The Assistant

Kitty Green
Der Film zur Weinstein-Affäre ist hier. Doch The Assistant legt den Fokus ganz auf das missbräuchliche System hinter dem #MeToo-Täter und die Menschen, die es stützen. Und zeigt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Er lauert dauernd unsichtbar im Hintergrund, der Chef. Was er den ganzen Tag so treibt, lässt sich nur an den Überresten ablesen, die er in seinem Büro hinterlässt: Krümel eines eiligen Mittagessens, halb getrunkenes Luxuswasser, ein einzelner Ohrring auf dem Teppich. Aufräumen muss das, sobald er wieder im Vorführraum sitzt oder sich mutmasslich in einem Hotel amüsiert, seine Assistentin Jane. Diese machte sich noch mitten in der Nacht ins Büro auf, um den Müll des Vorabends wegzuräumen, Drehbücher zu kopieren und übermüdet auf Akten zu starren. Sie schaltet die Neonröhren im Grossraumbüro morgens ein und nachts wieder aus. Der Film legt den Fokus auf diese Figur und folgt ihr einen Tag lang durch ihren Job in einer New Yorker Produktionsfirma, die in zwei unscheinbare Häuser in Downtown Manhattan gequetscht ist und verdächtig an die Weinstein Company erinnert.

Jane ist nicht zu beneiden, und über den ganzen Film hinweg schauen wir in das gequälte Gesicht Julia Garners, die sie spielt. Die Charakterdarstellerin hat sich vor allem mit der Serie Ozark einen Namen gemacht, dort als kluge und skrupellose Hillbilly-Tochter mit grosser Klappe. In The Assistant dagegen hat sie nicht viel zu sagen, weder auf Dialog- noch auf übertragener Ebene. Ihre zwei Kollegen im Vorzimmer des Chefs diktieren ihr selbst die Entschuldigungsmail, die sie an «ihn» formulieren muss. Dabei hatten sie den Anruf der aufgebrachten Frau des Chefs an Jane delegiert, im Wissen, dass der ohnehin den Ehestreit an der Kollegin auslassen würde. Aber Jane entschuldigt sich, entschuldigt sich den ganzen Tag für irgendetwas: Dafür, dass der Sitzungsraum noch nicht aufgeräumt ist, als zwei Produzenten ihn benutzen wollen, dafür, dass sie ihrem Vorzimmerkollegen ein Poulet- anstelle eines Truthahn-Sandwiches gebracht hat. Und sogar dafür, dass sie bei der internen Beschwerdestelle ihre Sorgen darüber geäussert hat, was der Chef mit der neuen, hübschen und kaum-legal-jungen Assistentin in einem Hotel treibt. Keine zwei Monate ist sie in diesem Job, der die einmalige Chance für eine steile Karriere sein soll. Doch erst muss sie lernen, wo ihr Platz in diesem toxischen Gefüge ist.

Und darum dreht sich der Film im Kern: Um das Machtsystem eines Chefs, der jungen Mädchen für unmoralische Gegenleistungen eine rosige Zukunft im Film ermöglicht. Und um die Angestellten (Männer wie Frauen), die um diese Missbräuche wissen und darüber hinwegsehen wie über ein notwendiges Übel. «Mach dir keine Sorgen, du bist nicht sein Typ», sagt ihr der Kollege von der Beschwerdestelle, nachdem er ihre Anschuldigungen gegen sie gewendet und sie der Eifersucht gegenüber der neuen, jungen Assistentin bezichtigt hat – kurz bevor er alles dem Chef erzählt, was ein neuerliches, demütigendes Telefonat und eineEntschuldigungsmail nach sich zieht. Janes Tag ist eine nicht enden wollende Tortur in einem paternalistischen Gewaltsystem, das alle Beteiligten durch seine Mühlen treibt.

Es ist ein trister Ort, der hier inszeniert wird: Die engen Büroräume sind lieblos eingerichtet, die Mikrowelle starrt deprimierend aus der Kochnische in den Flur hinaus, die Kälte des New Yorker Winters schleicht sich von der Strasse in die entsättigten Bilder ein. Selbst Jane sitzt irgendwann im Wintermantel und Schal im geheizten Büro und scheint durchfroren. Einziger Lichtblick: die farbigen Cerealien, die sie irgendwann zwischen Telefonaten und Sitzung in sich hineinschaufelt.

Regisseurin Kitty Green zeichnet mit ihrem Spielfilmdebut die dunkel-abgründige Welt hinter dem Showbiz nach, die von der #MeToo-Bewegung ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt worden ist. Die Anspielung auf Weinstein ist sehr gezielt, dass sein Name nie fällt und wir den Chef auch nicht zu Gesicht bekommen, wohl ebenso. Einerseits umgeht der Film damit elegant das Problem, einen grausamen Mann erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen. Schliesslich wurde er längst gecancelt. Er wird damit aber auch zum pars pro toto. Die Botschaft: Weinstein ist nur ein Beispiel und wir haben ein systemisches Problem. Die gutmütige Jane wiederum verkörpert in diesem Gefüge letztlich all jene eigentlich anständigen Menschen, die längst wussten, was sich spät am Abend hinter der Bürotür des Chefs abspielt, und ihrer Karriere zuliebe entschieden, den Mund zu halten.

Ab dem 22. Oktober in Deutschschweizer Kinos.
Regie, Buch: Kitty Green; Kamera: Michael Latman; Kitty Green, Blair Mcclendon; Darsteller_in (Rolle): Julia Garner (Jane), Kristine Frøseth (Sienna), Matthew Macfadyen (Wilcock); Produktion: 3311 Productions, Bellmer Pictures; USA 2019. 87 Min. Verleih CH: Ascot Elite.
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