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Der Film über die Forscherin Jane Goodall, montiert aus vorhandenem Material, ist zugleich verblüffende Konstruktion und wahrhaftiges Porträt. Eine Lektion auch über die Möglichkeiten des Kinos.

Text: Dominic Schmid / 03. Juli 2018

Eine Spinne, zwei Raupen, Vögel und Echsen in paradiesischen Farben, ein gemütlich auf einem hohen Ast sitzender Pavian. Dazu sanfte Dschungelgeräusche, getragen von leicht anschwellenden Streichern. Dann beim Bild einer Schlange das Geräusch eines Motorbootes, das den ersten Menschen zu diesem Ort trägt. Die Entdeckung des Paradieses und dessen Verlust ist in diesen ersten Bildern und Tönen von Jane bereits so deutlich angelegt, dass man sich fast in einem Film von Terrence Malick wähnt. Doch es handelt sich nur um den ersten von mehreren symbolischen Momenten, die in diesem sensationell geschnittenen Dokumentar­film angelegt sind, wobei jede scheinbar eindeutige Interpretation mit Vorsicht zu geniessen ist.

Der grösste Teil von Jane, vordergründig ein Biopic-/Porträtfilm über die bekannte Schimpansenforscherin und -fürsprecherin Jane Goodall, besteht aus Filmmaterial, das erst kürzlich nach fünfzig Jahren aus dem Archiv von «National Geographic» geborgen wurde und das sich Regisseur Brett Morgen angeeignet hat. Und man kann tatsächlich von einer Aneignung im Sinn einer Bemächtigung sprechen: Das Material wurde seinerzeit von Jane Goodalls erstem Ehemann, dem Naturfilmer Hugo von Lawick, aufgenommen. Brett Morgen aber hat es für seinen Film in vielfältiger Form umgeschnitten, angepasst, umgedeutet und farb-­«korrigiert» – alles im Namen einer «filmischen Wahrheit», die sich im Gegensatz zu blosser Objektivität ausschliesslich der subjektiv empfundenen Realität Jane Goodalls verpflichtet fühlt. So sehen wir am Anfang des Films Jane alleine jene paradiesische Umgebung des Nationalparks Gombe in Tansania erkunden, wo sie später ein Forschungsreservat gründet und den Grossteil ihres Lebens verbringt. Dass diese Bilder aus einer späteren Zeit stammen, in der Hugo bereits zu ihr gestossen war und von Einsamkeit und Unberührtheit also kaum mehr die Rede sein kann, bleibt in seiner irritierenden Achronologie unkommentiert. Auch die zahlreichen Schuss-Gegenschuss-Konstruktionen, die in keiner Weise den Originalaufnahmen entsprechen können, dienen der Logik einer filmischen Erzählung, deren Absichten ganz woanders liegen müssen als in der neutralen Wiedergabe von gefundenem Filmmaterial. Obwohl diese Eingriffe gross sind, stellen sie doch nie – ausser vielleicht für die vehementesten Authentizitätsfanatiker_innen – ein moralisch-ästhetisches Problem dar. Brett Morgens Formung des Materials vermag diesem vielmehr Ideen und Bedeutungen zu entlocken, die dessen objektiver Bildgehalt niemals hergegeben hätte. So erweist sich jede einzelne der Bildmanipulationen gerechtfertigt.

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Die Bilder, die Hugo von Lawick in den Sechzigerjahren im Auftrag von «National Geographic» aufgezeichnet hatte, sind allesamt stumm. Das Material musste also – auf mehr als eine Weise – buchstäblich zum Sprechen gebracht werden. Mit grossem Aufwand wird die Geräuschkulisse des tansanischen Urwalds nachgestellt, und zwar mit solch einer Hingabe und Präzision, dass man meint, jedes einzelne Blatt, jedes einzelne Insekt aus jenem Orchester aus Geräuschen, Tierstimmen und erzählendem Voice-over heraushören zu können. Über allem thront jedoch, man kann es nicht anders beschreiben, der Soundtrack von Philip Glass. Dessen Musik war in letzter Zeit ein wenig in Verruf geraten, weil ihr nachsagt wird, insbesondere in Dokumentarfilmen durch ihre etwas schwammige Repetitivität eine Art Kleisterfunktion zu erfüllen, die noch die unzusammenpassendsten Bilder als zusammengehörig erscheinen lässt. Brett Morgan gelingt es jedoch, Bild und Ton zu einer Art Symphonie aus Geräuschen, Musik, Bewegungen und Ideen zu gestalten. Das fängt damit an, dass sich die Schimpansen auf subtile Art im Einklang mit der Musik zu bewegen scheinen, und gipfelt in einer feuerwerkartigen Montagesequenz, die mehrere Jahre von Janes Leben auf wenige Augenblicke zusammenrafft. Auch Sergei Eisenstein hätte daran seine Freude gehabt.

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Natürlich wären all diese formalen Besonderheiten relativ bedeutungslos, wenn Jane nicht auch viel zu erzählen hätte. Da gibt es die eingangs angesprochene Erzählung vom Paradies und dessen Untergang, nachdem der Mensch es betreten und die Früchte vom Baum der Erkenntnis – der Wissenschaft – gepflückt hat. Mit Jane Goodall kommt, ohne dass sie dies beabsichtigt hätte, eine Art menschliches Entropieprinzip in den Regenwald, das sich vom natürlichen auf fatale Weise unterscheidet: Sie füttert die Schimpansen, damit diese die Angst vor dem Kontakt verlieren, um sie in der Folge besser beobachten zu können. Die Affen verlieren die Scheu vor dem Menschen und lassen sich berühren – doch nicht zuletzt wegen dieser Nähe kommt es eines Tages zu einer Polioepidemie, die einen Teil der Affenfamilie dahinrafft, einen anderen zum Territoriumskrieg gegen die Nachbaren treibt. So weit, so tragisch und bekannt. Und doch gelingt es dem Film, quasi parallel dazu eine grosse Liebesgeschichte zu erzählen. Nicht etwa jene zwischen Jane und Hugo – auch wenn dessen Verliebtheit in die Forschungspartnerin und spätere Ehefrau in jeder einzelnen Aufnahme durchschimmert –, sondern die Liebesgeschichte zwischen einer Frau und ihrer Arbeit. Kaum je wurde im Kino anschaulicher demonstriert, was «Berufung» bedeutet.

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«In the Shadow of Man» heisst eines von Jane Goodalls bekanntesten Büchern und, wäre es nach Brett Morgen gegangen, hätte auch der Filmtitel werden sollen. Der Buch­titel verweist dabei nicht nur auf Janes Hauptforschungsobjekt, sondern, wenn man ihn als «Im Schatten des Mannes» übersetzt, kommentiert auch ihren Status als Forscherin in einer von Männern dominierten Welt. Jane erzählt die Geschichte einer Frau, die sich entgegen aller Tradition weder zu ihrem Mann gesellte, als dessen eigene Karriere als Tierfilmer in einem anderen Teil Afrikas in Fahrt kam, noch sich durch die Geburt ihres Sohns von ihrem eigenen Weg abbringen liess. Zum Erstaunen und Entsetzen vieler entschied sich ­Goodall nach langem Hadern, ihren Sohn Grub ab dem Schulalter bei der Grossmutter in England aufwachsen zu lassen, während sie ihre Forschung in Gombe weiterführte. Parallel zu dieser «skandalösen» Auslegung der Mutterpflicht (wir bekommen im Film die Schlagzeilen der zeit­genössischen Boulevardpresse zu sehen) wird noch eine weitere Mutter-Sohn-Geschichte gezeigt, die eine Art Gegenstück zu Jane und ihrer Entscheidung darstellt und die weitaus tragischer endet. Dass es sich dabei um eine Schimpansenmutter und deren Junges handelt, passt gut zu der Haupterkenntnis von Jane Goodalls langjähriger Forschung, dass nämlich der Schimpanse dem Menschen nicht nur genetisch sehr nahe ist, sondern nebst seiner Intelligenz auch in zahlreichen sozialen und emotionalen Aspekten. Das Wesentliche über das Muttersein habe sie aus den Beobachtungen jener Schimpansin gelernt, sagt Jane einmal, und wir, die die Bilder gesehen haben, wissen was sie meint. Auch aus diesem Film lässt sich etwas lernen: über das Leben und die Arbeit einer beispiellosen Forscherin einerseits als auch über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Nicht zuletzt aber – dank der Einzigartigkeit, wie hier mit Bildern und Klängen umgegangen wird – auch über das Sehen und Hören und über das Kino selbst.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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