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Love & Friendship

Whit Stillman schenkt uns mit seiner hervor­ragenden Jane-Austen-Adaption einen der lustigsten Filme des Jahres: romantische Intrigen, eine vorzüglich durchtriebene Hauptfigur, Dialoge wie Messerstiche und den besten Idioten der jüngeren Filmgeschichte.

Text: Dominic Schmid / 27. Dez. 2016

«Nearly everything Jane Austen wrote is near ridiculous from today’s perspective.» «Has it ever occurred to you that today, looked at from Jane Austen’s perspective, would look even worse?» Dieser Dialog aus Whit Stillmans erstem Film Metropolitan (1990) verweist einerseits auf die zen­tra­le Position, die Jane Austen in dessen Werk schon immer eingenommen hat, andererseits bietet er auch einen hervorragenden Lektüreschlüssel zu Love & Friend­ship, Stillmans Verfilmung von Austens eher unbekanntem Briefroman «Lady Susan». Dessen Hauptfigur, die durch und durch amoralische Lady Susan Vernon, weiss sowohl ihre weiblichen Reize als auch ihren alle überragenden Intellekt mit grossem Geschick einzusetzen und betrachtet restlos alle anderen Menschen entweder als Hindernisse oder aber als Spielsteine, die es im Hinblick auf ihre Ziele zu überwinden oder geschickt zu manövrieren gilt. Den weiteren Figuren bleibt kaum etwas anderes übrig, mehr schlecht als recht in ihrem Spiel mitzuspielen, an dessen Ende der- oder besser diejenige gewonnen hat, die sich mittels ihrer Fähigkeiten auf die höchste soziale Position manövriert, sprich: sich den reichsten und gleichzeitig den am besten kontrollierbaren Ehemann geangelt hat.

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Den besten Kandidaten für ein solches Anliegen stellt in der Konstellation von Love & Friendship der mit grosser Erbschaft ausgestattete und noch unverheiratete Sir James Martin dar, der sich auch mit dem besten Willen einzig als vollkommener Trottel bezeichnen lässt. Wie ein kleines Kind ist er beim gemeinsamen Dinner auf dem Anwesen Churchill (das er mit Verspätung erreicht, weil er nach einer Kirche oder zumindest einem Hügel Ausschau gehalten hatte) fasziniert von diesen «winzigen grünen Kugeln» (Erbsen); oder er hält die Möglichkeit, eine Frau könnte fremdgehen wollen, schlicht für lächerlich und unvorstellbar. «Just the idea is funny.» Mit diesem Sir James also will Lady Susan ihre bisher vernachlässigte 16-jährige unscheinbare Tochter Frederica verheiraten, koste es, was es wolle. Das undankbare Balg will aber zum Unmut ihrer Mutter davon natürlich nichts wissen und sucht Schutz bei Reginald DeCourcy, dem gutaussehenden Bruder von Susans Schwägerin und Hausherrin des Anwesens, auf den wiederum Lady Susan selbst ein Auge geworfen hat, wenn auch nur, um sich über die Abwesenheit des vorzüglichen, aber leider schon verheirateten Lord Manwaring hinwegzutrösten.

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Mit mehr oder weniger Geschick werden im Verlauf der Handlung von allen Figuren romantische und andere Intrigen gesponnen (ausser Sir James, der wohl nicht einmal weiss, was das Wort bedeutet, und sich lieber der Jagd und «fortgeschrittenen Agrarmethoden» widmet), etwa anhand heimlicher Briefe, die stets im krassen Gegensatz zum Ausgesprochenen stehen und die Tatsache offenbaren, dass fast jede der Figuren hier zwei Gesichter besitzt. Es wird darüber debattiert, welche zwei der zwölf Gebote man weglassen könnte (Sir James) oder dass man die Undankbarkeit der Amerikaner gegenüber dem britischen Mutterland erst verstehen könne, wenn man selbst ein Kind grossziehen musste (Lady Susan). Am Ende bekommt, ganz in der Tradition Austens, fast jede denjenigen, den sie verdient. Dass die Geschichte dabei genau so sitcomhaft ist, wie es klingt, tut weder ihrer Intelligenz, ihrer Relevanz noch dem Geniessen der schneidenden one-liner irgendeinen Abbruch – ganz im Gegenteil.

Stillman übernimmt von Austens Briefroman, der aufgrund der Amoralität seiner Hauptfigur eher untypisch ist, hauptsächlich das narrative Grund­gerüst; einige der Figuren, das im Original nur angedeutete Ende sowie die Dialoge stammen aus seiner eigenen Feder. Letztere sind dabei von jener literarisch anmutenden Künstlichkeit, die für Stillman typisch ist. Dies gilt auch für das Setting selbst, das in einer gesellschaftlichen Blase stattfindet, die sich von historischer Realität gänzlich unbeeinflusst zeigt. «Far better to live on one’s own land. Everyone should», sinniert eine der Figuren einmal. Die Welt des mittleren britischen Adels scheint sich so nur oberflächlich von jener der jungen New Yorker Debütanten aus Metropolitan, der amerikanischen Expats in Barcelona (1994) oder der College-Studenten aus Damsels in Distress (2011) zu unterscheiden. Die Idee, dass all dies nichts mit der Realität zu tun habe, dass es von keinerlei Interesse sei, was irgendwelche britische Adlige sich vor zweihundert Jahren scharfzüngig an den Kopf geworfen haben könnten, sollte jeder, der Teil eines homogenen sozialen Netzwerks ist und sich wundert, warum so viele Leute immer wieder andere Schlüsse als die eigenen aus dem aktuellen Weltgeschehen zu ziehen vermögen, gleich wieder verwerfen. Oder wie Lady Susan einmal klagt: «Facts are horrid things.»

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Die Darsteller, allen voran Kate Beckinsale als Lady Susan, aber auch Chloë Sevigny als deren Verbündete Mrs. Johnson, hier nach The Last Days of Disco (1998) erstmals wieder mit Beckinsale und Stillman vereint, sowie Tom Bennett als Sir James, grob geschätzt einer der besten Idioten der Filmgeschichte, sind allesamt hervorragend; die Inszenierung, wie es sich für Kostümfilme gehört, elegant. Stillman scheint mit seiner direkten Adaption eines Austen-Textes (im Gegensatz zu den indirekten all seiner früheren Werke) zu seiner Bestimmung gefunden zu haben und hat mit Love & Friendship nichts weniger als die intellektuelle Komödie aus der Zeit Lubitschs, Hawks’ und der Marx-Brothers wieder zum Leben erweckt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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