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The Phoenician Scheme
© TPS Productions, Focus Features 2025 All Rights Reserved.

Die Vermessung der Nachkriegs-Welt: The Phoenician Scheme

Wes Anderson verschlägt es in eine alte Hollywood-Fantasie des Nahen Ostens. Die Komödie ist amüsant, der politische Subtext scharf.

Text: Alan Mattli / 28. Mai 2025
  • Regie

    Wes Anderson

  • Buch

    Wes Anderson, Roman Coppola

  • Kamera

    Bruno Delbonnel

  • Schnitt

    Barney Pilling

  • Musik

    Alexandre Desplat

  • Mit

    Benicio del Toro, Mia Threapleton, Michael Cera, Riz Ahmed, Bryan Cranston, Tom Hanks

  • Start

    29. Mai 2025

The Phoenician Scheme ist Wes Andersons Antwort auf Christopher Nolans Oppenheimer (2023) – und das nicht nur, weil der britische Schauspieler Donald Sumpter (Game of Thrones, Chernobyl) in beiden Filmen einen Kleinstauftritt als hochrangige graue Eminenz im US-Staatsapparat der Fünfzigerjahre hat.

Denn so wie Nolans Oscar-Abräumer die Biografie des Physikers J. Robert Oppenheimer virtuos zu einer ernüchternden Historie der amerikanischen Nachkriegspolitik von Nuklear-Wettrüsten bis McCarthyismus umdeutete, ist auch das neuste Kino-Puppenhaus des Regisseurs von The Royal Tenenbaums (2001), The Grand Budapest Hotel (2014) und Asteroid City (2023) ein wehmütiger, unterschwellig wütender Film über die politischen Verfehlungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs.

The Phoenician Scheme 1

© TPS Productions, Focus Features 2025 All Rights Reserved.

Vordergründig handelt The Phoenician Scheme vom kontroversen fiktiven Magnaten Zsa-zsa Korda (Benicio del Toro), der 1950 im ebenso fiktiven, nach alter Hollywood-Manier auf «arabisch» getrimmten Phönizien ein ambitioniertes Infrastrukturprojekt plant, das sein Imperium für die nächsten 150 Jahre sicherstellen soll. Als dieses jedoch durch staatliche Mauschelei – initiiert von Donald Sumpters Geheimkommission – ins Wanken gerät, bricht Korda mit seiner designierten Erbin, der angehenden Nonne Liesl (Mia Threapleton), und ihrem norwegischen Privatlehrer Bjørn (Michael Cera) nach Phönizien auf, um mit den anderen Projekt-Investor:innen über Überbrückungsfinanzierung zu verhandeln.

Daraus ergibt sich eine enorm vergnügliche, fast schon unübersichtlich rasante Thrillerfarce, in welcher der handgranatenversessene, einem Attentat nach dem anderen entkommende Mega-Mogul Korda sowohl seine philosophischen Differenzen mit der frommen Liesl – die ihrerseits die Freuden eines weltlichen Lebens kennenlernt – ausräumen als auch unkonventionelle Mittel und Wege finden muss, seinen «Phoenician Scheme» am Leben zu erhalten. Von der Wiedereinführung der Sklavenarbeit bis zum spontanen sportlichen Kräftemessen mit Riz Ahmed, Tom Hanks und Bryan Cranston bleibt nichts unversucht.

Zwar fehlt The Phoenician Scheme ein wenig die stete narrative und emotionale Eskalation, die Andersons jüngere Werke, insbesondere The French Dispatch (2021) und Asteroid City, auszeichnet: An die Stelle eines dramaturgischen Bogens tritt eine Erzählung, die auf Betriebstemperatur beginnt – mit einem herrlich brutalen Explosions-Gag – und 100 Minuten lang auf diesem Niveau verharrt. Doch Langeweile stellt sich hier nicht ein, nicht zuletzt dank der wie immer vorzüglich realisierten Kamera-, Kostüm- und Ausstattungs-Ästhetik, die – wie schon in Andersons für Netflix produzierten Roald-Dahl-Kurzfilmen – in entscheidenden Momenten anregend mit dem eigenen rigorosen Formalismus bricht, etwa wenn Benedict Cumberbatch, ausgerüstet mit Rasputin-Bart, die Kamera aus ihrer Starre löst, indem er sie frontal attackiert.

The Phoenician Scheme 2

© TPS Productions, Focus Features 2025 All Rights Reserved.

Worauf es der Film aber wirklich anlegt, wird erst ganz am Schluss explizit kommuniziert, mit einem Verweis auf den Libanon, das Heimatland von Andersons Partnerin, der Künstlerin Juman Malouf. Das Phönizien, das hier von Korda und seinen amerikanischen, europäischen und phönizischen Spiessgesell:innen zu Beginn des Nachkriegsbooms ohne Rücksicht auf die einheimische Bevölkerung – oder die stets am Rande des Filmbildes anwesende Arbeiter:innenschicht – aufgeteilt, (weiter)verkauft und wirtschaftlich «produktiv» gemacht wird, steht stellvertretend für so manches Gebiet, das in den letzten 80 Jahren der einen oder anderen Form imperialistischer Ausbeutung zum Opfer fiel – darunter auch der Libanon und das nahe Palästina.

In diesem Zusammenhang werden sogar Andersons filmhistorische Referenzen – Mathieu Amalrics Casablanca-artiger Nachtclub, der an Omar Sharif in Lawrence of Arabia (1962) erinnernde Meuchelmörder am Wüstenhorizont – zum politisch aufgeladenen Kommentar: So vereinfacht und orientalistisch romantisiert diese Nahost-Bilder auch gewesen sein mögen, ihnen wohnt eine positive Konnotation inne, die gerade der US-Popkultur längst abhandengekommen ist, übergriffiger westlicher Nahostpolitik sei Dank. Vielleicht bringt The Phoenician Scheme ja endlich jene Stimmen zum Verstummen, die Anderson schon seit Jahren der apolitischen Nostalgie bezichtigen.

 

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