Filmbulletin Print Logo
Le daim 03

Le daim

Ein Mann wird zum Accessoire seiner Wildlederjacke, die ausserdem noch den Entschluss fasst, Filmstar zu werden. Koste es, was es wolle.

Text: Lukas Foerster / 06. Aug. 2019

In der ersten Szene entdeckt Georges beim Tanken sein Spiegelbild im Seitenfenster eines Autos; er erblickt dabei allerdings nicht sich selbst, sondern lediglich die Jacke, die er trägt. Das ist die erste, grundlegende Verschiebung, auf der der restliche Film aufbaut: Wo alle anderen Menschen sehen, sieht Georges Jacken. Nicht ausschliesslich, aber zuvorderst, das heisst, für ihn ist nicht die Jacke ein Accessoire des Menschen, sondern der Mensch ein Accessoire der Jacke und entsprechend entbehrlich. Zunächst jedoch gibt es ein Problem mit seiner eigenen Jacke. Für die, die er an der Tankstelle im Spiegelbild sieht, eine unauffällig blaue, leicht speckige Allerweltsjacke, hat er nur Verachtung übrig, schnell hat er sich ihrer entledigt und, unter Einsatz seines gesamten Barvermögens, einen weitaus spektakuläreren Ersatz organisiert: eine echte Wildlederjacke, mit Fransen geschmückt, im prolligen, aber durchaus nicht reizlosen Country-&-Western-Style.

Nicht erst wenn der Protagonist stolz in seinem neuen Kleidungsstück vor dem Spiegel steht und sich an breitbeinigen Machoposen versucht, scheinen sich simple psychologische Deutungsmuster aufzudrängen: prekäre Männlichkeit, die sich in Statussymbolen entäussert, Verdrängung oder, eben, Verschiebung innerer Traumata und so weiter. Gelegentliche Zwischenschnitte auf ein unschuldig in die Kamera blinzelndes Reh deuten ausserdem auf eine pathogene Fehlidentifikation hin: Georges, der sich im weiteren Verlauf des Films noch eine Reihe anderer Kleidungsstücke aus Wildleder zulegen wird, möchte sich seines zivilisatorischen «Fells» entledigen und in ein neues, kreatürliches Hautkleid schlüpfen.

Le daim 02

Das Interessante an Le daim ist, dass solche Deutungsmuster zwar unwidersprochen bleiben, aber ins Leere laufen. Dabei legt der Film gleich eine ganze Reihe falscher Fährten. Anders als in den vorherigen Filmen von Quentin Dupieux springen einen in seinem neusten die Absurditäten nicht sofort an. Wenn man von der Jackenobsession absieht – und von der Tatsache, dass die neue Jacke bald zu sprechen anfängt, wenn auch mit Georges’ Bauchrednerstimme –, erscheint das Szenario zunächst vergleichsweise alltagsnah. Georges ist ein Sonderling, aber vorläufig einer der harmlosen Sorte, ein erbärmlicher Möchtegerncowboy, der, anstatt über staubige Steppen zu reiten, in einer kühl-feuchten, dünn besiedelten, graubläulich eingefärbten französischen Bergregion – der gesamte Film hat einen Hang zu Ton-in-Ton-Bildkompositionen – in seinem Kombi von Kaff zu Kaff tourt. Es gibt sogar eine vergleichsweise plausible biografische Erklärung für sein exzentrisches Verhalten: Georges scheint gerade, das legt ein Telefonat nahe, von einer Frau verlassen worden zu sein, die ausserdem das gemeinsame Konto gesperrt hat.

Würden wir es mit dem Film eines beliebigen Arthouseregisseurs zu tun haben, könnten wir uns den weiteren Verlauf des Geschehens recht genau ausmalen: Es würde darum gehen, wieder den Mann unter der Jacke sichtbar zu machen, also Georges Fixierung auf Äusserlichkeiten mit einer Exploration von Innerlichkeit zu begegnen, möglicherweise mithilfe einer vorsichtig angedeuteten Liebesgeschichte. Aber Le daim wurde nun mal von einem Filmemacher gedreht, der mit einer Exploitationgroteske über einen mordenden Autoreifen (Rubber) bekannt wurde und der in diesem Fall nicht das geringste Interesse daran hat, die ausgetretenen Pfade des männlichkeitskritischen Charakterdramas ein weiteres Mal abzulatschen.

Le daim 01

Der Blick, in den uns Dupieux’ Filme einüben, deprivilegiert alltagspsychologische Kategorien wie Motivation und Handlungsmacht. An deren Stelle treten Netzwerke von Objektbeziehungen, in denen das Menschliche nur noch ein Faktor unter vielen ist. Im Fall von Le daim bekommt die Sache den entscheidenden Dreh durch eine weitere Verschiebung: Beim Kauf seines neuen Kleidungsstücks erhält Georges, als Bonus, eine Digitalkamera. Das ziemlich altmodische Ding (der Film ist nicht klar datiert, der Stand der Mode und Technik deuten auf die frühen Nullerjahre) produziert grobpixelige, wenig elegant anmutende Bilder und wird von der Hauptfigur erst kaum beachtet.

Wenn er wenig später dennoch zum Filmemacher mutiert, mitsamt schlecht erfundener Backstory über einen in Sibirien verschollenen Produzenten, dann geschieht dies nicht aus eigenem Antrieb heraus,sondern weil die Kamera eine Art symbiotische Beziehung mit der Lederjacke eingeht. Die Jacke will gefilmt werden, aber nicht nur als ein Objekt unter vielen. Sie will ein Star sein, der Mittelpunkt eines Kinouniversums, und dafür benötigt sie nicht nur die Hilfe des auf eine Werkzeugfunktion reduzierten Georges’, sondern auch die von Denise, einer jungen Frau, die in einem der Hotels, die Georges frequentiert, als Barista arbeitet und von einer Karriere im Filmgeschäft träumt. Bald übernimmt sie den Schnitt des Jackenfilms, später wird sie Georges’ Produzentin.

Le daim 05

Die gemeinsamen Szenen von Jean Dujardin und Adèle Haenel zeigen, dass Dupieux, der antihumanistischen Schlagseite seines Kinos zum Trotz, ein begnadeter Schauspielerregisseur ist. Dujardins Deadpan-Performance kommt erst dann richtig zur Geltung, wenn es mit Haenels deutlich expressiverem Spiel konfrontiert wird. Wie die von ihrem Brotjob sichtlich gelangweilte Denise den ihr zunächst unbekannten Gast neugierig beobachtet und in Windeseile zur felsenfesten Überzeugung gelangt, es handle sich bei ihm um einen genialen Filmkünstler; wie der in seinen komplett anders gelagerten Hirngespinsten verfangene Georges Denise’ Interesse konsequent missversteht und jedes Gespräch zwanghaft auf die Wildlederjacke umlenkt: Das sind hochkomische Szenen eines doppelt sich verfehlenden Flirts. Die ungenutzte erotische Energie fliesst stattdessen in das von Anfang an asozial verschrobene, bald regelrecht gemeingefährliche Filmprojekt. Am Ende steht die Vision eines totalen Autorenfilms ohne Autor, der seinen Ursprung nicht im Kunstwillen eines Einzelnen hat, sondern in einem subjektlosen, zerstörerischen Bilderhunger und der sich, nimmersatt, am liebsten die ganze Welt einverleiben möchte.

Le daim 04

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

23. Jan. 2013

The Woman in the Septic Tank

Es ist ein schwieriges Thema, die Darstellung von Armut in Filmen aus Entwicklungsländern, denn die Grenze zwischen Betroffenheit und Voyeurismus ist schnell überschritten. Wann wird das Land zur Projektionsfläche für ein westliches Publikum, das sich selbst seines Mitgefühls und politischen Bewusstseins vergewissern möchte? Wann wird Selbstdarstellung zur Selbstausbeutung der Filmemacher, die ihre Herkunft als exotisches Kapital für den globalen Filmmarkt nutzen?

Kino

10. Dez. 2014

A Most Wanted Man

Denken und Wünschen fallen dann in eins zusammen. Wissen Sie’s, oder glauben Sie’s? In jedem Dialog unter Insidern des Metiers gehört der Satz zur Routine. Dass konsequent gelogen wird, ist das einzig Klärende. Wahrheiten wären mehr als hinderlich, nämlich verwirrend. In diesem Sinn wirbelt A Most Wanted Man alles und jedes durcheinander, wovon sich der Film zu fabulieren anschickt.

Kino

03. Dez. 2018

Widows

Steve McQueen hätte ein gewöhnliches Heist-Movie drehen können. Stattdessen füllt er das althergebrachte Gefäss radikal neu und erzählt eine bittere Geschichte über Männer und ihre Frauen.