Bloodride

Kjetil Indregard, Alte Knudsen
Man hat’s bereits vermutet: Horror kommt am besten als Anthologie daher, verpackt in knackige Kurzgeschichten, die einen immer wieder aufs Neue gruseln lassen. Wie damals am Lagerfeuer.
Bloodride, eine norwegische Miniserie auf Netflix, steht – betrachtet man die Fernsehgeschichte – in allerbester Tradition: Mit dem Serienklassiker Twilight Zone, der in den Fünfzigern anlief, Night Gallery, 1969 gestartet, und der Achtzigerserie Tales from the Crypt hat sie Einiges gemeinsam. Wie die Vorgänger erzählt Bloodride voneinander unabhängige Geschichten mit jeweils komplett neuem Cast, zusammengehalten durch eine minimale Rahmenerzählung. Ein Bus mit zombiehaftem Fahrer streift durch die Nacht, eben ein «Bloodride», wie der/die aufmerksame Zuschauer_in schliessen mag. Im Bus sind die Hauptdarsteller_innen aller sechs Episoden versammelt und blicken, zu ironisch-trashigen Gitarrenriffs, die an die Soundtracks der Achtzigerjahre erinnern, verschwörerisch in die Kamera, bevor ihre Geschichte jeweils in einer der sechs Episoden abgespult wird.

Dabei entwickelt sich der Horror fast immer im grellen Tageslicht. Schon in Folge eins, «Ultimate Sacrifice», in der die Mutter Molly (Ine Marie Wilmann) mit ihrer Familie widerwillig aufs Land ziehen muss, weil sie in Oslo für Miete und aufwändigen Lebensstil schlicht zu viel Geld verprasst. Die rasant eskalierende Geschichte, die man in einem elevator pitch vielleicht als «Midsommar meets Stepford Wives» bezeichnen könnte, ist mit viel Humor und Lust am Horrorgenre angereichert.

Ähnlich unterhaltsam geht’s in den weiteren Episoden zu und her: Da wäre zum Beispiel «Three Sick Brothers», in dem der junge Erik (Erlend Rødal Vikhagen) nach einem Zwischenfall, von dessen Natur man erst nach und nach erfährt, aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen wurde, um gleich einen Road-trip mit seinen Brüdern zu machen. Oder «Lab Rats», wo Mitarbeiter_innen eines Pharmakonzerns selbst zum Testobjekt werden. In «Bad Writer» nimmt die Geschichte einen gänzlich unerwarteten Lauf, wenn sich Fiktionales im Filmuniversum plötzlich mit der Handlung vermischt – mehr sei nicht verraten. Der Plot erinnert an die unterhaltsamsten Fantasien bekannter Horrorschriftsteller, wie Stephen Kings «The Dark Half» von 1989, der ein Jahr darauf von «Zombie-
vater» George A. Romero verfilmt wurde. Oder an John Carpenters In the Mouth of Madness von 1994.

Was Bloodride mit diesen Filmen verbindet, ist der leichtfüssige Zugang zum Genre. Oft ergibt sich ein twist innerhalb der Episode, der vorab Geschehenes in neuem Licht erscheinen lässt. Diese Lust am Geschichtenerzählen an sich ist ungewohnt für europäisches Horrorkino, das oft viel ernster daherkommt und in dem das Genre ohnehin eher stiefmütterlich behandelt wird. Vielmehr erinnert sie eben eher an Ami-Horror aus den Achtzigerjahren.

Das charmante Norwegische hilft dann auch, dass die Serie trotz Abarbeiten an bekannten Horror-szenarien doch wie ein frischer Wind wirkt. Daher dürfte Bloodride gerade für gestandene Genrefans ein besonderer Genuss sein. Aber auch für solche, die es erst werden möchten: Auch wenn «Horror» stets präsent ist, sind die Geschichten nicht am reinen Gemetzel interessiert. Im Gegenteil, Blut fliesst selten und allzu einfache Schockmomente werden ausgelassen, dafür umso grusligere Szenarien entwickelt. Also dürften sich auch Zuschauer_innen daran erfreuen, die traditionell nur wenig für solche Filme übrig haben.
Die 1. Staffel ist seit März auf Netflix verfügbar.
Idee/Drehbuch: Kjetil Indregard, Atle Knudsen; Regie: Atle Knudsen, Geir Henning Hopland; Musik: Sindre Hotvedt; Kamera: Jakob Ingason, Håvar Karlsen; Darsteller_in (Rolle): Ine Marie Wilmann (Molly), Erlend Rødal Vikhagen (Erik), Benjamin Helstad (Otto), Dagny Backer Johnsen (Olivia), Ellen Bendu (Sanna); Streaming CH/D: Netflix.
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