My Zoe

Julie Delpy
Julie Delpy erzählt in ihrem neusten Film von einer fragwürdigen Mutterliebe. Im Gegensatz zu ihren früheren Filmen gehen ihr dabei Leichtigkeit und Geschlossenheit abhanden.
Eines der Dinge, von denen sich ein Paar manchmal nicht mehr erholt, ist der Verlust eines gemeinsamen Kindes. Die Beziehung von Isabelle und James, durch Julie Delpy und Richard Armitage verkörpert, ist aber längst vor dem plötzlichen Tod ihrer Tochter Zoe unwiederbringlich zerstört. Die franko-amerikanische Genforscherin und ihr britischer Exmann leben in Berlin und können seit ihrer Trennung nicht mehr kommunizieren, ohne sich zu streiten. Aus ihnen spricht Verletzung, Enttäuschung, Eifersucht und Missgunst.
Sie verbringen ihre Zeit damit, sich um jede halbe Stunde zu streiten, die sie mit ihrer Tochter verbringen dürfen. Das Mädchen funktioniert als emotionales Druckmittel zwischen ihnen, um sich gegenseitig zu kontrollieren. Als es zum fatalen Unfall kommt und Zoe an den Folgen einer Hirnblutung stirbt, flammt der ganze Hass in einer langen melodramatischen Szene, die auf der Intensivstation spielt, zwischen den beiden noch einmal auf. Die Handlung verschiebt sich im Anschluss nach Moskau, wo die Mutter bei einem Genetiker, von Koproduzent Daniel Brühl gespielt, Hilfe sucht, der ein Klon ihres Kindes herstellen soll.

Die Zuschauer_innen steigen in My Zoe von Julie Delpy in eine Beziehungskrise ein, die, anders als in Delpys früheren Werken, ihre verspielte Ironie eingebüsst hat. Im Gegensatz zu den Paarstreitereien Two Days in Paris, Two Days in New York oder auch Lolo sind hier die Fronten unwiderruflich verhärtet. Die Inszenierung dieser konstanten Anspannung zwischen den beiden Hauptfiguren gelingt dermassen eindrücklich, dass sie sich nahezu körperlich auf den Zuschauer überträgt. Delpy schreckt nicht davor zurück, die hässliche Seite zu zeigen, die wohl in jedem Menschen steckt. Damit entzieht sie My Zoe jede Leichtigkeit, die bisher die meisten ihrer Arbeiten geprägt hat.
Geblieben ist aber Delpys souveräne Präsenz als Darstellerin, die eine Entschlossenheit und Selbstsicherheit ausstrahlt, die, wie sie selbst sagt, vielfach Frauen ab vierzig in Filmrollen nicht mehr zugestanden wird. Delpy, die für ihre Filme jeweils als Autorin, Inszenatorin und Darstellerin zugleich fungiert, geht in diesem Punkt keine Kompromisse ein. Ihre Figur agiert aktiv und selbstbestimmt. Es sollte diese exponierte weibliche Stärke sein, die kurz vor Drehbeginn den ganzen Film offenbar in Gefahr brachte. Ihr Hauptproduzent sei mit der Begründung abgesprungen, dass er sich eine solche Frauenrolle, von Delpy gespielt, nicht vorstellen könne. Er befürchtete ein Abgleiten in Sentimentalität. Doch Delpy kann genau dies nicht vorgeworfen werden. Im Gegenteil ist sie ihrem Bestreben nachgekommen, in der Erzählung möglichst kühl und rational zu argumentieren.

Mit ihrem neuen Langspielfilm hat Delpy ein vielschichtiges Werk vorgelegt. Grob lässt er sich in drei thematische Abschnitte teilen, die aufeinander folgen und jeweils ein anderes Genre bedienen. An das anfängliche Beziehungsdrama schliesst ein Melodrama an, um zuletzt in einer Art wissenschaftlichen-futuristischen Dystopie zu enden. In den Moskauer Episoden wird dem technischen Aspekt der genetischen Manipulation viel Raum zugestanden, doch bleibt die Darstellung stark vereinfacht und wirkt naiv. Die Dialoge sind in diesem Teil weniger pointiert und bedienen sich wiederholt bei Allgemeinplätzen. Befremdlich ist, dass das Klonen von Menschen in seinen technischen Möglichkeiten diskutiert, aber die letztlich entscheidende Frage nach der späteren Persönlichkeit und der Gesundheit des Klons ausgeklammert wird.
Mit Schauplatz und Thema wechselt auch die Form der Bildfindung von weitgehend im Handkamerastil aufgenommen Nahaufnahmen zu statischeren und distanzierteren Bildern. Künstlerisch überzeugt diese Dreiteiligkeit nur bedingt, da sie zwangsläufig eine Uneinheitlichkeit zur Folge hat, und die Zuschauer_innen abrupt mit changierenden Gefühlslagen konfrontiert.

Mit My Zoe kommt ein langjähriges Projekt zustande, das Delpy seit der Geburt ihres Sohnes verfolgte. Selbst mit der Angst um die Gesundheit des eigenen Kindes konfrontiert, wollte sie eine solche extreme Lösung durchdenken. Eine thematische Parallele findet sich im ebenfalls aktuellen Dokumentarfilm Hope Frozen der Thailänderin Pailin Wedel, in dem Eltern, auf die Möglichkeiten der Wissenschaft vertrauend, die Zellen ihres mit zwei Jahren verstorbenen Kindes einfrieren lassen, um es in naher Zukunft als Klon wiederzuerwecken. Beide Filme thematisieren nicht nur das Klonen, sondern auch eine Liebe zum eigenen Kind, die die Grenze zur Obsession überschreitet.
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