I Am Greta

Nathan Grossman
Die Ikone der Klimajugend Greta Thunberg – von ihrem ersten Protest vor dem schwedischen Parlament bis zur Rede vor der Uno in New York: Regisseur Nathan Grossman zeichnet das Portrait einer starken jungen Frau, die an der Welt leidet.
Bei Porträts über zeitgenössische Held_innen kann man Einiges falsch machen. Von unkritischer Überhöhung über grenzwertige Reduktion bis hin zu sentimentalen Nichtigkeiten drohen solche Projekte, dem gezeigten Menschen nicht gerecht zu werden. Klar war, dass über Greta Thunberg, die Ikone der zeitgenössischen Umweltbewegung, früher oder später ein solches Porträt erscheinen musste.
I Am Greta ist das erste seiner Art und wird nicht das letzte sein. Doch an der Leistung von Regisseur Nathan Grossman werden Filmemacher_innen nicht mehr vorbeikommen. Dieser kam zu seinem bislang prominentesten Projekt wie die Jungfrau zum Kinde. Für einen schwedischen Fernsehsender filmte er Greta Thunberg 2018 vor den schwedischen Wahlen, als sie Freitag für Freitag ganz alleine mit ihrem inzwischen weltberühmten Slogan «Skolstrejk för klimatet» vor dem Parlament sass. Über Wochen filmte Grossman die Fünfzehnjährige, ohne genau zu wissen, was daraus werden sollte. Ein Kurzfilm? Eine Portraitserie über junge Protestierende?

Dann ging Greta viral, die junge Frau mit Aspergersyndrom machte international Schlagzeilen und weltweit raufte sich die Klimajugend zu den Fridays for Future zusammen. Einladungen für Klimakonferenzen flatterten plötzlich in den Briefkasten der Thunbergs, mit ihrem Vater fing Greta an, per Elektroauto und Nachtzug quer durch Europa zu touren und Reden vor versammelten Staatsoberhäuptern zu halten. Grossman ging mit und hielt die Kamera drauf.
Der Weg, den Greta Thunberg innerhalb nur eines Jahres zurücklegte, ist überwältigend. Über Nacht wurde aus dem einsamen Mädchen eine gefeierte Botschafterin für eine nachhaltige Zukunft. Das geht nicht ohne Spannungen. Es reicht, die Reden zu vergleichen, die sie an der Klimakonferenz in Polen, später im EU-Parlament und schliesslich vor der UNO hielt, um zu merken, wie sich ihre Frustration und Ernüchterung von Mal zu Mal akkumulieren. Die junge Greta tut sich schwer; mit den festgefahrenen Prozessen der Politik, den hehren Versprechungen der Verantwortlichen und den leeren Floskeln der Menschen, die sie einladen, um ihr scheinbar Gehör zu schenken.
Doch Grossman reiht nicht einfach Rede an Rede, sein Film glänzt nicht mit archivalischer Leistung, sondern mit den persönlichen Szenen dazwischen. Lang sind die Zugfahrten durch triste Gegenden, zehrend sind die Protestmärsche inmitten unzähliger Fans, die Greta alle am liebsten umarmen würden, quälend sind die Gänge auf die Konferenzen, wo Beamt_innen und Organisator_innen um ein Selfie bitten. Am schlimmsten ist aber die berüchtigte Atlantiküberquerung per Segelboot, die Grossman ebenfalls mitmacht. Gnadenlos klatschen die Wellen gegen den Bug des Hightechschiffs, während Greta, an ihrer Mission zweifelnd, per Sprachmemo Tagebuch führt.

Grossman beweist in seiner Sicht auf Greta Witz und ein Flair für Kontraste, etwa wenn hinter dem einsamen, kleinen Mädchen an irgendeinem Bahnhof ein nicht enden wollender Zug mit Neuwagen vorbeizieht. Oder wenn er die Tonspur, in der Greta ihre Abscheu vor den Selfie-jagenden Politiker_innen kundtut, über genau jene Bilder legt, in denen Menschen mit Handys um die Wette strahlen, während Greta mit steinernem Gesicht danebensteht.
I Am Greta zeichnet aber nicht nur das politische Coming-of-Age einer Ausnahmeaktivistin nach, sondern auch die Geschichte einer Vater-Tochter-Beziehung. Wo Greta hingeht, geht Svante ebenfalls hin. Ihr Vater ist ihr Manager und persönlicher Assistent, und als sie Drohungen erhält, sehen wir, wie er einen Bodyguard-Kurs besucht. Wenn es Greta zu viel wird, vergräbt sie sich in eine Art lethargische Starre, aus der er sie fast schon gewaltsam reissen muss, damit sie überhaupt noch etwas isst. Nur als er ihr bei der Formulierung einer Rede helfen will, zeigt sie ihm, wo sein Platz ist: weit weg von ihrem Laptop.
Grossmans Film lässt einen tiefen Blick in Gretas Leben zu. Nur der Titel will nicht so recht dazu passen. Leider klingt I Am Greta mehr nach unkritischer Hagiografie als nach differenziertem Porträt. Das Promotionsplakat, das Greta mit gefalteten Händen zeigt, hilft dabei nicht, diesen Eindruck zu schwächen. Aber eine Perle kann man ja auch in einer Bibel verstecken.
Ab dem 16. Oktober in Deutschschweizer Kinos.
Regie, Buch, Kamera: Nathan Grossman; Schnitt: Hanna Lejonqvist, Charlotte Landelius; Musik: Jon Ekstrand, Rebekka Karijord; Mit: Greta Thunberg, Svante Thunberg, António Guterres, Arnold Schwarzenegger, Nicolas Sarkozy. Produktion: B-Reel Films, S 2020. 97 Min. Verleih CH: Filmcoopi.
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