Mare

Andrea Staka
Eine Frau wagt in ihrer kleinen Welt den inneren Aufstand. Als dieser zum äusseren wird, muss sie lernen, wie stark die Zwänge sind, die sie an Ort und Stelle halten.
Mare (Marija Škaričić) lebt in einer kleinen Welt. Sie kocht und wäscht für ihre Kinder und ihren Mann Đuro (Goran Navojec), dem sie sich einigermassen lustlos zum Sex hingibt. Sie lebt in einem kleinen Haus in einem kroatischen Dorf nahe Dubrovnik. Vor ihrer Haustür: die weite Welt des Flughafens, für den alle in ihrem Umfeld irgendwie arbeiten – auch sie früher, bevor der Haushalt ihr kleiner Kosmos wurde. Es ist ein unspektakulärer Trott, in dem Mare gefangen ist. Bis sie eines Tages eine Affäre mit dem polnischen Bauführer Piotr (Mateusz Kościukiewicz) beginnt.
Andrea Štakas (Das Fräulein) neuster Film ist ein ruhiges Porträt mit eindringlichen Bildern. Der Blick in Mares Welt ist genau so eng wie die Perspektive, die die Hauptfigur hat. Nie weitet sich der Blick, der meistens auf den Figuren haftet, die Aufnahmen suggerieren lediglich die Weite der kargen Landschaft auch jenseits des Bildkaders. Wir sind immer ganz nah dran an Mare, sitzen auf ihrer Schulter – oder ihr im Nacken.

Als Mare aus dieser Enge ausbrechen will, tut sie das erst nicht nach aussen. Nach wie vor gibt sie die Mutter, die ihre Familie liebt und sich in dieses einfache Leben eingefügt hat. Ihre Welt öffnet sich mit ihrem Liebhaber im Verborgenen. In den intimen Szenen zwischen den beiden verwandelt sich die sonst beklemmende Nähe, aus der wir Mares Leben mitverfolgen, in Momente der Freiheit.
Dass Mare sich eine neue Quelle des Glücks erschlossen hat, bleibt ihrem Umfeld nicht verborgen. Đuro fragt sie geradeaus, ob sie einen anderen habe und Mare ist klug genug, ihm nicht die Wahrheit zu sagen, auch wenn er mit der Antwort nicht gerade zufrieden wirkt. Denn wie ihr pubertierender Sohn, der gerade ebenfalls den Ausbruch probt, weiss Mare: Sie gehört ihrem Mann.

In einem Moment der Verzweiflung will sie ihre kleine innere Freiheit zur grossen, äusseren machen, die Familie hinter sich lassen und mit ihrer charmanten Eroberung abhauen. Schon schmeisst sie ihre Tasche aufs Bett und stopft ihre Kleider hinein. Doch es kommt nicht so, wie sie sich das erhofft. Am Ende wirken die Zwänge, die Mare in ihre Schranken verweisen, wie eine Verschwörung des Patriarchats gegen eine Frau, die sich um ihr Potential betrogen sieht.
Mare ist Coming-of-Age für Erwachsene, erzählt mit bodenständigem Realismus. In der Geschichte ist wenig Platz für jugendliche Flausen, der Film lebt dafür umso mehr vom subtilen Spiel seiner Hauptdarstellerin.
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