Richard Jewell

Clint Eastwood
Clint Eastwood hat sich erneut an einen Stoff mit wahrem Hintergrund gewagt. Dabei geht es einmal mehr um Tod, Terror und Patriotismus. Auch wenn der Regisseur es nicht will: Den Film kann man nur als Kommentar zu dessen politischem Engagement lesen.
Am Schreibtisch sitzt Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell), hinter ihm hängt ein Plakat mit der Aufschrift «I fear government more than I fear terrorism». Wer bei diesem Anblick glaubt, in Clint Eastwoods Richard Jewell einen subtilen Kommentar auf das aktuelle politische Klima in den USA entdeckt zu haben, wird enttäuscht: Der auf wahren Begebenheiten beruhende Film schiesst vielmehr eine neoliberale Breitseite gegen Behörden und Medien und konstruiert ein konservatives Heldenbild, wie wir es in Eastwoods jüngsten Filmen zu Hauf finden.
Richard Jewell (Paul Walter Hauser) ist Bryants Freund und bald auch sein Mandant. Schon seit seiner Kindheit will Richard Polizist werden. Die Stelle als Wachmann an einer Universität verliert er aufgrund seines Übereifers. Ohne Erlaubnis hatte er die Zimmer der Studierenden durchsucht und in der Nähe des Campus regelwidrige Autofahrer_innen gestoppt.
Einen Neuanfang versuchend, kehrt er zu seiner Mutter (Kathy Bates) nach Atlanta zurück, wo er während der Olympischen Spiele als Helfer arbeiten kann. Er ist auf dem Festgelände im Stadtzentrum eingeteilt, und hier schlägt Richards grosse Stunde: Eines Abends entdeckt er inmitten der Menschenmenge einen verlassenen Rucksack, der als Versteck für eine Bombe dient. Noch bevor der Bereich gesichert ist, explodiert der Sprengsatz und tötet zwei Menschen. Dank Richards schnellem Handeln wird jedoch Schlimmeres verhindert. Noch am Tatort feiern ihn seine Kollegen, und die Medien stürzen sich auf den neuen Helden.

Verzweifelt auf der Suche nach dem Täter, richtet das FBI ihren Fokus schnell auf Richard. Für sie passt er zum Profil des «false hero»; jemandem, der einen Anschlag inszeniert, um sich dann als Retter aufzuspielen. Innerhalb kürzester Zeit wird Richard vom nationalen Helden zum Hauptverdächtigen. Hatte er Bryant zuvor noch wegen eines möglichen Buchvertrags angerufen, muss dieser ihm nun in der lokalen FBI-Zentrale beistehen und ihn vor der Presse verteidigen.
Im von ruhigen Kameraeinstellungen und einer dezenten Musik geprägten Stil erzählt Eastwood Richards Schicksal. Er inszeniert den Fall nicht als nervenzerreissende Hetzjagd, sondern bleibt bei den Figuren und gibt ihnen den nötigen Spielraum. Gut funktioniert dies bei den beiden Protagonisten, zurückhaltend gespielt von Hauser und Rockwell. Wie Richard sich infantil durch das Geschehen bewegt, ähnelt er mitunter einer stark schwitzenden Variante des Naivlings Forrest Gump. Er wird jedoch nie der Lächerlichkeit preisgegeben, was zu einem grossen Teil an Hausers nuanciertem Spiel liegt.
In seiner ersten grossen Rolle vermag er den verletzlichen Charakter Richards herauszuarbeiten, der wehrlos den Mechanismen des FBIs und den sensationsgierigen Medien ausgesetzt ist. Rockwell wiederum verleiht seiner Figur neben Glaubwürdigkeit auch einen gewissen Witz. In kurzen Hosen und Polohemd grenzt er sich schon rein äusserlich vom üblichen Bild eines Anwalts ab. Während Richard unbeirrt zum FBI aufblickt und sogar bei den Ermittlungen hilft, verzweifelt Bryant an seinem Mandanten. Die beiden Schauspieler und ihr Interagieren sind das Beste am Film und sorgen für die vereinzelten Lacher.
Schwierig wird es bei den eindimensionalen Nebenfiguren. Kathy Bates darf als Richards Mutter (wenn sie nicht gerade am Backen oder Kochen ist) hauptsächlich bekümmert und mit sorgenvollem Blick in der Wohnung herumstehen. Das hat für eine Oscar-Nomination gereicht. Die Figur des Agenten Tom Shaw (Jon Hamm) ist eine Kombination verschiedener realer Akteure des FBIs und dient als Personifikation der bösen und inkompetenten Regierungsbehörde. Ohne Empathie und mit miesen Tricks versucht er, Richard als Täter zu überführen.

Am problematischsten ist jedoch die Darstellung der Journalistin Kathy Scruggs (Olivia Wilde). Skrupellos auf der Suche nach der nächsten Schlagzeile, stürzt sie sich gierig auf Richard und gelangt notfalls auch mit Sex an wichtige Informationen. Letzteres ist frei erfunden und sorgte in den USA für scharfe Kritik. In Zeiten von #MeToo und Filmen wie Bombshell oder der Apple-Serie The Morning Show, die die Machtstrukturen und den sexuellen Missbrauch in der Medienwelt anprangern, ist der Rückgriff auf das veraltete Stereotyp nicht nur deplatziert, sondern schlichtweg dumm.
Die vereinfachte und falsche Darstellung der Gegenseite zeigt, dass es Eastwood um eine generelle Kritik an jenen Institutionen geht. Den ganzen Film hindurch scheint man auf Walters Seite zu bleiben, der seinen Mandanten warnt: «Authorities want to eat you alive.» Diese skeptische Haltung finden wir auch in Eastwoods früheren Filmen, wo die Protagonisten das Recht gerne in die eigene Hand nehmen. Dort haben wir es aber wiederholt mit ambivalenten, gebrochenen Heldenfiguren zu tun, die mitunter schwer an ihren Taten tragen.
Am Ende dieser Filme kann die Grenze zwischen Gut und Böse nicht mehr klar gezogen werden (schön zu sehen in Mystic River, seiner vielleicht besten Regiearbeit, wo keiner dem Strudel aus Gewalt und Vergeltung entkommen kann). Im Gegenlicht der simpel gestrickten Feindbilder hebt sich hingegen Richard in Richard Jewell umso stärker als der prototypische amerikanische Held ab. Das Widersprüchliche seiner Vorgänger fällt weg. Am Ende muss das FBI seinen Fehler eingestehen, und Richards Heldenstatus wird nochmals explizit bestätigt.
Spätestens seit Eastwood sich 2012 für den Wahlkampf der Republikaner_innen einspannen liess und am Parteitag mit einem leeren Stuhl (stellvertretend für Barack Obama) diskutierte, fällt es schwer, seine Filme nicht im aktuellen politischen Kontext und als konservative Produkte zu lesen. Unmissverständlich hat er sich während seiner Rede zum rechten Hollywoodflügel rund um Jon Voight bekennt. Seither hat er wiederholt auf Tatsachen beruhende Heldengeschichten verfilmt, die unkritisch ein starkes Amerika propagieren.

Richard Jewell fügt sich nahtlos in diese Reihe ein und führt zwei seiner letzten Filme zusammen: Der gläubige Soldat Spencer aus 15:17 to Paris, der sich auf einer Mission sieht und 2015 im TGV von Amsterdam nach Paris einen Terroranschlag verhindert, trifft auf Sully, wo der Pilot Chesley Sullenberg nach einer wundersamen Notlandung auf dem Hudson River sein Handeln vor Gericht verteidigen muss und am Ende freigesprochen wird. Eastwood selbst möchte seine Filme nicht als politische Kommentare verstanden wissen. Die jüngsten Produktionen bedienen aber gerade jenen Patriotismus, der als trotziges Selbstverständnis in der Rhetorik des aktuellen Präsidenten aufscheint. In Eastwoods makelloser Heldenfigur personifiziert sich die Grösse der eigenen Nation, die Trump täglich herbeiredet respektive herbeitwittert.
Ursprünglich sollte Paul Greengrass die Regie für Richard Jewell übernehmen, mit Jonah Hill und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen. Erinnert man sich an Greengrass’ United 93 oder Captain Philipps, Filme, die stereotype Heldenbilder vermeiden, klingt das zumindest auf dem Papier nach dem interessanteren Film.
Richard Jewell startet im Juni zum zweiten Mal dieses Jahr in den Deutschschweizer Kinos.
Regie: Clint Eastwood; Buch: Billy Ray; Kamera: Yves Bélanger; Schnitt: Joel Cox; Musik: Arturo Sandoval. Darsteller_in (Rolle):
Paul Walter Hauser (Richard Jewell), Olivia Wilde (Kathy Scruggs), Sam Rockwell (Watson Bryant), Kathy Bates (Bobi Jewell).
Produktion: Appian Way, Misher Films, 75 Year Plan Productions; USA 2019. Dauer: 131 Min. Verleih: Warner Bros.
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