Und morgen die ganze Welt

Julia von Heinz
Es ist die Geschichte der Regisseurin, ihrer Jugend in einer antifaschistischen Gruppe, die hier eigentlich erzählt wird. Julia von Heinz mag der Transfer ins Heute nur halbwegs gelingen.
Am Anfang schmeisst eine junge Frau unter einer Autobahnbrücke ein Gewehr fort. Es handelt sich um Luisa, Anfang 20, gespielt von Mala Emde. Danach folgt der Sprung zurück, in das «einige Zeit zuvor». Und morgen die ganze Welt beginnt, wie so viele Filme heute beginnen: mit einem Flash Forward, auf das die Rekonstruktion der Vorgeschichte folgt. Es ist in Wahrheit die Geschichte der Regisseurin – ihre Jugend in einer antifaschistischen Gruppe.
Eine Schulfreundin, mit der Luisa in Mannheim Jura studiert, führt sie in ein linkes Hausprojekt ein. Die Gruppe unternimmt eine Störaktion gegen die Wahlkampfveranstaltung einer Partei, die an die AfD erinnert. Was mit Trillerpfeifen, Sprechchören und fliegenden Torten beginnt, wird schnell handgreiflich: Luisa schnappt sich ein Handy, das einer der Nazis fallen gelassen hat. Der Besitzer verfolgt sie, wirft sie zu Boden, schlägt sie und greift ihr zwischen die Beine. Gerettet wird Luisa von Alfa (Noah Saavedra), der mit einer Eisenstange den Angreifer niederschlägt.

Nach dieser Gewalterfahrung, und weil ihr Retter selbst Gewalt als probates Mittel politischen Kampfes ansieht, wird sich Luisa zunehmend radikalisieren. So dreht sich der Film um die schematische Frage: Darf man, oder darf man nicht Gewalt anwenden im linken Kampf, wenn der Gegner selbst zu jeglicher Form von Gewalt bereit ist? «Leute, bleibt friedlich!», predigt ihre Freundin, aber Luisa, Alfa und Lenor (Tonio Schneider) wollen es nicht dabei belassen. Sie zerstechen nicht mehr nur Autoreifen, sondern verprügeln Nazis, steigen in ein rechtes Lager ein, finden Sprengstoff, vergraben ihn im Wald. Da kommen auch Luisa Zweifel: Vielleicht sollte man ihn besser zur Polizei bringen.
Gerade mit Bezug auf die Polizei sieht der Film eher klar: Die linke Szene ist oft im Visier der Ordnungshüter_innen als die rechte. Nazis grölen ungestört Lieder, in denen es ums Lynchen von jüdischen und Schwarzen Menschen geht, aber es ist das alternative Hausprojekt, das am Ende von Ordnungskräften gestürmt wird. Das passiert in Deutschland leider auch in der Realität immer wieder, zuletzt mit dem Liebig 34 in Berlin. Wie auch dieses Jahr wieder in den Schlagzeilen zu lesen war, ist die deutsche Polizei selbst von rechten Netzwerken unterwandert.

Schwierig wird der Film dort, wo Heinz, geboren 1976, ihre Erfahrungen mehr auf die heutige Antifa projiziert, als dass sie sich an sie anpasst. Ihr Blick ist leider recht Weiss geraten, Schwarze Personen und Kopftuchträgerinnen sind nur Nebenfiguren, die einige Male durchs Bild laufen. Ein anderes Problem ist der Chauvinismus von Alfa, in den sich Luisa verliebt. Der charismatische Leader sagt, wo’s langgeht, Andreas-Baader-Style. Im aktuellen queerfeministischen, intersektionalen und antirassistischen Kontext wirkt das ziemlich ungenau, da Alfas Machtfunktion ausser durch seinen Namen kaum thematisiert oder kritisiert wird. Linke Gruppen sind da heute oft an einem anderen Punkt, oder wollen es zumindest sein.
In seiner politischen Haltung bleibt der Film unmissverständlich: Faschist_innen müssen bekämpft werden. Der Titel bezieht sich auf ein NS-Propagandalied, um den Feind rechts zu markieren – nicht um hufeisenmässig linke mit rechter Gewalt gleichzusetzen. Das Problem ist eher, dass die Frage nach der Gewalt hier keine politische, sondern eine rein persönliche, private und biographische ist. Gewalt wird nicht als ein Punkt unter anderen diskutiert in einem diversen Umfeld mit diversen Standpunkten und anderen Problemen, sondern sie bleibt «die» fatale Entscheidung und Sackgasse in der persönlichen Entwicklung Weisser Bürgerkinder.
Entweder man radikalisiert sich und greift irgendwann, wütend und hilflos, zum Jagdgewehr der Eltern, wie Luisa das tut. Oder man macht doch ein paar Scheine an der Uni, passt sich an, verbürgerlicht sich, macht Karriere. Das ist die klügere Idee, wie aus eigener Erfahrung auch Dietmar (Andreas Lust) weiss, ein altes Mitglied der Revolutionären Zellen, bei dem Luisa und ihre Freunde vorübergehend Zuflucht finden. Die so gestellte Alternative erlaubt es einem nicht-linksradikalen Publikum, die jugendlichen Stürmer und Drängerinnen ein wenig zu bewundern und ein wenig zu verachten. Und sie wirkt als Seelenpflaster für jene, die ihre Entscheidung längst getroffen haben, Filmemacher_innen inklusive. Darüber vergessen sie, dass zwischen beiden Extremen viele Optionen bleiben.
Ab dem 29. Oktober in Deutschschweizer Kinos.
Regie: Julia von Heinz; Buch: John Quester, Julia von Heinz; Kamera: Daniela Knapp; Darsteller_in (Rolle): Mala Emde (Luisa), Noah Saavedra (Alfa); Produktion: Seven Elephants, Kings & Queens, Haïku Films, SWR, ARTE; D 2020. 111 Min. Verleih CH: Cineworx.
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