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Isle of Dogs

Auf der Gefängnisinsel für Hunde sucht der mutige Akira seinen Spots, tatkräftig unterstützt von einem Trupp verstossener Alphatiere:
Ein Abenteuer wie im Bilderbuch, ironisch, lakonisch, hochpräzis.

Text: Oswald Iten / 06. Mai 2018

Hinter einem pfeifenden Knaben trotten fünf Hunde im Gänsemarsch durch eine Totale. Aus der Diskussion um das Lieblingsessen der vier ehemaligen Haushunde erfahren wir nicht nur deren persönliche Vorlieben und Gewohnheiten, sondern auch einiges über den gesellschaftlichen Status ihrer Halter_innen. Am Ende der Einstellung setzt sich der fünfte, ein Streuner namens Chief, am Bildrand nieder und kratzt sich. Erst im Umschnitt erkennen wir, dass jenseits des Bildrandes auch der Rest der Gruppe angehalten hat. Als Chief daraufhin beiläufig erwähnt, dass er nicht immer ein Streuner war, rückt die Kamera zusammen mit den anderen Hunden interessiert zu ihm hinüber, sodass wieder alle in einem Bild vereint sind. Spätestens jetzt entpuppt sich Chief als jene Figur, die in Isle of Dogs eine Entwicklung durchmachen wird. Wie die Namen Rex, King, Boss und Duke vermuten lassen, besteht Chiefs Rudel aus gleichrangigen Alphamännchen, die folglich über alle Entscheidungen demokratisch abstimmen. Die Frage nach dem Verhältnis von Gruppe und Anführer, Hund und Meister zieht sich denn auch als roter Faden durch Wes Andersons Isle of Dogs.

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Auf der titelgebenden Hundeinsel begegnen sich diese Alphatiere nämlich nur deshalb, weil sie dorthin vom Bürgermeister der fiktiven Stadt Megasaki verbannt wurden. Zur medienwirksamen Lancierung seiner Antihundepolitik liess Bürgermeister Kobayashi sogar Spots deportieren, den Wachhund seines zwölfjährigen Mündels Atari. Der Junge macht sich darum nun in einem Kleinflugzeug auf die Suche nach seinem besten Freund und trifft dabei eben dieses Alpharudel. Ataris berührende Versuche, Chief zu domestizieren, vermögen gelegentlich sogar die emotional distanzierte Inszenierung zu überwinden, etwa wenn es ihm gelingt, den Streuner anzufassen und schliesslich zu waschen. In Andersons wohlgeordneter Welt sind zärtliche Berührungen derart selten, dass sie, wenn sie schon mal vorkommen, auch uns Zuschauer_innen bewegen. Die grösste Qualität von Isle of Dogs liegt aber darin, dass es Anderson gelungen ist, seinen hermetischen Inszenierungsstil nach The Grand Budapest Hotel noch konsequenter auf die Spitze zu treiben. Während er in der Stop-Motion-Animation bereits mit Fantastic Mr. Fox das ideale Medium für seine Puppenhaus­ästhetik gefunden hatte, warf er diesmal noch mehr Realismuskonventionen über Bord. So sind in Isle of Dogs selbst die Müllhalden in künstliche Muster geordnet. Weil Anderson die diffus beleuchteten dreidimensionalen Sets im rechtenWinkel fotografieren lässt und seine Figuren am liebsten so anordnet, dass sich ihre Silhouetten nicht überlappen, seh en seine Breitwandkompositionen auch dann noch flach aus, wenn die Figuren unterschiedlich weit von der Kamera entfernt sind.

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Oft erinnern die Totalen an Wimmelbilder, wobei Farbkontraste den Blick auf die inhaltlich relevanten Bildelemente lenken. In der eingangs beschriebenen Diskussion um das Lieblingsessen stechen die erdfarbenen Hunde beispielsweise aus einem silber­grau­en Feld heraus. Gleichzeitig erkennen wir den jeweils sprechenden Hund daran, dass er sich beim Gehen stärker auf und ab bewegt. Entsprechend der strengen Beschränkung auf exakte Frontal- und Profilaufnahmen bewegen sich auch die Figuren ausschliesslich parallel oder rechtwinklig, niemals aber diagonal durch das Bild. Die Kamera folgt ihnen dabei betont mechanisch. In Kombination mit dem trockenen Wortwitz sorgt die hastig animierte Grobmotorik der Figuren für anhaltendes Schmunzeln. Die Mimik der Hunde folgt der lakonischen Sprechweise hingegen ausgesprochen subtil. Mechanische Skelette im Innern der Puppen ermöglichten minutiöse Manipulationen der Hundegesichter. Demgegenüber wurden die maskenhaft wirkenden Menschen mithilfe von starren, austauschbaren Gesichtsteilen animiert.
Richtig lebendig werden die stilisierten Figuren jedoch erst dank präzis beobachteten Alltagshandlungen, etwa wenn Chief während des Redens Fliegen vom Fell schüttelt. Umgekehrt wollte Anderson, dass man wie in älteren Stop-Motion-Filmen die Präsenz des Animators am bewegten Fell der Hunde wahrnimmt. Um die Illusion nicht zu brechen, simulierten die Filmemacher einen konstanten Wind, der neben dem Hundefell auch Fahnen flattern lässt und in Ruhemomenten ein Erstarren des Bildes verhindert. Denn genau diese Ruhemomente sind zentral für den eigenwilligen Rhythmus, der auf der undramatisch nuancierten Dialogintonation basiert. Besonders absurd wirkt die Lakonie natürlich im verbalen Schlagabtausch, bei dem Redepausen gerne von einem perfekt getimeten Niesen akzentuiert werden.

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Seit Fantastic Mr. Fox wird der Erzählfluss von Andersons Filmen entscheidend von Alexandre Desplats Filmmusik geprägt. Auch in Isle of Dogs gelingt es dem Komponisten, die bestehenden Musikstücke nahtlos in seine Partitur zu integrieren, indem er charakteristische Instrumente und Klangfarben übernimmt, aber auf eigene Melodien verzichtet. Diesmal sorgen Taikotrommler für einen durchgehenden Grundpuls, an dessen Tempo sich selbst Alarmgeräusche und beis­sende Hunde orientieren.
Die zahlreichen popkulturellen Anspielungen an die japanische Nachkriegszeit legen nahe, dass die anfängliche Zeitangabe «20 Jahre in der Zukunft» wohl von den Sechzigerjahren aus gerechnet ist. Schliesslich wird die futuristische Parallelrealität von Megasaki hauptsächlich von vergangenen Architektur- und Designtrends bestimmt. Mit der Verwurstung gängiger Japanklischees von Hokusai bis Sumoringen erinnert das nostalgisch romantisierte Wes-Anderson-Land jedoch an jene Anime-Traumwelten, in denen japanische Figuren Alpweiden und europäische Altstädte bewohnen. Isle of Dogs spielt übrigens nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern wegen Wes Andersons Liebe zum japanischen Kino in diesem Kulturraum. Damit bewegt er sich allerdings auf ähnlich dünnem Eis wie
mit seiner unbedarften Liebeserklärung ans indische Kino in The Darjeeling Limited (2007). Immerhin nutzt das Drehbuch die japanische Sprache als dramaturgischen Vorteil: Um zu vermitteln, dass Haustiere jen­seits von konditionierten Befehlsworten kaum verstehen, was ihre menschlichen Halter_innen sagen, lässt Isle of Dogs die Hunde als Identifikationsgruppe Englisch sprechen, während das Japanisch der Menschen im direkten Kontakt auch für das Publikum unübersetzt bleibt. Gleichzeitig spielt die Erzählung doppelbödig mit dem Wissen, dass sich der Film an ein westliches Publikum richtet. So erfahren wir relevante Inhalte teilweise dank einer Simultanübersetzerin, die wir bei Fernsehübertragungen ebenfalls auf der Leinwand sehen.

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Aufgrund dieses Sprachkonzepts drängt sich die amerikanische Austauschschülerin Tracy ­Walker, die sowohl Englisch als auch Japanisch spricht, als Identifikationsfigur auf. Dass allerdings ausgerechnet sie die Widerstandsbewegung gegen Kobayashis Hetzkampagne organisiert und damit die konformistischen Japaner_innen zu Nebenfiguren ihrer eigenen Geschichte degradiert, wird leider weder hinterfragt noch ironisch gebrochen. Das stört dann doch den anderweitig vermittelten Eindruck, Isle of Dogs habe sich der Widerlegung von Vorurteilen verschrieben. Doch egal, ob man den Film als selbstironische Stilübung, heiteres Hundeabenteuer oder politische Allegorie versteht: Andersons Kleinod legt genügend Spuren aus, um verschiedenen Interpretationen standzuhalten. Zum herzerwärmenden Familienfilm taugt er jedoch nur bedingt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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