First Love

Takashi Miike
Der anarchische Eklektizismus, den man von Takashi Miike erwartet, findet sich auch in First Love. In der Geschichte um einen zwischen die Fronten geratenen Boxer gehen Humor und Melancholie Hand in Hand.
Vielleicht, meint der in die Jahre gekommene Boxtrainer, sei er selbst etwas altmodisch. Dennoch könne sich sein vielversprechender Zögling nach seinen Siegen ruhig mal etwas mehr freuen, so wie man das früher getan habe. Denn normalerweise reckt Leo (Masataka Kubota) in diesen Momenten nur ein bisschen die Arme nach oben, während sein Gesicht ausdruckslos bleibt.
First Love ist Takashi Miikes 103. Film; er dreht für gewöhnlich mehrere pro Jahr. Womit sich für den knapp sechzigjährigen Routinier, der mit Ichi the Killer, 13 Assassins oder Harakiri – Tod eines Samurais bekannt wurde, ebenso die Frage stellt, wie er bei einem solchen Output mit jedem neuen Film noch die grossen Emotionen freisetzen kann: Ist in diesem Werk nicht auch jeder Film nur eine Variation der vorhergehenden?
Der Film erzählt, wie oft bei Miike, eine Yakuza-Geschichte, die hier mit romantischen und komödiantischen Elementen angereichert ist. Leo, der Boxer, bricht eines Tages im Ring zusammen; ein Hirntumor wird diagnostiziert. Während er verzweifelt durch Tokio streift, trifft er eine drogenabhängige Prostituierte, Monica (Sakurako Konishi), die als Kind von ihrem Vater missbraucht wurde und nun dessen Schulden bei den Yakuza abarbeiten muss. Die beiden geraten in einen Konflikt zwischen japanischen und chinesischen Triaden, genauer zwischen zwei alten Gangstern, Mr. Gondo und Mr. Wong: Gondo hat Wong einst einen Arm abgehackt; Wong will Rache. «In welcher Zeit leben wir, bitte?», wundert sich der junge Yakuza Kase (Shota Sometani) über den Rache- und Blutdurst der älteren Clanmitglieder. Also entwickelt er einen Plan, um aus dem Mafialeben auszusteigen, womit er eine Reihe turbulenter Ereignisse in Gang setzt.

Der Film zeichnet sich aus durch Miikes anarchischen Eklektizismus, mit dem er (in seinen Filmen ebenso wie zwischen ihnen) Genres und Stimmungen geschickt moduliert. Melancholie und Komik wechseln sich ab, auf langsame Gesprächsszenen folgen hitzige Kämpfe, in denen Elektroschocker auf einmal nicht mehr funktionieren und aus der beabsichtigten Betäubung ein unbeabsichtigter Mord wird. Und wenn Monica in der U-Bahn vom bedrohlichen Geist ihres Vaters verfolgt wird, beginnt dieser auf einmal unvermittelt zu tanzen.
Man kann die Bedeutung von Miikes Ironie nicht genug betonen. Die Actionszenen wirken schnörkellos, en passant, beiläufig und subtil. Nicht umsonst glaubt Leo zu halluzinieren, als zum ersten Mal eine Waffe auf ihn gerichtet wird, und es ist ein eher zufällig ausgeführter Schlag des Boxers gegen einen Polizisten, der ihn überhaupt erst in die Mafiageschichte verwickelt. Als würden diese Szenen nicht wirklich stattfinden, oder als geschähen sie im höchsten Masse unbeabsichtigt. Auch Kase hinterlässt, ohne dass er es wollte, eine immer absurder werdende Anzahl an Leichen, während er – immer mühevoller und immer weniger erfolgreich – versucht, seine Spuren zu verwischen.

Die Ironie hat damit zwei Seiten. Zum einen bietet sie die Möglichkeit, die Maschine am Laufen zu halten, die alten Yakuza-Geschichten weiterzuspinnen und mit immer neuen, absurden Momenten aufzufrischen. So wie im Film die Älteren am liebsten ihre Kämpfe weiterfechten möchten. Auf der anderen Seite zeigt sich mit der Ironie der Wunsch, aus diesem Kreislauf aus Tradition ihrer fortwährenden Erneuerung auszutreten, ihn hinter sich zu lassen – das wäre der Impuls der Jungen, also von Leo, Monica und Kase. Die alten Yakuza sind hart, routiniert, gefühlskalt; die Jungen verwaist, traumatisiert, empfindsam, an einem «normalen» Leben interessiert. Miike hat hier quasi einen antinostalgischen Film gemacht – die «guten alten Zeiten» sind nichts, was man sich zurückwünschen würde. Aber wer weiterhin Yakuza-Filme macht, kann natürlich dennoch nicht anders, als sie immer weiter zu evozieren.
Am Ende wird der Boxer zwar die Fäuste zum Himmel recken, wie es ihm sein alter Trainer geraten hat, ganz old school. Doch gleichzeitig befinden sich Leo und Monica längst jenseits der Welt des Yakuza- und Komödiengenres. Es schneit in der letzten Einstellung, und diese Auflösung und Zerstreuung verspricht ein Aussen, in das sich das Kino von Miike mit seiner
104. Variation weiter vorwagen wird.
Der Film ist auf Amazon Prime Video, Google Play, sowie auf DVD und Blu-ray verfügbar.
Regie: Takashi Miike; Buch: Masa Nakamura; Kamera: Nobuyasu Kita; Darsteller_in (Rolle): Masataka Kubota (Leo), Sakurako Konishi (Monica), Shota Sometani (Kase); Produktion: Oriental Light and Magic, Recorded Picture Company, Toei Company, Japan 2019. Dauer: 108 Min.
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