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The Birth of a Nation

Was an diesem Film verstört, ist nicht sein hehres, notwendiges und offen zur Schau gestelltes Anliegen, sondern die dramaturgischen Mittel, die er für diesen Zweck verwendet.

Text: Michael Pekler / 25. Apr. 2017

Dem Aufstand der schwarzen Sklaven gegen ihre weis­sen Besitzer geht die Erhebung von Nat Turner voraus. Über einen Holzpflock gebeugt wird er von einem Vorarbeiter ausgepeitscht. Turner erträgt die Folter ohne einen einzigen Schmerzensschrei. Die ganze Nacht bleibt er angekettet, seine Beine haben nicht mehr die Kraft, den Körper zu tragen. Doch als er irgendwann den Kopf zur Seite dreht, kann er ein paar Kerzen sehen, die andere Sklaven für ihn vor ihre Hütten gestellt haben. In diesem Augenblick fährt die Kamera hinauf in den Nachthimmel und gibt den Blick frei auf ein kleines Lichtermeer – vor jeder Türe, auf jeder kleinen Holztreppe brennt ein Licht für den Gepeinigten. Da erhebt sich Turner mühsam vom Boden, richtet sich empor – und setzt buchstäblich den ersten Schritt.

The Birth of a Nation ist ein eigenwilliger Film. Nate Parker erzählt darin die auf wahren Ereignissen basierende Geschichte von Nathaniel «Nat» Turner, der 1831 in Virginia einen Sklavenaufstand anführte, dem mehr als fünfzig Weisse zum Opfer fielen. Turner wurde nach kurzer Flucht gehängt, geköpft und gevierteilt, hunderte Schwarze wurden als Vergeltung getötet. Es war die Vergeltung der Vergeltung. The Birth of a Nation ist, daran lässt Parker keine Zweifel aufkommen, ein Rachedrama als Historienfilm. «Slay both man and woman, infant and suckling, ox and sheep, camel and ass» sind die letzten Zeilen, die Turner im Buch Samuel liest, ehe er zur Waffe greift. Denn als gebildeter Sklave war Turner des Lesens mächtig und predigte als frommer Christ auf der Plantage. Bei Nate Parker wird er zu einem Mann, der im Zuge dieser Predigten das Leid anderer Sklaven erst kennenlernen muss, um seinen religiös motivierten Entschluss zu fassen. Und um seine kleine Axt auszutauschen gegen das Schwert der Gerechtigkeit.

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Im Vergleich zum verwandten [art:12-years-slave:12 Years a Slave] von Steve McQueen tritt The Birth of a Nation jedenfalls mit einer völlig anderen revisionistischen Agenda auf: Bereits der Titel als ironischer Hinweis auf D. W. Griffiths gleichnamigen Klassiker aus dem Jahr 1915 soll einmal mehr auf dessen rassistische Propaganda hinweisen, und die Geburt der Nation findet bei Parker am Ende wohlweislich auf dem Schlachtfeld statt. Was an diesem Film verstört, ist jedoch keineswegs sein hehres, notwendiges und offen zur Schau gestelltes Anliegen, sondern die dramaturgischen Mittel, die er für diesen Zweck verwendet. Lehrbuchhaft positioniert Parker seine Figuren entsprechend ihrer Aufgabenverteilung: den sadistischen weissen Patrouillenführer; den schwachen, dem Alkoholismus verfallenden Plantagenbesitzer, der Turner als kleiner Junge noch Spielgefährte war; dessen gütige Mutter, der als Southern Belle die Jahre und das Mitgefühl zusetzen; Turners Frau in ausschliesslich dieser Funktion; und schliesslich der privilegierte ältere Haussklave, der sich dem Aufstand gegen seinen Besitzer nicht anschliessen will. Parker greift bei seiner Typologie von Südstaatencharakteren ausgerechnet auf jenen Figurenfundus zurück, der das kollektive Gedächtnis bis heute prägt. Und wenn sich Turner als kleiner Junge bei seiner ersten Feldarbeit am spitzen Dorn der Baumwollpflanze in den Finger sticht, steht diesem ersten vergossenen Blut eine beeindruckende Landschaftsaufnahme der schier unendlich weiten Felder nicht im Wege.

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The Birth of a Nation ist aber nicht nur ein eigenwilliger Film mit eindeutiger Botschaft, sondern auch einer, der in der Ausrichtung des New Black Cinema neue Fragen aufwirft. Denn zunächst einmal ist dieser Film das Projekt beinahe eines einzigen Mannes, denn Parker zeichnet als Regisseur, Produzent, Koautor und Hauptdarsteller verantwortlich. Das erinnert an Denzel Washingtons August-Wilson-Adaptierung Fences, die der Schauspielerstar an der Seite von Viola Davis praktisch im Alleingang verwirklichte. Beim Filmfestival von Sundance uraufgeführt, wurde The Birth of a Nation von Century Fox für 17,5 Millionen Dollar gekauft – die bis dahin höchste Verkaufssumme in der Geschichte des Festivals. Dass die erwarteten Oscarnominierungen dennoch ausblieben, ist einem Gerichtsverfahren zuzuschreiben, dem sich Parker 1999 wegen dem Vorwurf der Vergewaltigung stellen musste. Ansonsten wäre The Birth of a Nation neben Fences und [art:moonlight:Moonlight] mit hoher Wahrscheinlichkeit die dritte Arbeit eines afroamerikanischen Regisseurs im Rennen um den besten Film gewesen. Das ist nicht nur dem Bemühen Holly­woods geschuldet, die Einbindung seiner sogenannten Minoritäten bei symbolkräftigen Preisverleihungen voranzutreiben. Es zeigt auch, wie die Arbeiten von führenden schwarzen Filmemachern – mit wenigen Ausnahmen wie Ava DuVernay (Selma) tatsächlich überwiegend Männer – mit Themen zur afroamerikanischen Geschichte mittlerweile im Mainstream angekommen sind. Mit allen Vor- und Nachteilen, die sich Regisseure wie Billy Woodberry, Charles Burnett oder auch Spike Lee nicht ausmalen hätten können.

Der weinende schwarze Junge, der am Ende Turners Erhängung beiwohnt, wird bei Parker zum schiessenden Soldaten in Unionsuniform. Für The Birth of a Nation bedeutet ein Bild wie dieses die Weitergabe des Feuers.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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