Last Christmas

Paul Feig
Der neue Film von Paul Feig lässt einen wieder an die Liebe unter den Bedingungen des Mainstreamkinos glauben. Zumindest eine gute Stunde lang.
Sie singt und er tanzt - diese Aufgabenverteilung zieht das Liebespaar im Zentrum der neuen Romkom von Paul Feig ziemlich konsequent durch und daraus folgt natürlich auch: Gemeinsam können Kate (Emilia Clarke) und Tom (Henry Golding) keines von beidem tun. Obwohl sie ihn einmal sogar explizit dazu auffordert, stimmt Tom nie in die recht häufigen, mal mehr mal weniger eleganten Gesangsperformances von Kate ein; genauso wenig wie sie sich von den beschwingten Tanzschritten, die er ihr am laufenden Band direkt auf den Strassen Londons vorführt, anstecken lässt.
Es geht um zwei kategorisch unterschiedliche aber möglicherweise komplementäre Modi des In-der-Welt-Seins: Kate ist uns schnell ziemlich gründlich vertraut, in ihren auf charmante Art derangierten Lebensumständen (Scheissjob, Familienterror, Sofa-Hopping, Alkohol, One-Night-Stands), aber auch in ihrer physischen Präsenz, ihrer ausladenden Gestik, ihrer amüsanten Tollpatschigkeit, ihrer eklektischen, fast den gesamten Film über mit Bestandteilen eines Elfenkostüms durchsetzten Garderobe. Nun möchte sie durch ihren Gesang sich und ihre Individualität der Welt präsentieren. Vorläufig steht ihr dafür, da sie derzeit noch als Verkäuferin in einem Weihnachtskitschgeschäft feststeckt, keine grosse Bühne zur Verfügung. Aber schon jetzt verwandelt sie jeden Ort, an dem sie zu singen beginnt, in eine kleine Bühne.

Tom hingegen ist von Anfang an sozusagen ein Wesen von minderer filmischer Dichte. Ein Elf ist er auch ohne Kostüm: hübsch auf eine glatte Art, elegant in Kleidung und Auftreten, verschwiegen, mysteriös und ein wenig altmodisch; er habe sein Handy, sagt er der verdutzten Kate, zu Hause im Schrank eingeschlossen, auf dass es ihn nicht ablenke. Während Kates Gesang stets eine Differenz in die Welt trägt (hier die Bühne, da das Publikum), möchte Tom im Tanz mit der Welt verschmelzen, unsichtbar werden. Er lenkt den Blick von Kate und auch den unseren auf alles, nur nicht auf sich selbst.
Wie aus dem Nichts tritt Tom in Kates Leben: Auf der Arbeit soll sie ein Regal aufräumen, lustlos schiebt sie eine von unzähligen grotesken Weihnachtsmannfiguren beiseite - und dann fällt ihr Blick, durchs Regal und das dahinterliegende Schaufenster hindurch auf einen jungen Mann, der seinerseits, scheinbar gedankenverloren, nach oben blickt. Nicht in Richtung Himmel, wie sich herausstellt, sondern auf einen Vogel, der sich auf einer Dachrinne niedergelassen hat, um gleich darauf Kate, die sich zu dem Unbekannten gesellt, auf das Gesicht zu kacken. Ein naheliegender Gag, klar, aber er funktioniert, weil er in den Figuren angelegt ist: Wo Tom sich geschmeidig (vielleicht, wie sich später herausstellt, sogar etwas zu geschmeidig) in seine Umgebung einführt, kultiviert Kate ein konfrontatives Verhältnis zur Welt.

Es tut sich ein Abgrund auf zwischen den beiden Hauptfiguren. Das ist erst einmal nicht ungewöhlich für eine Romkom. Wo im Genre allerdings im Allgemeinen dieser Abstand nur dazu da ist, um von der Liebe überbrückt zu werden, stellt sich in Last Christmas bald der Verdacht ein, dass es bei der Differenz von Kate und Tom um etwas Grundsätzlicheres geht. Das hängt damit zusammen, dass beide Figuren unbehaust sind, wiederum auf jeweils sehr unterschiedliche Art. Kate versucht, wenn sie mit ihrem Rollkoffer von einer genervten Freundin zur anderen eilt, dem Kinderzimmer zu entfliehen, das nach wie vor bei ihren Eltern für sie bereit steht. Sie entstammt einer Immigrantenfamilie, die in einer klaustrophobisch engen Wohnung an Alltagsstress und -rassismus, aber auch an hausgemachten psychopathologischen Dynamiken zu zerbrechen droht (beziehungsweise: aus ökonomischen Gründen nicht zerbrechen darf). Tom hingegen ist auch in dieser Hinsicht weitgehend ein Enigma. Er scheint sich in der Gig-Economy zwar einigermassen erfolgreich durchzuschlagen, seine Wohnung macht allerdings einen etwas allzu spartanischen Eindruck.
Im Folgenden entwickelt sich trotzdem eine Liebesgeschichte, und zwar eine, die auf bezaubernde Weise die Balance zwischen kitschaffiner Wunscherfüllungsfantasie und psychologischem Realismus zu halten vermag. Zumindest eine Weile lang. Die Balance hält eine gute Stunde, in der Last Christmas sich wie ein kleines Wunder anfühlt. Denn das gibt es nicht mehr so oft im Gegenwartskino: eine richtig gute Romkom, die die Genreerwartungen voll erfüllt und gleichzeitig interessante Abweichungen einbaut. Es fügt sich alles wunderbar zusammen, vor wie hinter der Kamera. Clarke hätte ich nach Terminator: Genisys genauso wenig für eine geborene Komödien-, in einigen Szenen gar Slapstickdarstellerin gehalten, wie ich Golding nach Crazy Rich Asians eine derart berückende Traumtänzerperformance zugetraut hätte. Regisseur Paul Feig hatte zwar schon vorher bewiesen, dass er aus Schauspieler_innen mehr und Interessanteres herauszuholen vermag als die meisten seiner Kolleg_innen (besonders deutlich wird das in seinem Blick auf Nebenfiguren; am meisten Freude macht diesmal Michele Yeoh, die Kates Chefin spielt). Aber keinem seiner bisherigen Filme war es gelungen, ihre quirlige Lebendigkeit ähnlich stimmig in eine runde Erzählung zu übersetzen.

Das Problem ist dann, dass Feig irgendwann eben dieser Erzählung nicht mehr ganz über den Weg zu trauen scheint. Das Drehbuch (ko-verantwortlich: Emma Thompson, die auch eine Nebenrolle übernimmt) spitzt sich in einer nicht ganz überraschenden, aber dennoch wagemutigen, in sich schlüssigen und vor allem hochromantischen Wendung zu - die vom Film allerdings seltsam halbherzig durchexerziert wird, während gleichzeitig eine ganze Reihe von Nebenhandlungen überhandnehmen. Kurz gesagt läuft es darauf hinaus, dass Kates Begegnung mit Tom nicht nur ihr eigenes Leben verändert, sondern auch noch alle möglichen soziopolitischen Probleme in ihrem Umfeld (auf sehr zeitgeistaffine Art) löst. Tendenziell wird dadurch eine romantische Kinofantasie in eine profane und schon ein wenig selbstgerechte soziale Fantasie übersetzt - ein etwas unterwältigendes Ende für einen dennoch sehr schönen Film, nach dem man wieder ein paar Gründe mehr hat, an die romantische Liebe unter den Bedingungen des Mainstreamkinos zu glauben.

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