Mandibules

Quentin Dupieux
Eine Fliege mischt das Leben zweier trotteliger Kumpels auf. Mit seiner neusten Komödie bleibt Rubber-Regisseur Dupieux seinem absurden Humor treu.
Ah, der Film mit der Fliege. Vom Typen, der den Film mit dem Pneu gemacht hat. Quentin Dupieux’ Filme brennen sich mit ihren absurden Ausgangslagen ins Gehirn. Diesmal: Zwei etwas unterbelichtete Typen fassen eine absurde, irgendwie mafiös anmutende Mission, einen Koffer bei Person A zu holen und bei Person B abzuladen und dafür 500 Euro zu kassieren. Also schnappt sich Manu (Grégoire Ludig) einen alten Mercedes, der unverschlossen am Strassenrand steht, lädt seinen Kumpel Jean-Gab (David Marsais) ein und los gehts. Doch dann machen die beiden eine Entdeckung, die den Plot auf den Kopf stellt: Im Kofferraum des geklauten Wagens finden sie eine gigantische Fliege.
Dupieux’ Werk eine tieferliegende Absicht zuzuschreiben, wäre anmassend. Schliesslich betont der Regisseur und DJ (Mr. Oizo) in Gesprächen mit Journalist_innen gerne, dass er keine Ahnung habe, was er mache. So etwa zu seinem letzten Film Le Daim gegenüber Filmbulletin (N° 5/19). Eine Ansage, die einen natürlich nicht daran hindert, eine tieferliegende Bedeutung entdecken zu wollen. Rubber wurde beispielsweise mit seiner Metaebene des kommentierenden Publikums als Spitze gegen die Fantasielosigkeit Hollywoods gelesen, Le Daim erscheint als Analyse der Subjekt-Objekt--Beziehung, Au Poste! drückt einem die Hinterfragung der fiktionalen Prämisse mit der Auflösung des Bühnen-sets zum Schluss geradezu auf. Und Mandibules?

In einem Interview mit den «Cahiers du cinéma», die dem Film unter dem Titel «Dupieux fait mouche» (etwa: Dupieux trifft ins Schwarze, und freilich ein Wortspiel mit dem französischen Wort für Fliege) einen ganzen Schwerpunkt widmeten, sagte Dupieux, dass er einen «aufrichtig dummen, netten, sonnigen» Film habe drehen wollen.
Wollte man böse sein, könnte man Dupieux vorwerfen, er erzähle Mandibules wie ein kleines Kind: Und dann entdecken die Männer eine riesige Fliege im Kofferraum. Und dann wollen sie sie dressieren, um Banken auszurauben, und dann hält eine Frau Manu für einen alten Freund und lädt sie zu ihnen in ihr Ferienhaus ein, und dann … So weit, so willkürlich. Im Verlauf der Geschichte reihen sich Absurditäten an Zufälle, und die beiden Hauptfiguren hangeln sich mit einer rücksichtslosen Dreistigkeit durch eine Geschichte, die sich nur mit zwei zugedrückten Augen eine gewisse Plausibilität erhält.
Und doch erwischt man sich dabei, wie man in diesem Spiel emotional den beiden unbeholfenen Trotteln verfällt, die man als echte Freunde wohl nicht allzu lange aushalten würde. Ihre Taten haben zwar Konsequenzen, etwa, dass eine Freundin, die aufgrund einer Behinderung immer schreien muss, in die Psychiatrie eingeliefert wird, nachdem sie die Fliege entdeckt hat. Doch auch ihr tragisches Laokoon-Schicksal als unerhörte Warnerin nimmt man in der Leichtigkeit des Films mit einem Schulterzucken hin. Es ist ja nur eine Geschichte.

Dupieux will unterhalten, und das tut er. Die Scharade von Manu und Jean-Gab leiert sich zu keinem Zeitpunkt aus. Ja, die Handlung ist ziemlich beliebig, doch ist es eine sorgfältig ausgewählte Beliebigkeit, und Dupieux hat sein Handwerk seit Rubber, Wrong und anderen Tauchgängen in verstörende Traumwelten perfektioniert.
Mandibules geht zwar der geniale Twist Dupieux’ mit Abstand komplexestem Film Réalité/Reality ab, in dem ein Regisseur einen Film schreiben will, denselben in seiner Recherche bald schon fertig gedreht im Kino entdeckt und sich daraufhin in einer paradoxen Zeitschlaufe wiederfindet. Mandibules ist kein Mindfuck, und abgesehen von der nimmersatten Riesenfliege bewegt sich die Geschichte in der einigermassen realen, hitzeflirrenden Welt im südfranzösischen Nirgendwo. Dafür triggert er intelligent einen basalen Humor, ohne dabei in einen Klamauk à la Dumb and Dumber zu verfallen.
Vielleicht ist der Film eine irrsinnige Parabel für die Aussichtslosigkeit sozial abgehängter Gesellschaftsverlierer mit der Fliege als Symbol für die Versuchungen gefährlicher Heilsversprechen. Vielleicht auch nicht. Die titelgebenden Kiefer oder Mundwerkzeuge übrigens, die der Fliege ja abgehen, lösen sich mit dem geheimnisvollen Koffer und der scheinbar mafiösen Lieferung dann doch noch auf: Ein reicher Opa hat sich ganz einfach supercoole, mit unzähligen Brillanten besetzte Zahnaufsätze liefern lassen. Ist das wichtig, um den Film zu verstehen? Ha!
Ab 31. Dezember in Deutschschweizer Kinos.
Regie, Buch, Kamera, Schnitt: Quentin Dupieux; Musik: Metronomy; Special Effects: CLSFX Atelier 69, Machine Molle; Darsteller_in (Rolle): Grégoire Ludig (Manu), David Marsais (Jean-Gab), Adèle Exarchopoulous (Agnès); Produktion: Chi-Mi-Fou Productions, Memento Films u.a.; F 2020. 77 Min. Verleih CH: Praesens Film.
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