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The square 23

The Square / Rutan

Eine Kunstinstallation, die zur Selbstlosigkeit ermuntern soll und ein Kurator, der allzu sehr mit sich beschäftigt ist. Die virtuose Satire auf den Kunstbetrieb ist zugleich eine Studie menschlicher Verunsicherung.

Text: Christoph Egger / 23. Okt. 2017

Dem schwedischen Publikum war der Titel bekannt, schon bevor es Ruben Östlunds jüngsten Film hatte sehen können. Denn das Konzept von «the square» bezeichnet ein Projekt, das Östlund zusammen mit seinem Produzenten Kalle Boman aus der Arbeit an Play (2011) heraus entwickelt hatte: einen Raum zu schaffen, einen Ort zu definieren, wo, wie es auch über die Kunstinstallation im Film heissen wird, «Fürsorge und Vertrauen herrschen und wo wir ohne Unterschiede dieselben Rechte und Pflichten haben». Einen symbolischen Ort der Menschlichkeit mitten im öffentlichen Raum, wo einem geholfen wird, wo man auch Wertsachen wie das Mobiltelefon unbesorgt ablegen kann – das haben Östlund und Boman inzwischen bereits an mehreren Orten in Schweden und Norwegen realisiert. In Göteborg, seiner Heimat, arbeitet der Regisseur allerdings noch daran. Der Platz, den er dort gern dafür hätte, ist weiterhin durch das mächtige Reiterstandbild König Karls IX. besetzt. Im Film nun findet es sich nach Stockholm transloziert, und zwar direkt vor das riesige königliche Schloss in der Altstadt, das aber auch nicht mehr ist, was es einmal war: X-Royal-Museum heisst es jetzt boshaft und gilt der Gegenwartskunst; entsprechend spielt der Film in einer Zukunft, in der das Königshaus, wo es nicht schon abgedankt hat, jedenfalls weggezogen ist. Hier, vor dem Museum, soll «Rutan» eingerichtet werden, das Geviert, dieses abgesteckte kleine Feld der Mitmenschlichkeit. Dass das Reiterdenkmal bei der Operation krachend in Stücke geht, ist natürlich nichts anderes als ein weiterer, von Östlund genüsslich inszenierter Königsmord. Selbst im Umstand, dass der neue Ausstellungsleiter Christian heisst, hat ein Rezensent eine antiroyalistische Spitze erkennen wollen: einen Verweis auf Kristian Tyrann, den letzten Dänen in der schwedischen Thronfolge …

The square 07

Wie auch immer, dieser Christian, einnehmend verkörpert durch den dänischen Schauspieler Claes Bang, ist alles andere als ein Tyrann. Keinesfalls erschreckt er die braven Schweden durch (dänische) Ungezogenheiten, und als er es doch getan hat beziehungsweise als die beiden Tölpel aus der PR-Abteilung mit einem Werbevideo im Netz das Publikum skandalisiert haben, tritt er zurück. Unglücklich verheddert er sich aber in einer Affäre, die sich zunehmend gegen ihn selbst wendet, nachdem ihm bei einer dreisten Attacke sein Mobiltelefon entwendet wurde. Von seinem Assistenten angestachelt, sieht man ihn im Gebäude, in dem das Gerät geortet wurde, Etage um Etage in unzählige Wohnungsbriefkästen einen Drohbrief einwerfen, der ihm in Gestalt eines kleinen Ausländerbuben eine unerwartete – und auch etwas unwahrscheinliche – Nemesis bescheren wird. Damit verbunden ist eine Nebenhandlung mit einer aufsässigen Bettlerin, die vor allem implizit die Frage aufwirft, welches denn wohl in einem im Wahn der Bargeldlosigkeit befangenen Schweden die Zukunft des Bettlerstandes sein wird.
Von Anfang an und jedenfalls seit seinem zweiten Film hat Östlund die immer wieder gleichen Fragestellungen erprobt und sie in stets neuen und überraschenden Konfigurationen formuliert. Gruppendruck, Herdentrieb, Versagen und Verantwortung des Individuums, das sind seine grossen Themen, veranschaulicht in einer eleganten Bildsprache. Sein jüngster Film rückt von diesem moralischen Anspruch in nichts ab, verfährt dabei aber satirisch, wobei der Punkt nicht immer leicht zu bestimmen ist, an dem diese Polit-, Gesellschafts- und insbesondere Kunstsatire in Ernst umschlägt. Satire scheint es zu sein, wenn Christian, von einer Journalistin auf einen Katalogtext angesprochen, diese Ausgeburt von verstiegenem Branchenjargon selber nicht mehr versteht. Ist es noch Satire, wenn er das Konzept der einer «argentinischen Künstlerin» gewidmeten neuen Ausstellung mit Rückgriff auf die post-postmodernen Elaborate der «Esthétique relationelle» des französischen Theoretikers und Ausstellungsmachers Nicolas Bourriaud begründet? Oder ist es gerade diese Auffassung vom Kunstwerk als einer erst durch die Teilnahme des Publikums geschaffenen Sache – durch Begegnungen, Netzwerke, soziale Beziehungen –, die hinter seiner eigenen Kunstaktion in moralischer Absicht stand und in der Folge dem Film den Titel gegeben hat? Nicht komisch und auch nicht satirisch sind die Momente, die Christian als von seiner Frau getrennt lebenden und etwas überforderten Vater zweier kleiner Töchter zeigen – wie denn Ruben Östlund, Scheidungskind und selber geschieden mit zwei Töchtern, Fragen der Scheidung beziehungsweise der Vernachlässigung von Kindern immer wieder thematisiert: im Diplomfilm von 2002, Familjigen (Wieder Familie), ebenso wie in Play und [art:force-majeure Turist] (2014).

The square 02

Zu komischer Höchstform läuft der Film beim One-Night-Stand Christians mit der amerikanischen Fernsehjournalistin Anne auf. Das fängt schon bei der Montage des Kondoms an, das endlich doch zu sitzen scheint, nur um nach getaner Arbeit – die als reine Farce inszeniert ist – zum Gegenstand eines ergötzlich-­erbitterten Gezerres zu werden, wobei beide Seiten mit nur halb Ausgesprochenem und insgeheim Gedachtem brillieren, bis das Corpus Delicti im demonstrativ aufgeklappten Abfalleimer verschwinden darf. Untergründig komisch ist aber das Präludium zur Szene, als in Annes Wohnung mit grösster Selbstverständlichkeit eine Schimpansin aus einem Zimmer kommt, ohne den Besucher eines Blicks zu würdigen, aufrecht den Raum durchquert, um dann auf dem Sofa Papiere zu studieren. Noch einmal werden wir sie sehen, ohne dass der Film irgend spezifischer würde, als sie neben der telefonierenden Anne vor dem Spiegel sitzt und sich mit deren Lippenstift schminkt. Zwischen diesen beiden bezaubernden Auftritten liegt die zentrale Sequenz der Kunstperformance unter dem Titel «Welcome to the jungle», mit der Sponsoren und Kunstschickeria im Museum ein Erlebnis geboten werden soll – und in deren Mittelpunkt eine in jeder Hinsicht verunglückte «Affennummer» steht. Hier ist Östlund in seinem Element, wenn er Christian das Publikum erst instruieren lässt, keinesfalls den «Jagdinstinkt» dieses Oleg zu wecken, worauf sich die Anwesenden zunehmend betreten vor den Übergriffen des Grunzlaute ausstossenden halbnackten Primaten wegducken – bis endlich ein älterer Mann dem Treiben ein Ende bereitet und so ein wüstes Gerangel in einer Szenerie wie aus einem von Roy Anderssons Endzeitdramen lostritt. Wäre Kunst also gerade noch dazu da, atavistische Reflexe auszulösen? Die von einer Putzfachkraft versehentlich entsorgten Erdhäufchen der Installation «You have nothing» eines amerikanischen Künstlers, dem Julian Schnabel Modell gestanden haben soll, erweisen sich als nicht viel überzeugender. Christian jedenfalls scheint der Kunst vor allem als «Rutan» zu bedürfen: als Refugium, Freistätte in einer Welt der Schemen, der diffusen, nichtidentifizierbaren Geräusche, der rasend ins Bild einbrechenden Motorradfahrer, der Spirale des Aufstiegs im Treppenhaus, die ihn zunehmend verwirren.

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Un certain regard, La quinzaine des réalisateurs, nochmals Un certain regard und nun la Compétition: Mit vier Filmen – vom internationalen Durchbruch mit dem Zweitling, De ofrivilliga (etwa: Die Gezwungenen, 2008), über Play, seine bisher verstörendste Arbeit, und den vielfach ausgezeichneten [art:force-majeure Turist] bis nun zu The Square, seinem erst fünften Langspielfilm, der dieses Jahr mit der Palme d’or bedacht wurde – hat Ruben Östlund eine sichtlich höchst ergiebige Beziehung zu Cannes entwickelt. Mit diesen vier Filmen, zu denen noch der punkige Erstling Gitarrmongot (2004) kommt, ist der 1974 geborene Regisseur aber auch zur wichtigsten Stimme im schwedischen Film der Gegenwart geworden.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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