It Must Be Heaven

Elia Suleiman
Wie dreht man einen Film über ein Land, das nicht existiert? Mit Humor, ist Elia Suleimans Antwort, der ein Palästina porträtiert, das gleichzeitig Nichtort und Sehnsuchtsort ist.
Mit Filmen ist es ein wenig wie mit Pflanzen: Sie brauchen Geduld und Pflege, um zu gedeihen. In der Ecke des Appartements des Filmemachers in Nazareth steht eine solche Pflanze, ein Zitronenbaum. Der Regisseur gibt ihm anfangs etwas Wasser, während er eine Uhr stellt, eine Zigarette raucht und einen Kaffee trinkt. In seinem Vorgarten findet sich eine ganze Reihe weiterer Zitronenbäume, fast ein kleiner Hain.
Bleibt man in der Metapher «Film gleich Zitronenbaum», lässt sich davon ableiten, dass der arabisch-israelische Filmemacher Elia Suleiman, der sich hier selbst spielt, schon ein paar Filme gemacht hat, die nun «im Garten» stehen, also «draussen» sind und ästhetische, intellektuelle und politische Früchte tragen. Sein aktueller Film, It Must Be Heaven, der letztes Jahr im Wettbewerb von Cannes lief, ist hingegen ein Zögling, der vorerst im Haus (oder Kopf) des Filmemachers residiert und erst noch wachsen muss.
Suleimans Garten kann natürlich kein Ort sein, der allein dem Filmemacher gehört. Die Filme sind draussen, das heisst: Andere kümmern sich nun um sie, sehen, interpretieren, kritisieren sie. Zwar steht der Zitronenhain auf Suleimans Grundstück, doch ein dreister Nachbar scheint die Grenzen nicht ganz ernst zu nehmen und fühlt sich inmitten der Bäume ganz wie zu Hause. Fröhlich sammelt er Zitronen für den eigenen Gebrauch ein und schneidet auch mal die Bäume, damit sie, wie er Suleiman versichert, demnächst noch grössere Früchte tragen.
Die Schwierigkeit der nachbarschaftlichen Abgrenzung sagt auch viel über die Situation im Nahen Osten, über das schwierige Zusammenleben von Israelis und Palästinenserinnen, Juden, Christinnen und Muslimen. Im ersten Teil des Films, der in Nazareth spielt, zeigt Suleiman die gesellschaftlichen Spannungen und das gewaltvolle Rumoren der Umgebung, ohne zu deutlich zu werden.
Der Film besteht aus einer Abfolge von kleinen tragikomischen Szenen und Sketchen, die es erlauben, mikroereignishaft die absurden Zeichen und Symptome einer komplexen Gesamtsituation aufzuzeigen. Suleiman geht über die Strasse, während hinter ihm eine Gruppe bewaffneter junger Männer auf ihn zu rennt – und an ihm vorbei: Sie wollten gar nicht ihn überfallen, sondern sich ihrerseits vor Verfolgern verstecken. Später irrt ein Mann durch die Strassen, mit einem blauen Auge, das er im Rückspiegel eines Motorrollers betrachtet.
Und auf der Autobahn erkennt Suleiman in einem Wagen, der ihn überholt, zwei israelische Soldaten, die sich gegenseitig ihre Sonnenbrillen hin- und herreichen, während auf der Rückbank eine junge Frau sitzt, der man die Augen verbunden hat.

Suleiman inszeniert sich als Beobachter, der den entsprechenden Ereignissen im Gegenschuss frontal gegenübersteht. Aber diese Frontalität ist nicht nur eine Bezugnahme, sondern auch ein Widerstand. Suleiman schaut nur und sagt kein Wort, er bleibt stumm, als wolle er seine Weigerung deutlich machen, irgendetwas zu kommentieren: Politische Statements sind von ihm nicht zu erwarten.
In Paris lehnt ein französischer Produzent sein neues Filmprojekt ab, weil es ihm nicht spezifisch «palästinensisch» genug vorkommt; in New York wird der ebenfalls sich selbst spielende Gael -García Bernal einer anderen Produzentin erklären, dass Suleiman zwar ein «palästinensischer Filmemacher» sei, jedoch «lustige Filme» drehe, womit die Produzentin nicht das Geringste anfangen kann.
Insoweit hier suggeriert wird, Suleiman wolle einen Film «über Palästina» drehen, das es nicht gibt, jedenfalls nicht in Form eines autonomen Staatsgebiets, kann dieses Vorhaben nur stumm, unmöglich oder lustig sein. Derjenige, der es sich vornimmt, zeigt sich als stummer Komiker; Suleimans Gesicht, umrahmt von Brille und Hut, bleibt so stoisch und unbewegt wie das des (ebenfalls oft Hut tragenden) Stummfilmkomikers Buster Keaton.
Realisiert werden kann dieser Film nur über geografische Umwege. Suleiman pflanzt den Zitronenbaum in seinen Garten – der Film beginnt, muss anfangen zu wachsen, in der Welt existieren. Doch im selben Moment verlässt der Filmemacher Palästina und reist nach Paris. Wenn es die Heimat nicht (mehr) gibt, kann diese fortan nur überall anders als eben dort gefunden werden, wo sie eigentlich sein sollte. Das Hier ist immer schon ein Anderswo: Ici et ailleurs, so heisst ein Film Jean-Luc Godards von 1976, der zwischen Frankreich und dem Nahen Osten pendelt, zwischen Europa und palästinensischen PLO-Kämpfer_innen in ihren Ausbildungslagern.

Dieses Anderswo ist kein konkreter Ort, sondern ein radikales «ailleurs», wie der titelgebende Himmel. Auf der Reise nach Paris gerät das Flugzeug in schwere Turbulenzen. Wenn Suleiman schliesslich in der französischen Hauptstadt landet, auf der Terrasse eines Cafés sitzt und die sehr schönen und sehr schön gekleideten (meist weiblichen) Körper vor ihm entlang defilieren: Ist er da noch auf Erden, oder hat ihn ein möglicher Flugzeugabsturz schon ins Paradies befördert?
Doch beides läuft auf dasselbe hinaus: Gerade der Nichtort, das Jenseits, der Himmel wird Spuren von Palästina tragen. Düsenjäger donnern über Suleiman hinweg, während Panzer durch die ausgestorbenen Strassen rollen. Es ist der 14. Juli, der französische Nationalfeiertag, und so erinnert die Militärparade doch wieder an den hoch militarisierten Osten.
In diesem Sinne wird Suleiman von dem französischen Produzenten daran erinnert, dass für ihn Palästina überall sein könnte: in Paris ebenso wie in New York, wo Suleiman später im Central Park eine junge Frau beobachtet, die ein Oberteil mit Palästina-fahne trägt, und Menschen schwer bewaffnet zum Einkaufen gehen.

In Synonymes, dem Gewinnerfilm der letztjährigen Berlinale, hatte unlängst ein anderer Bewohner der Dauerkrisenregion, Nadav Lapid, einen jungen Israeli nach Paris geschickt, der seiner Heimat den Rücken kehren will und doch nicht fliehen kann – Nationalismus und martialisches Gebaren holen ihn schnell wieder ein. Lapids Protagonist, Yoav, will seine Muttersprache ablegen, nur noch Französisch sprechen.
Suleiman verweigert sich in seiner Stummheit ebenfalls seiner Muttersprache wie jeder sprachlichen Äusserung überhaupt. An der einzigen Stelle, an der er etwas sagt, spricht er nicht Arabisch (oder Hebräisch), sondern Englisch. Auf die Frage des New Yorker Taxifahrers nach seiner Herkunft nennt er Nazareth und Palästina. Suleiman antwortet hier auch als Exilant, der von 1982 bis 1993 in den Staaten gelebt und dort seine ersten Filme gedreht hatte.
Aber welche (Film-)Sprache kann es geben, um einen Film über Palästina zu drehen? Oder gar, wie es García Bernal der Produzentin gegenüber andeutet, über Frieden im Nahen Osten?
Am Ende kehrt Suleiman nach Nazareth zurück. Der Nachbar wässert eifrig den Garten des Filmemachers. Nur den neuen Zitronenbaum beachtet er kaum. Suleiman wirft ihm einen strengen Blick zu, bis der andere schuldbewusst den Gartenschlauch an den Sprössling hält.
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