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Kubo and the Two Strings

Ein kleiner tapferer Samurai ist der Held im an die japanische Mythologie angelehnten Epos, das auch Erwachsene in eine phantastische Welt voller Geister und waghalsiger Abenteuer entführt.

Text: Oswald Iten / 26. Okt. 2016

«If you must blink, do it now», warnt eine eindringliche Kinderstimme aus dem Off. «If you fidget, if you look away, if you forget any part of what I tell you (…) then our hero will surely perish.» Und obwohl Kubo, dessen Leben von unserer Aufmerksamkeit abhängen soll, als Erzähler von sich in der dritten Person spricht, zieht uns sein Schicksal schon allein wegen der spektakulären Bilder von Mutter und Kind zwischen haushohen Wellen sofort in Bann. Gleichzeitig skizzieren diese ersten Zeilen jene Kernthemen, auf die sich Travis Knight im japanisch inspirierten Stop-Motion-Epos Kubo and the Two Strings konzen­triert: Genau hinsehen und durch unablässiges Erzählen gegen das Vergessen ankämpfen.

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In ständiger Angst vor seinem Grossvater, dem Mondkönig, der ihm einst ein Auge raubte, lebt Kubo in einer Felshöhle, wo er seine einst starke Mutter mit Erzählungen vor der Demenz zu bewahren versucht. Tagsüber versetzt er die Schaulustigen auf dem Marktplatz in Staunen, indem er mit seiner gitarrenartigen Shamisen gefaltetes Papier zum Leben erweckt. Diese virtuos animierten Origamifiguren, mit denen Kubo vom Kampf des Samurai Hanzo gegen den Mondkönig erzählt, nutzen die Filmemacher zur Visualisierung von Erinnerungen. In solch sinnlich überwältigenden Momenten entwickelt der Film eine Magie, die nie durch unnötige Erklärungen entzaubert wird.

Auch wenn Kubo seine Darbietung auf Anraten einer jovialen Seniorin mit einer Prise Humor garniert, halten die Filmemacher den aufrichtig ernsthaften Grundton der Erzählung konsequent durch. Zudem trauen sie dem Familienpublikum eine ungewöhnlich grosse Aufmerksamkeitsspanne zu. Die ständig mitschwingende Frage, was es denn angesichts des eindeutig dreisaitigen Musikinstruments mit den two strings des Filmtitels auf sich hat, wird beispielsweise erst ganz am Ende beantwortet.

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Präzise Wortwahl gehört denn auch zu den Stärken von Marc Haimes’ und Chris Butlers Drehbuch. So besteht die legendäre Rüstung, die Hanzo vor dem Mondkönig schützen soll, aus einem Schwert «unbreakable», einer Brustplatte «impenetrable» und einem Helm «invulnerable», wobei sich die Reihe der Adjektive mit negativer Vorsilbe bis zu «infinite» ins Unendliche steigert. Bei aller Bemühung um Zeitlosigkeit irritieren allerdings einige Nebenfiguren, die in dieser fiktiven japanischen Antike wie zeitgenössische Amerikaner negativ auffallen.

Ob der Samurai den Mondkönig besiegt, erfahren die Zuschauer freilich nicht, weil die Abendglocke den Erzähler vorher zur Heimkehr zwingt. Womöglich will Kubo Hanzos tragisches Ende jedoch gar nicht erzählen. Vielmehr interessiert er sich für den ­Menschen hinter dem Samurai, der sein Vater war. Im Grunde sehnt sich Kubo nämlich zutiefst nach Closure für seine traumatische Familiengeschichte. Ähnlich wie Harry Potter versucht er deshalb, jene Nacht zu rekonstruieren, in der er ein Auge verloren hat und sein Vater verschwunden ist. Dabei scheut der Filmemacher auch nicht vor Fragen zum Jenseits zurück.

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Nach dem Verlust der Mutter findet sich Kubo in Gesellschaft seines zum Leben erwachten Affenamuletts wieder. Doch der Junge, der sich so lange um seine Mutter gekümmert hat, akzeptiert die gebieterische, in seinen Augen überbesorgte Monkey nicht als Ersatzmutter. Nur widerwillig macht er sich mit ihr auf die Suche nach der unbesiegbaren Rüstung seines Vaters.

Im Zusammenspiel von extremen Nahaufnahmen und stimmungsvoll beleuchteten Totalen entpuppt sich die vom Animationsstudio Laika mithilfe von 3D-Druckern perfektionierte Puppen­animation hier einmal mehr als jenes Medium, dessen taktile Qualität am meisten vom 3D-Verfahren profitiert. Erzählerisch verliert die Reise des verwaisten Helden nun hingegen vorübergehend an Schwung. Zu Monkey gesellt sich nämlich ein selbstverliebter Hirschkäfer ohne Gedächtnis, dessen Erzählungen sich in plumpen Wortspielen verlieren. Da sich Beetle der Tragik seiner Lage jedoch nie bewusst wird, wächst er einem – anders als etwa Pixars vergessliche Fischdame Dory – kaum ans Herz. Dieser Schwachpunkt wird allerdings problemlos vom unerwartet befriedigenden Schlussakt wettgemacht, in dem Kubo dank der Kraft der Erinnerungen die Deutungshoheit über seine eigene Geschichte zurückerlangt und diese nach einem rührenden Epilog endlich mit den Worten «The End» beschliessen kann.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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