin wird ein weiteres Mal der Dschinn zum Star der Show, während die Liebesgeschichte dem unbedingten Wille zur Macht zum Opfer fällt.