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Der goldene Handschuh

Das dunkle Herz der alten Bundesrepublik Deutschland schlägt auf St. Pauli. Fatih Akins Der goldene Handschuh kultiviert grobschlächtige Geschmacklosigkeiten – aber das spricht keineswegs gegen den Film.

Text: Lukas Foerster / 20. Feb. 2019

Das dunkle Herz der alten Bundesrepublik Deutschland schlägt in Hamburg, St. Pauli. Gegossen ist es in modrig-faulige Bausubstanz, ausstaffiert mit schweren, speckigen, roten Teppichen sowie mit tonnenweise Nippes der ganz besonders kitschig-altmodischen Sorte. Angetrieben gehalten wird es von billigem Schnapps, süsslichen Schlagern, ausgesucht geistlosen Zoten, dreckigen Fantasien – und einer eruptiven, unkontrollierbaren misogynen Gewalt, die sich aus dieser ungesunden Mischung fast zwangsläufig ergibt.

Fatih Akins neuer Film Der goldene Handschuh basiert auf einem gleichnamigen Buch Heinz Strunks, das sich wiederum an einem historischen Kriminalfall abarbeitet: Der Hafenarbeiter Fritz Honka ermordete in den frühen Siebzigerjahren mehrere Frauen, die er zumeist in einer Kneipe nahe der Reeperbahn – eben dem «goldenen Handschuh» – kennengelernt hatte. Schon die zeitgenössische Berichterstattung war geprägt von einem Grusel, der nicht nur von den grausamen Taten, sondern auch, vermutlich sogar vor allem, von dem von Alkoholmissbrauch, Prostitution und körperlicher Verwahrlosung geprägten Milieu herrührte, dem sowohl der Täter als auch die Opfer angehörten; Strunks Roman interessiert sich ebenfalls weniger für die Morde selbst, als für die gleichzeitig sozialen und individuell spezifischen Verwerfungen, die ihnen zugrundeliegen.

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Akins Verfilmung bleibt eng an der Vorlage, sowohl was die episodisch-anekdotische Struktur als auch was die oft wortwörtlich übernommenen Dialoge angeht. Dennoch ändert sich zwangsläufig einiges im Übergang vom Buch zum Film. Das Kino ist nun einmal ein Medium der Oberfläche, und so verschiebt sich die Aufmerksamkeit von der defekten Psyche auf die defekte Physis, von der bei Strunk ausführlich behandelten Leidensbiografie Honkas auf die materiellen Ausprägungen des Elends in der (filmischen) Gegenwart. Strunks «Handschuh» ist im Kern eine Tragödie, Akins eine Groteske.

Anders ausgedrückt: Der Film muss sich zwangsläufig den Problemen der Verkörperung und Verräumlichung stellen. Die Hauptrolle übernimmt Jonas Dassler – eigentlich ein junger Mann mit einem hübschen, schmalen Gesicht, das allerdings von einer dicken Schicht Schminke bedeckt, regelrecht überformt wird. In der Art, wie Akin seinen Hauptdarsteller verkleidet, wie er ihn ausserdem gestische Ticks und einen gebückten, keuchenden Gang kultivieren lässt, wird besonders deutlich, dass es in Der goldene Handschuh nicht um die Rekonstruktion einer historischen Wahrheit geht, sondern um eine Verformung, die eben so, als Verformung, etwas sichtbar macht. Das passt auf die Schlager, in denen Gefühl zum Sentiment degeneriert, oder auf die Kneipenunterhaltungen, die Sprache in eine Abfolge geklopfter Sprüche verwandeln. Und es passt eben ganz besonders gut auf Honka, genannt Fiete, der keineswegs eine sorgfältig abgerundete Figur ist, die es in ihrer Prägung und in dem Gewaltzusammenhang, in dem sie steht, zu verstehen gilt; sondern der einfach nur die schlimmstmögliche Ausprägung einer letztlich alles und jeden umfassenden Verformung darstellt, das konsequente, ultimative Produkt der kaputten Welt, die Akin vor uns ausbreitet.

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Und die sich zwischen zwei zentralen Schauplätzen aufspannt. Zum einen ist da natürlich die Kneipe des Titels, in der Honka inmitten einer Horde teils skurriler, aber in erster Linie trauriger Gestalten am Tresen sitzt und sich ein Schnappsglas nach dem anderen füllen lässt; wobei der Film sich im «Handschuh» immer wieder von der Hauptfigur löst, sich mal diesem, mal jenem Geplänkel zuwendet und in dieser ständigen Bereitschaft zur Ablenkung die Atmosphäre eines versoffenen Kneipenabends ziemlich gut evoziert. Zum anderen gibt es Honkas Wohnung, einige Strassen weiter, in die er mehr oder weniger regelmässig Frauen mitnimmt, zumeist ältere Prostituierte, denen der Alkohol noch ärger mitgespielt hat als ihm selbst.

Die beiden Räume gehören zusammen wie Bühne und Hinterbühne oder auch wie auf einem Schiff Deck und Maschinenraum. Das öffentliche Spektakel des Handschuhs, dessen freakshowartige Drastik auch von Aussenstehenden goutiert werden kann (in Akins Film zum Beispiel von einem schüchternen Gymnasiasten, der hofft, mit seiner neuentdeckten Streetsmartness eine Klassenkameradin zu beeindrucken), ist nicht zu haben ohne den klaustrophobischen Horror von Fietes Wohnhölle. Hier, im miefigen, versifften Verschlag unterm Dach, werden all die Wunschvorstellungen und Neurosen, die im «Handschuh» noch im Bereich der Kommunikation, des Spiels, des Versprechens und der Drohung bleiben, in ein anderes, handfesteres Register übertragen. Hier wird sozusagen Billanz gezogen – und die biologischen Reste, die dabei abfallen, werden in einem mit Paketklebeband notdürftig isolierten Verschlag verklappt, der gewissermassen den dritten zentralen, allerdings komplett verborgenen, undarstellbaren Raum des Films darstellt. (Übersetzt in die Lacan'sche Trias wäre die Kneipe der Raum des Imaginären, die Stinkewohnung die des Symbolischen und der Leichenverschlag der des Realen …).

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Wenn gerade die Szenen in Honkas Wohnung schwer anschaubar sind, dann nicht, weil Der goldene Handschuh ein besonders brutaler Film wäre. Abgesehen von einer einzigen, allerdings in der Tat nach allen Regeln der Gossenkinokunst in die Länge gezogenen Szene ist er das nicht. Sondern weil alle, die in der alten Bundesrepublik – wahrscheinlich kann man das problemlos erweitern: in Mitteleuropa – aufgewachsen sind, ganz egal wie weit entfernt von St. Pauli, in den Bildern und Tönen des Films mehr wiedererkennen, als ihnen lieb ist, weil wir alle auf die eine oder andere Art verstrickt sind in die Texturen, Empfindungen, Gerüche, Klänge und Fantasien, die Akin vor uns ausbreitet. Der Film reflektiert diese Verstricktheit direkt: Eine direkte Begegnung mit Honka wird den meisten von uns vermutlich erspart bleiben, aber um ein paar Maden auf dem fein hergerichteten Kaffeetisch oder ein paar Spritzer Urin auf der Sonntagshose kommt niemand herum. Man mag diese Pointen, wie vieles in Der goldene Handschuh, für grobschlächtig und geschmacklos halten – aber ganz ohne grobschlächtige Geschmacklosigkeiten wäre das Kino nun einmal eine ziemlich triste Angelegenheit.

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