Gemini Man

Ang Lee
Ein Will-Smith-Thriller, der wie ein Relikt aus den Neunzigerjahren wirkt, und uns trotzdem noch einmal ganz neu lehrt, die Gesichter des Kinos zu lesen.
Ein Jahr jünger als das Klonschaf Dolly bist Du, meint der 51-jährige Henry Brogan (Will Smith) zu seinem ebenfalls von Smith verkörperten, aber erst 24-jährigen genetisch identischen Doppelgänger. Klonen, Dolly, Will Smith: Die Älteren unter uns werden sich erinnern. In der Tat ist es erstaunlich, wie sehr Gemini Man wie ein Film aus einer anderen Zeit wirkt. Nicht nur macht das Klonthema, oder zumindest der atemlos-sensationslüsterne Tonfall, in dem es aufbereitet ist, einen angestaubten Eindruck (vielleicht, weil es auf einen onthologischen Identitätsbegriff verweist, der heute niemanden mehr so recht hinter dem Ofen hervorlockt); auch die Form des starzentrierten High-Concept-Blockbusters, für die der Name des Gemini-Man-Produzenten Jerry Bruckheimer wie kein zweiter steht, hat ihre besten Tage hinter sich.
Tatsächlich wollte Tony Scott den Film bereits in den späten Neunzigern verfilmen, anschliessend wurde er lange Jahre in Hollywood herumgereicht und nun offensichtlich ohne allzu umfangreiche inhaltliche Anpassungen realisiert. Eine Nebenwirkung der langwierigen Produktionsgeschicht: Man wird wehmütig bei dem Gedanken, was für ein rasantes Wunderwerk hätte entstehen können, wäre es tatsächlich von Scott inszeniert worden. Ang Lee, bei dem das Projekt schliesslich gelandet ist, hat offensichtlich nicht allzu viel Bezug zu jener Art von hochtourigem Pulp-Filmemachen, nach der ein solcher Stoff verlangt. Sein Gemini Man hat eine technokratisch glatte Oberfläche und begnügt sich über weite Strecken damit, leidlich zu funktionieren.

Genau wie Smiths Hauptfigur – ein in geheimdienstlichem Auftrag mordender Auftragskiller, der kurz vor der Pensionierung in einen behördeninternen Komplott verwickelt wird und bald auf eigene Faust um sein Leben kämpfen muss – sich im Wissen, bald hoffnungslos zum alten Eisen zu gehören, auf erlernte Reflexe und ihr Körpergedächtnis verlässt, ruft auch der Film eher mechanisch ein vielfach erprobtes Programm ab, als dass er der Tradition, in der er steht, etwas hinzufügen würde. Besonders die Nebenfiguren sind derart generisch typisiert, dass man sie schon fünf Minuten nach dem Kinobesuch kaum auf der Strasse wiedererkennen würde. Die eine Ausnahme, die es doch gibt, ist Benedict Wong. Dieser spielt Baron, einen ausgesucht rumpeligen Mitstreiter Henry Brogans, und gibt sich mit seiner richtiggehend rührenden aus-altem-Schrot-und-Korn-Performance alle Mühe, dem Film im Alleingang und sozusagen mit der Brechstange doch noch eine persönliche Note zu verleihen.
Was nicht heissen soll, dass Gemini Man zwischendurch keine Freude bereitet. Als der ausgezeichnete Kinohandwerker, der er ist, filmt Ang Lee saubere und wuchtige Actionszenen, die meilenweit über den Standards aktueller Superheldenblockbusterfilme thronen. Insbesondere eine Motorradverfolgungsjagd ziemlich früh im Film ist das Eintrittsgeld schon für sich alleine Wert. Zunächst verkrümmt sich während einer langen, atemberaubend flüssig anmutenden Plansequenz der Raum tunnelartig um den durch enge Gassen dahinrasenden Smith, dann folgt ein präzise choreographierter Schusswechsel entlang einer Strandpromenade und schliesslich ein Martial-Arts-Showdown, bei dem die Fahrzeuge selbst zu Waffen werden. Das ist, zumindest für ein paar Minuten, genau jene Art von Actionkinoadrenalin, das sich seit dem Siegeszug der digitalen Postproduktion nicht nur in Hollywood rar gemacht hat.

Freilich ist Gemini Man selbst ein digitales Experiment und es steht zu vermuten, dass Lee seinerseits den Film vor allem als technische Herausforderung begriffen hat. Wie schon seine letzte Regiearbeit, Billy Lynn's Long Halftime Walk, ist sein Neuer in echtem 3D (auch das beinahe schon ein Nostalgieeffekt) und mit erhöhter Framerate gedreht, was freilich ausserhalb einer extravagant inszenierten Sniperattacke zu Beginn und der erwähnten Motorradactionszene kaum zu aussergewöhnlichen Bildern führt. Spektakulärer ist der digital verjüngte Will Smith. Dass das diegetische Alter von Filmfiguren nicht mehr durch zumeist schnell durchschaubare Maskeneffekte, sondern durch Computereffekte manipuliert wird, ist natürlich ebenfalls nichts wirklich Neues; Martin Scorseses The Irishman nutzt diese Technik dem Vernehmen nach besonders exzessiv. Das Besondere an Gemini Man ist nun, dass der unbearbeitete und der verjüngte Will Smith oft in derselben Szene, nicht selten auch im selben Bild agieren. Das Original tritt seiner Kopie gegenüber und hat ihm nichts ausser ein paar Jahrzehnten Lebenserfahrung voraus. Wir im Zuschauerraum müssen hingegen plötzlich noch einmal ganz neu lernen, die Gesichter des Kinos zu lesen. Hat der Teint des umgemodelten Smith nicht immer noch eine etwas zu glatte, fast glitschige Anmutung? Sah der junge Smith (der aus den ersten Staffeln von The Fresh Prince of Bel-Air zum Beispiel) tatsächlich genau so aus? Kann man sich überhaupt von dem Wissen freimachen, dass da einem 51-jährigen sein früheres Ich nachträglich übergestülpt wird?
Kaum überraschend ist jedenfalls, dass ein solches Experiment ausgerechnet an Smith vollzogen wird, einem Schauspieler, dessen Filme schon öfters durch einen Hang zur Ichfixierung aufgefallen waren, manchmal bereits im Titel: I, Robot beziehungsweise I am Legend. Während Smith in letzterem zur Sicherheit gleich den einzigen Menschen auf Erden spielt, kann man andere Smith-Vehikel wie The Pursuit of Happyness und After Earth als Versuche einer Stabübergabe an Sohn Jayden Smith verstehen. So gesehen ist Gemini Man eine logische Weiterentwicklung: Die digitale Verjüngungs-, beziehungsweise letztlich Klontechnologie bietet einem schliesslich die Möglichkeit, nicht nur 50, sondern 100% seines genetischen Materials zumindest auf der Leinwand über den eigenen Tod hinaus fortleben zu lassen.

Gefällt dir Filmbulletin? Unser Onlineauftritt ist bis jetzt kostenlos für alle verfügbar. Das ist nicht selbstverständlich. Deine Spende hilft uns, egal ob gross oder klein!