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The Dead Don’t Die

Untote nicht als brutale Disruption, sondern als ästhetische Differenz: Jim Jarmuschs Zombiefilm The Dead Don’t Die.

Text: Lukas Foerster / 12. Juni 2019

Was sind Zombies? Klar, das wissen wir spätestens seit George A. Romeros Night of the Living Dead: Lebende Tote, die Appetit auf Menschenfleisch haben und nur durch die Zerstörung ihres Gehirns zur Strecke gebracht beziehungsweise «richtig» ins Jenseits befördert werden. Man könnte die Sache jedoch auch ganz materialistisch betrachten und antworten: Zombies sind Leute, die zerschlissene, drecksstarrende Kleider tragen und vor allem fantasievoll geschminkt sind. Das Zombietum ist eine Sache von Äusserlichkeiten, fast sogar ein Modestil, der gewisse Ähnlichkeiten mit realen Subkulturen wie Goth und Punk aufweist.

In Jim Jarmuschs Zombiefilm The Dead Don’t Die gibt es eine Szene, in der in diesem Sinne zwei Zombies hergestellt werden: Die unkonventionelle Bestattungsunternehmerin Zelda (Tilda Swinton) schminkt zwei Leichen, die ihr zwecks Vorbereitung der Beerdigung anvertraut wurden. Keineswegs versucht sie dabei, einen «realistisch lebendigen» Look wiederherzustellen, vielmehr schmiert sie ihren Kunden knallbunte Schminke ins Gesicht. Gut, nach klassischem Kinozombie sieht das im Ergebnis auch wieder nicht aus, dafür ist das Make-up zu farbenfroh und zu sorgfältig aufgetragen. Aber es bringt doch genau jene ästhetische Differenz hervor, die die beiden als Untote markiert, wenn sie sich kurz danach zu rühren beginnen und sich anschicken, Teil jenes Schreckens zu werden, der in The Dead Don’t Die das Provinznest Centerville heimsucht.

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Das ist vielleicht auch schon der Clou von The Dead Don’t Die: Zombies dringen nicht als radikale Disruption in die fiktionale Kleinstadt beziehungsweise ins Jarmuschkino ein, sondern als Verkörperungen einer ästhetischen Differenz. Dazu passt, dass sich der Film viel Zeit dafür lässt, den gemächlichen Fluss des Kleinstadtlebens vor der Katastrophe zu zeigen. Ein Panorama der Deadpan-Provinzialität: drei auf unterschiedliche Art lethargische Cops (Bill Murray, Adam Driver, Chloë Sevigny; auch sonst treiben sich jede Menge Jarmusch-Regulars im Film herum), ein zwanghaft rassistischer Farmer (Steve Buscemi, die Jarmuschversion eines Trump-Wählers), der schluffige Besitzer eines Motels, in dem sich drei Hipster aus der Grossstadt (u. a.: Selena Gomez) einquartieren, ein paar smarte junge Insassen der örtlichen Jugendstrafanstalt und so weiter.

Wenn dann die Toten wiederkehren, bricht dezidiert kein Chaos aus. Sie sind plötzlich einfach da, eine Irritation, über die vorerst kaum jemand ein endgültiges Urteil fällen will. Wir schauen uns das erst einmal an und warten ab, wie sich die Dinge entwickeln. Der Unaufgeregtheit der Figuren im Angesicht der kannibalischen Horde entspricht die relaxte, im guten Sinne ambitionslose Grundhaltung des Films. Jarmusch versucht gar nicht erst, das Genre, das er bedient, neu zu erfinden. Das ist nicht die schlechteste Haltung, weil es Zombiefilme inzwischen eh wie Sand am Meer gibt; seit World War Z und The Walking Dead sind die Untoten endgültig im Mainstream angekommen, im Low-Budget-Bereich kannibalisieren sie sich eh schon seit den Achtzigerjahren gegenseitig.

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The Dead Don’t Die geht aus von einer Welt, die mit Zombiefilmen immer schon gesättigt ist. Die Untoten haben keinen Neuigkeitswert mehr. Insbesondere Romeros Night of the Living Dead sowie dessen fünf Nachfolger sind derart penetrant allgegenwärtig, in Dialogen und Bildzitaten (selbst ein stylisch-altmodischer Pontiac wird vom Obernerd der Kleinstadt als «very George Romero» goutiert), dass The Dead Don`t Die schon fast als inoffizieller siebter Teil der offenbar ebenfalls untoten Dead-Serie durchgeht.

Bemerkenswert ist allerdings, dass die Konzeption der Zombies selbst eher den späten Filmen der Romero-Reihe, wie etwa Land of the Dead entlehnt ist: Keine blossen Fressmaschinen wie noch in Night of the Living Dead sind sie bei Jarmisch, sondern eher im wörtlichen Sinn Wiedergänger: Sie sind zurückgekommen, um jenen Handlungen wieder nachzugehen, die ihnen vertraut sind aus der Zeit vor ihres Ablebens. Hilflos fuchteln sie mit Tennisschlägern in der Gegend herum oder kippen sich literweise Kaffee in den nicht mehr vorhandene Verdauungstrakt. Selbst die Sprache ist ihnen nicht ganz abhanden gekommen, sie hat sich lediglich auf einzelne Worte reduziert, die sozusagen die Gesamtheit der vormaligen Existenz enthalten: «Chardonnay», «Siri», «Wi-fi». Die Zombies klammern sich, könnte man auch sagen, an ein, zwei Äusserlichkeiten, die sie mit der Welt verwechseln.

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Der Film wiederum arbeitet die geläufigen Motive und Dramaturgien des Zombiekinos Punkt für Punkt fast schon enzyklopädisch durch, allerdings in vermindertem Tempo. Insbesondere die Reaktionszeit hat sich verlangsamt, der sonst im Zombiefilm allgegenwärtige Handlungsdruck fällt weg, dafür wird der Blick frei für andere Dinge. In einer bezeichnenden und sehr schönen Szene begutachten die drei Polizist_innen den ersten Tatort, das lokale Diner. Einer nach dem anderen begutachten sie die ersten Opfer der Zombies, stolpern ins Freie und versuchen – mit jeweils unterschiedlichem Erfolg – die Contenance wiederzugewinnen, während hinter ihnen, im Fenster des Lokals, die Reflektion des Blaulichts ihres Streifenwagens schimmert: eine jener leicht irreal anmutenden Farbspielereien, wie sie im Film immer wieder auftauchen. Später gibt es eine lange, regelrecht hypnotische Einstellung, in der sich eine Untotenherde hinter einer Windschutzscheibe, wiederum vom Blaulicht beleuchtet, in eine Art Ambient-Lightshow verwandelt. Aber auch der Mond sieht plötzlich komisch aus, wie von giftig-rötlichen Adern durchzogen. Wenn die Zombieapokalypse schon unausweichlich ist, scheint Jarmusch uns zu raten, dann sollten wir uns wenigstens genügend Zeit dafür nehmen, ihre ästhetischen Effekte zu geniessen.

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