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Genesis 2.0

Mit den Überresten von Tieren aus der Eiszeit wollen Wissenschaftler Lebe­wesen der Zukunft schaffen. Die Schöpfungsgeschichte geht weiter.

Text: Christoph Egger / 06. Nov. 2018

Unter einem schwarz dräuenden, gegen den Horizont hin schwefelgelb aufgerissenen Himmel stapfen gebückt zwei Männer durch eine schlammig-nasse Küstenszenerie, wobei der vordere mit dem kolossalen gekrümmten Objekt auf seinen Schultern ein fast schon perfektes @ bildet. Die Ikonografie des Plakats ist dem Film entnommen, die effektvolle Lichtregie dagegen das Produkt von gekonntem Artwork. Der Film ist da weniger glanzvoll, wenngleich nicht weniger dramatisch. Es sind sibirische Mammutjäger, die, anders als ihre eiszeitlichen Vorgänger, nicht mehr den Spuren lebender Tiere folgen, sondern denjenigen ihrer vom Permafrost bewahrten und im Zuge der fortschreitenden Erderwärmung zunehmend freigegebenen Überreste, der mächtigen Stosszähne vor allem. Knochen und allfällige Gewebefragmente, Hautstücke, deren schüttere Behaarung der Laie als verdorrtes Gras (das es in der Kältesteppe freilich gar nicht gibt) übersehen würde, sind vor allem für die Wissenschaft von Interesse.

Genesis 2.0 reicht so in Urzeiten zurück und unternimmt zugleich eine Weitererzählung der Schöpfungsgeschichte. Denn das Wollhaarmammut, die jüngste der zahlreichen Mammutarten, ist mehr als bloss der Lieferant von jahrtausendealtem Elfenbein. Seit seinem Fund eines vorzüglich erhaltenen weiblichen Tiers im Mai 2013 auf einer der Neusibirischen Inseln träumt der Paläontologe Semjon ­Grigorjew, Leiter des Mammutmuseums in Jakutsk und eine der Hauptpersonen im Film, davon, aus damals gewonnenem lebendem Zellmaterial ein Mammut zu klonen (sein Bruder, Peter Grigorjew, ist der umsichtige Leiter der Suchtruppe). Keine Hilfe dabei wird ihm George Church sein. Der Molekularbiologe von der Harvard Medical School – den wir im Film sehen, wie er am Giant Jamboree in Boston, einer jährlichen Veranstaltung zur Förderung synthetischer Biologie, vom begeisterten Nachwuchs angehimmelt wird – will zwar auch mit Mammutgenmaterial arbeiten. Er will es jedoch einer Elefantenkuh implantieren, um damit, aus welchen Gründen immer, einen kälteresistenten Elefant-Mammut-Hybrid zu generieren, also Schöpfer einer neuen Tierart werden.

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Christian Frei, der ein ausgesprochenes Flair für «exotische» und zugleich höchst aktuelle Themen besitzt, vermittelt hier einen anregenden Einblick in die Welt des Bioengineering, exemplifiziert am Wollhaarmammut. Aufschlussreich insbesondere der Besuch bei Sooam Biotech in Seoul, mit der Woo-suk Hwang eine wahre Klonfabrik aufgebaut hat; zum Zeitpunkt der Dreharbeiten sind es bereits gegen neunhundert Hunde, mit denen Hwang deren Besitzern über den Verlust des verstorbenen Lieblings hinweggeholfen hat. Kein Wunder, dass Hwang, der nach dreisten Fälschungen in der Stammzellenforschung internationaler Ächtung anheimfiel, höchst interessiert ist am Klumpen verwesenden, stinkenden Mammutfleischs, den die Gäste aus dem Norden mitgebracht haben. Vielsagend auch die von Peter Indergands Kamera wunderschön eingefangene kontrollierte Nichtreaktion der chinesischen Führerin in der riesigen nationalen Genbank Chinas in Shenzhen, als der schwedische Wissenschaftler in der Gruppe moralische Bedenken angesichts pränataler Elimination von Föten mit Down-Syndrom anspricht.

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Was Genesis 2.0 aber eben weit über das Genre der «Laborfilme» hinaushebt, sind die von Maxim Arbugajew – der im Film mit Christian Frei einen Briefwechsel unterhält – im Archipel der Neusibirischen Inseln realisierten Episoden. Hier, ergänzt durch historisches Bildmaterial, ist wohl zum ersten Mal zu sehen, was für eine Schinderei und Plackerei diese Suchtouren für die Männer bedeuten, die da unter ewig grauem Himmel mit rudimentärem Gerät im eisigen Schlamm, im tückischen Brandungsgürtel zugange sind. Basis ist eine baufällige alte Wetterstation, die, packend gefilmt, einmal Besuch von einer Eisbärin mit zwei grossen Jungtieren erhält, was von den Männern als gutes Omen erachtet wird. Denn das Geschäft mit dem Elfenbein gilt seit alters als fluchbeladen; offenbar verlieren denn auch jeden Sommer zwei, drei Männer ihr Leben. Wenn es zuletzt ein ansehnlicher Haufen Stosszähne ist, der da am Strand liegt, rund 450 Kilo, so ist doch das meiste zweitklassig. Erstklassige Ware, insbesondere mit intakter Spitze, kann tausend Dollar pro Kilo bringen; extrem rar sind perfekt erhaltene Stücke, die dann mit kunstvoller Schnitzerei in China rund eine Million Dollar lösen können. Pro Jahr werden in der sibirischen Tundra so zwischen zwanzig und dreissig Tonnen Elfenbein geborgen, wie es im Nachspann heisst. Die Rückfahrt in den zwei Schlauchbooten auf einem stürmischen Arktischen Ozean, 350 Kilometer offenes Meer, wird vier statt der üblichen zwei Tage dauern, ständig mit dem Risiko, die viel zu grosse Last, den Lohn eines harten Sommers über Bord werfen zu müssen, ja selber unterzugehen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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