The Invisible Man

Leigh Whannell
Eine Frau, der man nicht glaubt, weil der Angeklagte zu Gewalt nicht fähig erscheint? Ein aalglatter Silicon-Valley-Typ, dessen Erfindungen wie Scharlatanerie erscheinen und der mit seinen Ambitionen die Welt erstickt? Mehr «2020» als der neue Horrorfilm The Invisible Man kann ein Kinofilm momentan kaum sein.
Eine Frau, der man nicht glaubt, weil der Angeklagte zu Gewalt nicht fähig erscheint? Ein aalglatter Silicon-Valley-Typ, dessen Erfindungen wie Scharlatanerie erscheinen und der mit seinen Ambitionen die Welt erstickt? Mehr «2020» als der neue Horrorfilm The Invisible Man kann ein Kinofilm momentan kaum sein.
Kurz auf die Urteilsverkündung im Harvey-Weinstein-Prozess folgt der Kinostart von The Invisible Man. Inspiriert ist er von H. G. Wells’ Roman gleichen Namens und ihrer wohl bekanntesten Verfilmung von 1933, entstanden unter Regisseur James Whales. Der 2020er-Film wechselt die Prämissen dieser Vorlagen, passt sie dem aktuellen politischen Klima an: Er folgt nicht mehr dem verrückten Wissenschaftler, der sich mittels neuester Technologie in einen Unsichtbaren zu verwandeln mag, sondern seiner (Ex-)Freundin, die mit der Angst leben muss, nun einen beleidigten und unsichtbaren Ex-Geliebten zu haben. «He only haunts you when you let him. Don’t let him», lautet der gutgemeinte aber unnütze Tipp an die von Elisabeth Moss dargestellte Cecilia. Mit ihren Ängsten stösst sie in ihrem Umfeld auf taube Ohren. Der Hinweis, sie solle ihren Exfreund schlicht ignorieren, würde bei «normalen» Beziehungskonflikten und Fällen des Übergriffs bereits wenig nützen – hier, wo man es mit einem unsichtbaren Angreifer zu tun hat, noch viel weniger.

Regisseur Leigh Whannell betritt bekanntes Terrain, ist The Invisible Man doch nicht sein erster Ausflug ins Horrorgenre. Als langjähriger Arbeitspartner von Regisseur James Wan war er bereits an den Horrorfranchises Saw (ab 2004) und Insidious (ab 2010) als Drehbuchautor beteiligt. Diese Ausrichtung – Franchises – würde übrigens gut zu Universals ursprünglicher Strategie passen, die sich mit dem mittlerweile berüchtigten Filmreihenprojekt «Dark Universe» an der momentanen Franchise-Wut Hollywoods und zugleich an Neuauflagen klassischer Universal-Horrorgeschichten um Dracula, Frankenstein, den Werwolfmann oder die Mumie versuchte. Der Plan ist mit dem Misserfolg von The Mummy wohl ins Wasser gefallen, da der Film 2017 trotz hochkarätiger Besetzung niemanden zu begeistern vermochte. Mit gekürztem Budget (ursprünglich war Johnny Depp für die Hauptrolle vorgesehen) und jenseits des «Dark Universe» erschienen, konnte aber auch The Invisible Man kleine Anspielungen an mögliche Fortsetzungen nicht unterlassen.
Mit ansprechenden Bildern und einigen genregemässen und solid inszenierten Schreckensmomenten, provoziert durch einen heftigen Score, zieht The Invisible Man seinen Horror also nicht nur aus einer Science-Fiction-Imagination, sondern erinnert an aktuelle Medienberichte, an die Diskussionen um die Glaubwürdigkeit von Opfern und die Diffamierung angeblicher Täter. Der Film erinnert daher weniger an Whales Filmvorlage von 1933 als an George Cukors Gaslight von 1944. In diesem wird Ingrid Bergmans Paula von ihrem Gatten Gregory (Charles Boyer) langsam um den Verstand gebracht, als Paula Unheimliches erkennt, Gregory ihr aber suggeriert, dass sie sich das alles nur vorstellt.
Diese Neuperspektivierung ist die Stärke des Films und macht ihn sehenswert für ein Publikum, das Spannung und eine massentaugliche Variante von Horror geniesst. Auch die Besetzung mit Moss ist ein Pluspunkt: In den Händen einer weniger fähigen Schauspielerin hätte es sein können, dass Cecilia – zumindest über weitere Strecken hinweg – zu einer im Horrorfilm schon so oft gesehenen, konstant verzweifelten und hilflosen Verfolgten verkommen wäre. Moss’ Spiel gibt der Hauptfigur aber, auch in ihren düstersten Momenten, etwas Widerständiges.
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