The Gentlemen

Guy Ritchie
In The Gentlemen liefert Guy Ritchie endlich wieder solide Unterhaltung ab – sein Gangsterstreifen lässt sich auch darum nur als Ausflug ins kinematografische Wunderland verstehen.
«It’s cinema. It’s beautiful, beautiful cinema», meint Hugh Grants Figur zu Beginn und gibt zugleich den Ton des Films an: The Gentlemen spielt in einem imaginären London, in dessen urchigen Pubs Biere aus Zapfhähnen und Kugeln aus den glänzenden Pistolenläufen schiessen, während man den nächsten Drogencoup in blumigen Metaphern und die Hackordnung der Mafiaverbunde – Gangsterbosse, gepflegte Gentlemen, Schlägertypen – organisiert. In Guy Ritchies jüngstem Film weiss man stets, dass das Gezeigte nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat; selbst die Figuren reden in The Gentlemen voneinander, als wüssten sie, dass sie nur Chargen in einem Film sind. Diesmal wechselt neben Hanf und Heroin zum Schluss auch ein Filmskript den Besitzer, wobei auf seinen Seiten die gerade erzählten Ereignisse des Films nochmals notiert sind – der Film enthält sich in gewisser Weise selbst.
Nachdem er sich als Regisseur bekannter Franchises (Sherlock Holmes) oder Disneys Live-Action-Remakes (Aladdin) versucht hat, kehrt Ritchie auf bekanntes Terrain zurück. Auf diesem hatte er sich vor zwei Dekaden mit Lock, Stock and Two Smoking Barrels und Snatch einen Namen als Regisseur mit unverwechselbarer Handschrift gemacht: der Kampf zwischen Branchen des organisierten Verbrechens, getrennt durch Schicht und Herkunft, die Verbandelungen, Kampf um Loyalität, die dabei unweigerlich entstehenden Missverständnisse und gelegentliche Opfer – all dies kennt man aus den Vorgängern. Den Themenkreis inszeniert Ritchie jeweils mit einer high-concept-Ästhetik: Schnelle Schnitte und lässige Montage-sequenzen lassen wenig Raum für Kontemplation, liefern dafür fast ein Übermass an «Coolness» ab. Wie in Lock, Stock and Two Smoking Barrels oder Snatch erzählt Ritchie auch in seiner jüngsten Produktion unterhaltsam, witzig, ziemlich brutal und ungehobelt.

Ritchies Filme sind auch Schauspielerkino. Besonders Matthew McConaughey als umtriebiger, amerikanischer Drogendealer Mickey und Hugh Grants zwielichtiger Privatdetektiv Fletcher fluchen und trinken, wie es Schönlingen wie ihnen in Hollywoodproduktionen selten gewährt ist. Gerade Grants Rolle schafft auf erfrischende Weise seinem English-Gentleman-Image Abhilfe. The Gentlemen setzt in dem Moment an, als Mickeys mühsam errichtetes Drogenimperium von noch unbekannten Gestalten im Untergrund bedroht wird. In die Abwicklung des Geschäfts sind – ganz zeitgemäss – aber nicht nur Zweige der Mafia aus aller Welt involviert, auch die anstehende Legalisierung von Cannabis spielt mit. Fletcher, der seine Informationen an die Boulevardpresse verhökert, bringt sich zunächst freiwillig ein – lehnt sich dabei aber etwas zu weit aus dem Fenster und muss nun mit den grossen Jungs mitspielen.

Der selbstreflexive Ton und die geschichtete Narration erinnern nicht zuletzt an weitere nostalgisch anmutende Produktionen, die im vergangenen Jahr auf der Leinwand oder in den Katalogen der Streamingportale zu finden waren: Mit The Irishman kehrte auch Martin Scorsese gerade erst in heimische Genregefilde zurück. Und was ist Quentin Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood, wenn nicht eine Metabetrachtung des eigenen Schaffens? Wie diese beiden Filme kann The Gentlemen als erneute Abhandlung männlicher Stereotypen der Filmgeschichte gelesen werden: Die «klassischen» Gangster, Männer mit Tradition, werden von neuen Spezies bedroht. «Gentlemen» sind nämlich diejenigen, die «nur» mit Marihuana handeln und nicht mit Heroin, dem «destroyer of worlds». Männerbilder treten hier im Vergleich zu zahlreichen Vorgängern aber immerhin in Variationen auf: Ungewohnt in dieser Genrelandschaft ist etwa Grants offen mit ihrer Homosexualität kokettierende Figur. Henry Golding, der in Crazy Rich Asians 2018 noch den perfekten männlichen love interest spielte, überrascht in seiner Rolle als skrupelloser Nachwuchsgangster «Dry Eye».
The Gentlemen ist eine Liebeserklärung an Londoner Gangstergeschichten. Ob solche von Männern dominierten Erzählungen auch 2020 noch Platz auf der Leinwand haben sollten, ist zu Recht umstritten – sie wirken irgendwie aus der Zeit gefallen. Wer sich aber ab und an nach einer soliden Genreproduktion und den «guten alten Zeiten» sehnt, für den wird The Gentlemen ein Genuss sein. Der Film liefert nämlich gekonnt ab, was er verspricht: Wo «Guy Ritchie» draufsteht, ist nun wieder «Guy Ritchie» drin.
Gefällt dir Filmbulletin? Unser Onlineauftritt ist bis jetzt kostenlos für alle verfügbar. Das ist nicht selbstverständlich. Deine Spende hilft uns, egal ob gross oder klein!