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Le Paris Hintergrund Kino klein
So voll wie das Zürcher Arthouse Le Paris in dieser Aufnahme sind die Schweizer Kinos derzeit nur selten. Bild: © Baugeschichtliches Archiv Zürich

Zu langsame Erholung: Die Kinos schlagen Alarm

Die Zahl der Kinoeintritte erholt sich nach der Pandemie. Aber viel zu langsam, sagen die Kinos – und fordern staatliche Unterstützung.

Text: Michael Kuratli / 17. Jan. 2023

8.7 Millionen Eintritte verzeichneten die Schweizer Kinosäle 2022 landesweit. Das ist einmal die ganze Schweizer Bevölkerung, aber doch viel zu wenig. Wie die vergangenen Freitag publizierten Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, unterschreitet die Zahl die Eintritte des Vorpandemiejahres 2019 um rund 3.8 Millionen. Verglichen mit den Jahren 2015 bis 2019 liegt die Besucher:innenzahl aktuell 35 Prozent unter dem Schnitt.

Das geht bei den Betrieben mit dem Wegfall der Corona-Notfall-Entschädigungen ans Eingemachte. «Es ist fünf vor zwölf», sagte Stefanie Candinas, Co-Geschäftsleiterin der Arthouse Kinos, an einer Veranstaltung zum Thema Kinoförderung vergangenen Donnerstag im Zürcher Kino Xenix. Daniela Küttel, Mitglied der Geschäftsleitung der Neugass Kino AG, zog auf demselben Podium den Vergleich zur Landwirtschaft: «Wir hatten in den vergangenen Jahren Ernteausfälle, die Löcher in die Kasse gerissen haben. Und wenn der nächste Sommer kommt, geht vielen Betrieben das Geld aus.»

Struktur- und Betriebswandel

Für die Kinos ABC und Bambi in Bülach ist es bereits zu spät. Ende letzten Jahres schlossen die beiden Säle aus «wirtschaftlichen Gründen», wie Daniel Wagen, Sprecher der Eigentümerfamilie gegenüber der «Unterland Zeitung» sagte. Dem Zürcher Unterland bleiben damit nur noch das neue Kino in Freienstein und das Claudia in Kloten. Wie viele Betriebe in naher Zukunft der Konkurs treffen wird, wird auch vom politischen Willen der Gemeinden, Kantone und des Bundes abhängen.

An der Podiumsveranstaltung des Vereins Zürich für den Film reichten sich die Vertreterinnen von Kanton und Stadt Zürich sowie Ivo Kummer von der Sektion Film beim Bundesamt für Kultur den Stab in die Hand beziehungsweise verwiesen an die Politik. Sowohl Madeleine Herzog, Leiterin Fachstelle Kultur Kanton Zürich, als auch Murielle Perritaz, Co-Direktorin Kultur der Stadt Zürich, betonten, dass sie sich eine Stadt ohne Kinos nicht vorstellen können.

Gleichzeitig mahnten sie, dass es schwierig sei, von den Parlamenten Mittel gesprochen zu bekommen. Denn das Kinosterben stelle einen Strukturwandel dar. Den Status quo einfrieren, das werde darum nicht gehen. Kreative neue Konzepte, mit denen die Lichtspielhäuser auch Geld mit Gastronomie und anderen Nutzungen verdienen könnten, seien gefragt. Nur fehlt für solche Umbauten den meisten Betrieben der finanzielle Schnauf.

Im folgenden Schlagabtausch zwischen den – einander durchaus wohlgesonnenen – Parteien wurde das grosse Dilemma klar: Die Politik kann nicht kurzfristig reagieren, wenn es um Förderungen geht – und die Betriebe haben keine Reserven mehr, um auf eine Erholung zu warten oder zu diversifizieren.

Ist Kino Kultur?

Dem Problem liegt die Wahrnehmung der Kinobranche zugrunde. Während bei Theatern und anderen Kulturbetrieben seit jeher klar ist, dass es sich dabei um Kulturbetriebe handelt, wird das Kino als Ort meist zur Unterhaltungsbranche gezählt. Darum gilt es in der Regel als nicht förderungswürdig. Das Selbstverständnis vieler Betreiber:innen in der fragmentierten Branche ist denn auch das privatwirtschaftlicher Unternehmungen. Öffentliche Förderung war bis anhin weder nötig noch erwünscht.

Vonseiten der Politik spielten die Kinos in der Förderkette bislang ebenfalls kaum eine Rolle. Zwar existiert ein Direktzahlungsmodus für Schweizer Filme. Die Gesamtsumme aber, die der Bund über Programme wie Success cinéma an Kinos sprechen kann, ist mit 2.5 Millionen Franken denkbar klein. Während für die Herstellung, den Vertrieb und die Rezeption von Schweizer Filmen alleine vom Bund jährlich über 30 Mio. Franken pro Jahr gesprochen werden, profitieren Kinos davon nur indirekt, etwa über die erhöhte Auslastung via geförderter Filmfestivals.

Gesucht: 1 Million

Wie viel würde es also kosten, die Kinos, das letzte Glied im Filmförderungszyklus, zu retten und damit die Spielstätten der Schweizer Filmkultur zumindest kurzfristig zu erhalten? Daniela Küttel von Neugass Kino bot im Xenix eine Zahl an: 1 Mio. Franken pro Jahr im Kanton Zürich. Der Saal staunte über die angesichts der gesamten Kulturförderung von Stadt und Kanton verhältnismässig kleine Zahl. Ob die Branche aber rechtzeitig auf die Unterstützung von der öffentlichen Hand zählen kann, hängt vom Lobbying der Branche und von der Unterstützung der politischen Parteien ab, die in den Gemeinden, dem Kanton und letztlich auf Bundesebene tonangebend sind.

Noch in diesem Jahr wird sich also zeigen, ob das Kino den Aufstieg zur förderungswürdigen Kulturstätte schafft und damit ein wegweisender Entscheid für eine Schweizer Filmkultur getroffen wird. Oder ob bald Spielorte, die man lange für selbstverständlich nahm, ein für alle Mal verschwinden. Denn auch wenn sich niemand eine Stadt ohne Kinos vorstellen kann: Ist die H&M-Filiale oder der Escape-Room einmal im ehemaligen Quartierkino eingezogen, gibt es kein Zurück mehr.

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