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Cinema Sil Plaz, Ilanz

Wer nach Graubünden fährt, den zieht es zumeist raus in die Natur und in die Berge. Doch wenn man von den Hängen der Surselva in die kleine Stadt Ilanz hinabsteigt, kann man ein Kino der ganz besonderen Art entdecken.

Text: Kristina Köhler / 30. Okt. 2017

Wer nach Graubünden fährt, den zieht es zumeist raus in die Natur und in die Berge, wo Wanderwege und Sonnenterrassen mit spektakulären Ausblicken locken. Doch wenn man von den Hängen der Surselva in die kleine Stadt Ilanz (rätoromanisch Glion) hinabsteigt, kann man – nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt – ein Kino der ganz besonderen Art entdecken.

Das Kino Sil Plaz, also «vor Ort», ist aus einer Initiative von Privatleuten, Cinephilen und Kulturinteressierten entstanden: Als vor mehr als zwanzig Jahren das letzte feste Lichtspielhaus in Ilanz geschlossen wurde, taten sie sich zusammen und gründeten einen Filmclub, der zunächst Vorführungen in verschiedenen Provisorien organisierte. In den Räumen einer ehemaligen Schmiede und späteren Weinhandlung fand der Club eine dauerhafte Bleibe. Die beiden Ilanzer Architekten Ramun Capaul und Gordian Blumenthal, beide selbst im Filmclub aktiv, bauten das Gebäude 2010 zu einem Kino mit Kulturbühne um.

Eine kleine Sensation ist der Kinosaal mit seinen gut fünfzig Plätzen; hier wird die viel beschworene Analogie vom Kino als Höhlenraum mit allen Sinnen erfahrbar. Wände und Decke sind mit hellgrauem Stampflehm verputzt, der den hohen Saal isoliert, sowohl akustisch als auch wärmetechnisch. Das Material verleiht dem Raum mit seinen abgerundeten Kanten und den sparsam platzierten Glühlampen einen ebenso sakralen wie archaischen Charakter. Als «eine Mischung aus Bündner Bergkapelle und afrikanischer Lehmhütte» wurde der Raum beschrieben. Es ist nicht zuletzt der charakteristische Geruch, eine eigentümliche Mischung aus Leder und Lehm, der diese Assoziation weckt. Und eigentlich möchte man hier alles anfassen: die raue Oberfläche des Lehms, das gemaserte Eichenholz der Sitzbänke, die glatten Polster aus ungefärbtem Leder. Dieser reduzierte Umgang mit Materialien, für den der Bau mehrfach mit Architekturpreisen ausgezeichnet wurde, kennzeichnet auch den Eingangsbereich, wo Kartenverkauf, Bar und Bühne sowie ein Foyer mit Garderobe, Technik- und Sanitärräumen untergebracht sind. Das Zusammenspiel von unverputzten Wänden, groben Holztischen und massiven Stahlplatten, die Vorführkabine und Toilettenbereich abtrennen, ruft den Werkstattcharakter der alten Schmiede in Erinnerung und wirkt zugleich zeitlos, fast urban.

«Machen wir weiter», sagt der Filmvorführer nach der Pause zu den Besuchern, die mit einem Glas Wein oder Bier im Barbereich beisammenstehen. Es ist eher eine Aufforderung als eine Frage, und die muss er kein zweites Mal wiederholen. Gerne geht man in den Kinosaal zurück – nicht nur wegen des besonderen Raumgefühls, sondern auch wegen der Filme, die hier gezeigt werden. Denn was die Besucher im Sil Plaz geboten bekommen, hat so gar nichts mit der Abendunterhaltung touristischer Alpenregionen gemein, die ihre Gäste mit Hüttenzauber oder Après-Ski belustigen (oder belästigen). Das Sil Plaz zeigt ausgewählte Filme aus dem aktuellen Arthouse- und Autorenkino sowie engagierte Dokumentarfilme. Einen besonderen Schwerpunkt bilden Musiker- und Künstlerdokumentationen, die auch die Verbindungen zu den zahlreichen anderen Kulturveranstaltungen herstellen, die hier stattfinden: Konzerte, Lesungen, Kleinkunst- oder Theaterabende. Dafür wird mal der Kinosaal, mal der Barbereich genutzt, der mit seiner Schwenkbar und Holzbühne variable Raumkonfigurationen ermöglicht.

An einem ganz normalen Samstagabend wird es nach der Filmvorführung jedoch schnell ruhig im Cinema Sil Plaz; einige Besucher trinken noch ein Glas Wein, bevor sie in die Nacht verschwinden. Nachdem die Gäste gegangen sind, drehen die beiden jungen Frauen an der Bar die Musik laut auf, waschen die letzten Gläser und scherzen mit den Jungs aus dem Ort. Sie stammen aus der Region und arbeiten während der Semesterferien im Kino – ehrenamtlich, wie die anderen rund vierzig Vereinsmitglieder, die das Sil Plaz betreiben. Die beiden servieren uns noch einen Schnaps, während wir auf unser Taxi warten. Den letzten Bus hoch in die Berge zu unserem Hotel haben wir längst ver­passt. Taxi-Mario, der einzige Taxi­fahrer im ganzen Tal, wollte uns eigentlich nach der Filmvorführung abholen. Doch der ältere Herr, der nebenbei auch noch Getränkehandel und Pension betreibt, ist vor dem Fernseher eingenickt und verspätet sich. Macht nichts, an so einem besonderen Ort verweilen wir gerne.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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