Antebellum

Christopher Renz
Plansequenzen, die das Grässliche hinter der Idylle verraten, Erzählebenen, deren Verhältnis sich erst am Ende ergibt – trotz vielversprechendem Set-up verschiessen die Regiedebütanten Bush und Renz ihr Pulver leider verfrüht.
Die Sonne scheint golden, der Himmel glänzt blau, und während die Kamera einem Weissen Mädchen in gelbem Kleid folgt, das über saftig grünes Gras hüpft, blendet die Sonne rot in die Linse, in ein Bild der Idylle, das etwas gar zu perfekt und hochglanzpoliert ist, als dass man ihm ganz trauen könnte; genauso, wie den kräftigen Streicherklängen, mit denen die Szene unterlegt ist, von Anfang an ein bedrohlicher Unterton beigemischt scheint. Das Mädchen bewegt sich, die Kamera dicht hinter ihr, auf ein herrschaftliches Anwesen zu. Zwei Stockwerke, Säulen und eine Freitreppe: Antebellum heisst dieser architektonische Stil, und er verweist auf die amerikanischen Südstaaten, auf den (natürlich nicht nur) dort verwurzelten historischen Rassismus sowie auf den amerikanischen Bürgerkrieg, der in der Abschaffung der Sklaverei resultierte.
Das alles ist in dem Heile-Welt-Kitschpanorama, das den Film eröffnet, bereits mit aufgerufen, aber die Einstellung ist noch lange nicht zu Ende. Das Mädchen in Gelb läuft zu einer Frau, die die Treppe hinunter eilt, die Kamera jedoch löst sich von den beiden, schwebt am Haus vorbei und heftet sich an die Fersen einer Gruppe von Soldaten, die uns zu einer Wiese führen, wo ein Zelt errichtet und Wäsche aufgehängt wird. Ein Raum der Arbeit, in dem zum ersten Mal Schwarze Menschen im Bild auftauchen.
Weiter gehts, immer noch ohne Schnitt, vorbei an einer Südstaatenflagge, zu den Behausungen der Schwarzen Arbeiter_innen, düstere, schon von aussen klaustrophobisch anmutende Bauten, nichts mehr mit Antebellum-Grandezza. Hinter den Baracken ist es mit der Idylle endgültig vorbei. Während auf der Tonspur die Streicher immer vehementer wüten, nimmt die Kamera eine Gruppe Weisser Soldaten in den Blick, die einen Schwarzen Mann drangsalieren, und schliesslich fährt sie ganz nah heran an die von Panik und Todesangst verzerrten Gesichtszüge einer Schwarzen Frau, die die Szene beobachtet.

Für einen Moment kristallisiert eine ganze Geschichte der Gewalt in einer Grossaufnahme, aber schnell setzt sich die Szene wieder in Bewegung: Die Frau dreht sich um und rennt weg und ein Schwenk bringt einen der Soldaten ins Bild, der ihr nachschaut, es aber nicht besonders eilig hat, die Verfolgung aufzunehmen. Erst mit diesem selbstsicheren Blick, einem Blick, in dem das Wissen steckt, dass er im Zweifelsfall immer das letzte Wort haben wird, weil die Macht auf seiner Seite ist, endet die spektakuläre, über vier Minuten lange erste Einstellung von Antebellum, dem Regiedebüt von Gerard Bush und Christopher Renz.
Über diese derart ausführlich zu schreiben, lohnt sich aus zwei Gründen. Zum Einen, weil sie nicht nur die historisch-politischen Konfliktlinien des Films einführt, sondern auch seine zentrale dramaturgische Strategie: den Blick hinter die Kulissen, der vermeintliche Sicherheiten kollabieren lässt und Bilder retrospektiv umwertet. Wie etwa das vom Mädchen in Gelb und der Familienidylle unter blauem Himmel. Zum Anderen, weil sich mit zunehmender Filmlaufzeit mehr und mehr der Eindruck aufdrängt, dass Bush und Renz einen Grossteil ihres Pulvers bereits in dieser ersten Plansequenz verschossen haben.

Wobei immerhin stets genug los ist in Antebellum. So bekommen wir zum Beispiel nicht nur ein, sondern gleich zwei hochgradig stilisierte Settings präsentiert. Beide sind um die Hauptdarstellerin Janelle Monáe herum entworfen. Zum Einen verkörpert die seit Moonlight auch zum Kinostar avancierte Musikerin Eden, eine der Sklavinnen, die auf den Baumwollfeldern hinter dem, siehe oben, Antebellum-Anwesen schuften und von sadistischem Weissem Wachpersonal terrorisiert werden; und zum Anderen spielt sie Veronica Henley, eine erfolgreiche Soziologin, die im Amerika der Gegenwart einen Bestseller über Diskriminierung verfasst hat.
Das Verhältnis der beiden Erzählebenen zueinander ist der zentrale Clou des Films, oder besser: der zentrale Twist, der einem idealerweise, wie in einigen Filmen von M. Night Shyamalan, mit einem Mal den Boden unter den Füssen wegzieht. In diesem Fall funktioniert das so mittelgut, und soweit es funktioniert, tut es dies vermutlich nur, weil die «Auflösung» derart abstrus ist, dass man ihre Vorzeichen, so lange es irgendwie geht, ignoriert.
Ab dem 15. Oktober in Deutschschweizer Kinos.
Regie, Buch: Gerard Bush, Christopher Renz; Kamera: Pedro Luque; Schnitt: John Axelrad; Darsteller_in (Rolle): Janelle Monáe (Veronica/Eden), Jena Malone (Elizabeth), Gabourey Sidibe (Dawn), Eric Lange (Senator Blake Denton); Produktion: Lionsgate, QC Entertainment; USA 2020. 105 Min. Verleih CH: Impuls.
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