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Backstage

Nachrichten aus der Filmwelt
Backstage

Sandra Hüller wollte Rolle in The Zone of Interest ablehnen

29. February 2024

Dem Regisseur Jonathan Glazer trug The Zone of Interest eine Nominierung bei den Oscars ein und den Grossen Preis der Jury von Cannes. Den dortigen Hauptpreis gewann allerdings der andere Film mit Sandra Hüller in der Hauptrolle, Anatomie d’une chute.

Die erzählte in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», dass sie die Rolle der Hedwig Höß zunächst gar nicht habe annehmen wollen. Offenbar hat man ihr anfangs nur zwei Seiten des Skripts zugestellt, aus denen noch nicht einmal hervorging, dass der Ort der Handlung das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ist. Auch davon, dass Jonathan Glazer Regie führen wurde, wusste Hüller zuerst nichts. Erst nach und nach habe sie den Charakter des Filmprojekts erkannt, sagt Hüller.

Weil sie sich ihren Figuren normalerweise mit Empathie nähere, habe sie sich nicht vorstellen können, die Frau eines Kriegsverbrechers zu spielen, sagt Hüller in dem Interview. Nachdem sie zugesagt hat, habe sie ihre Arbeitsweise ändern müssen: «Ich habe die Psychologisierung ausgelassen. Mich eben nicht gefragt, warum macht sie das?» Mit ihrer Darstellung habe sie bloss einem Phänomen näherkommen wollen, nicht einem Menschen.

Während der Dreharbeiten seien dann überall im Haus Kameras und Mikrofone angebracht worden. Dadurch standen die Darsteller:innen unter permanenter Beobachtung und spielten teilweise bis zu 45 Minuten lang ohne Unterbruch mehrere Szenen am Stück. Das sei «schonungslos und schmerhaft» gewesen, angesichts des Themas aber «angemessen», sagt Sandra Hüller. Oliver Camenzind

Berlinale tuttle

Berlinale: Tricia Tuttle übernimmt

5. February 2024

Die Internationalen Filmfestspiele Berlin haben ab 2025 eine neue Chefin. Sie heisst Tricia Tuttle, stammt aus dem Süden der USA und hat einen beeindruckenden Lebenslauf vorzuweisen. Der «Süddeutschen Zeitung» zufolge spielte sie einst in einer Emo-Band. Danach wurde sie Journalistin und Produzentin, arbeitete für die renommierte Filmakademie BAFTA in Grossbritannien und leitete schliesslich das London Film Festival.

Ab 2025 soll Tuttle in Berlin nach mageren Jahren wieder für Stimmung und Erfolge sorgen. Und dafür, dass in der deutschen Hauptstadt wieder etwas Ruhe einkehrt.

Über Berlin hat sich Chaos zusammengebraut, nachdem das Filmfestival unter seltsamen Umständen seine Leitung verloren hatte. Die Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek wollte aus der Doppelleitung aussteigen, woraufhin die Politik – verkörpert von der deutschen Kulturstaatsministerin Claudia Roth – sich weigerte, eine Ersatzperson zu suchen. Offenbar war eine Einzelleitung erwünscht.

Doch der verbleibende Co-Leiter, Carlo Chatrian, mochte die künstlerische und wirtschaftliche Verantwortung nicht alleine tragen – und sah sich deshalb gezwungen, zu gehen. Auch der Protest von Martin Scorsese und Kristen Stewart gegen die Ein-Personen-Lösung half nichts. Claudia Roth blieb streng. Damit wird die diesjährige Ausgabe Chatrians letzte sein.

Gemäss Informationen des «Tages-Anzeigers» war auch der Direktor des Zurich Film Festival, Christian Jungen, als möglicher Berlinale-Chef gehandelt worden. Oliver Camenzind

Solothurn 2024

BAK Film: Neue Co-Leitung ab März 2024

29. January 2024

Jetzt werden die Stühle abgestaubt in den Amtsstuben von Bern. Nach zwölf Jahren kommt es zum Wechsel in der Leitung der Sektion Film beim Bundesamt für Kultur (BAK). Auf Ivo Kummer folgt mit Nadine Adler und Laurent Steiner erstmals eine Co-Leitung. Adler wechselt vom Migros-Kulturprozent, wo sie die Co-Leitung der Abteilung Förderung Kultur innehatte. In dieser Funktion war sie für diverse Förderprojekte verantwortlich und baute unter anderem das Story Lab auf. Ihr zur Seite steht der Romand Steinert. Anders als Adler kennt er das BAK bestens. Seit 2005 ist er stellvertretender Leiter der Sektion Film und arbeitet damit schon länger in der Verwaltungsstelle als der abtretende Kummer.

Über ein Jahrzehnt prägte dieser die Geschicke des Schweizer Filmschaffens. Dem gebürtigen Solothurner war die Verbundenheit zur Schweizer Werkschau sozusagen in die Wiege gelegt. 1986 wurde er Mediensprecher bei den Filmtagen, drei Jahre später zu deren Direktor ernannt. Auch in Solothurn, in der ehemaligen Klosterkirche St. Josef, verkündete er während der letztjährigen Ausgabe seinen Rücktritt. Ende Januar 2024 geht er in Pension.

Laurent Steinert leitet die Sektion Film bis zum 1. März diesen Jahres interimistisch, um danach mit seiner neuen Kollegin die Co-Leitung anzutreten. Das neue Team übernimmt die Leitung in einem kritischen Moment. Statt grosser Projekte wird es erst einmal darum gehen, die Sparmassnahmen des Bundes bei den diversen Förderinstrumenten umzusetzen. Michael Kuratli

Anatomie dune chute 2

Sandra Hüller war im Hoch, nun geht ihr Aufstieg weiter

4. January 2024

Überall wurde Sandra Hüller für ihre Hauptrolle im Cannes-Gewinner von 2023 gelobt. Und wirklich lebt Anatomie d'une chute über weite Strecken von der brillanten Darbietung der deutschen Schauspielerin. Nun ist die Award-Saison angebrochen – und zur symbolischen Anerkennungen im Publikum und in der Presse gesellen sich nun diverse handfeste Preise für Sandra Hüller.

Beim Europäischen Filmpreis, der im Dezember in Berlin verliehen wurde, gewann Anatomie d'une chute den Preis für den besten europäischen Film. Und Hüller wurde zur besten Darstellerin gekürt.

Beinahe zeitgleich gewann Hüller den Preis der Filmkritiker:innen von Los Angeles als beste Darstellerin. Interessant an diesem Award ist, dass Hüller ihn für zwei Leistungen zugleich erhielt: die Hauptrolle in Anatomie d'une chute sowie für die Hauptrolle in The Zone of Interest.

In diesem Film des britischen Regisseurs Jonathan Glazer geht es um den Nazi Rudolf Höss. Höss war Obersturmbannführer der SS und von 1940 bis 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. Hüller spielt in dem Drama Höss' Gattin Hedwig.

The Zone of Interest kommt bei uns am 29. Februar in die Kinos. Und geht es nach den Filmkritikern in Los Angeles, dürfen wir gespannt sein: Sie haben den Film als besten Film ausgezeichnet, zudem für seine Regie und seine Musik.

Mit dieser Ausgangslage dürfte Sandra Hüller auch bei den Oscars gute Karten haben. Gewinner:innen von Kritiker:innenpreisen gelten dort häufig als Favoriten.

Update 23. Januar 2023: Sandra Hüller wird für ihre Hauptrolle in Anatomie d'une chute für einen Oscar nominiert. Ebenfalls in dieser Kategorie nominiert sind Emma Stone (Poor Things), Lily Gladstone (Killers of the Flower Moon), Carey Mulligan (Maestro) und Annette Bening (Nyad) an. Oliver Camenzind

Greta gerwig barbie

Greta Gerwig wird Jurypräsidentin von Cannes

14. December 2023

Greta Gerwigs Aufstieg erfolgte langsam, aber stetig. Bis vor Kurzem galt sie noch als Hoffnungsträgerin des US-amerikanischen Independent-Kinos. Doch jetzt gehört Gerwig plötzlich zu den erfolgreichsten Regisseur:innen, die es überhaupt je gegeben hat. Barbie hat an den Kinokassen fast anderthalb Milliarden Dollar eingespielt.

Zu Gerwigs kommerziellem Erfolg kommt nun auch enormes immaterielles Ansehen. Am 14. Dezember wurde bekannt, dass sie 2024 die Jury in Cannes präsidieren wird. Somit wird sie mitbestimmen, welche Filme künftig Erfolg haben werden. Die Goldene Palme von Cannes gilt schliesslich als eine der höchsten Auszeichnungen der Filmwelt. Vor Gerwig haben dieses Amt schon Steven Spielberg, Robert De Niro, Tim Burton und David Lynch ausgeübt. Oliver Camenzind

6 IN PURSUIT OF REPETITIVE BEATS

Das GIFF erkundet die Grenzen der Realität

6. November 2023

Eine Schallplatte liegt vor mir auf dem Tisch. Ich nehme sie auf, lege sie auf den Spieler, drücke Play. Die Platte beginnt sich zu drehen, der Tonkopf legt an und die Bässe wummern sogleich durch meinen Körper. Langsam schwebe ich auf die Rille zu, in sie hinein, bis ich vor dem gigantischen Tonkopf, hoch wie ein Haus, stehe. Bevor ich den Mund wieder zubekomme, hat sich die Ton- in eine Fahrspur verwandelt und ich schwebe auf der Autobahn einem klapprigen Kleinwagen hinterher, auf der Suche nach der besten Party des Abends.

Was wie ein abgefahrener Traum klingt, ist ein Virtual-Reality-Erlebnis, das dieser Tage am Geneva International Film Festival (GIFF) erlebt werden kann. Die interaktive Dokumentation In Pursuit of Repetitive Beats geht der Raver-Szene in England zu Beginn der Neunziger auf die Spur. Oder vielmehr dem Phänomen, das diese Partys begleitete. Wer hemmungslos feiern wollte, musste damals ganz schön was auf sich nehmen. Piratenradiosender oder Flyer verrieten Hinweise auf Hinweise zur Party. Eine Telefonkabine im Niemandsland war um eine bestimmte Uhrzeit der Schlüssel zur Location. Hunderte Autos machten sich darauf – jegliche Rotlichter missachtend – auf zur Nacht der Nächte.

Dieses Abenteuer erzählt Darren Emerson anhand von begehbaren, virtuellen Standszenen: Eine Polizeistation, eine Einzimmerwohnung, das Telefon im Nirgendwo, schliesslich der Club. Unter der VR-Brille schmökere ich in der Szene herum, nehme einen Flyer zur Hand, aus dem Beteiligte von damals erzählen. Der kreativste Einfall in der Mitte des 35-minütigen Kurzfilms: Auf und Ab geht man auf einem Radioregler, rauscht sich durch klassische Musik, Wettervorhersagen und stösst letztlich auf den Piratenkanal mit der ersehnten Information.

In Pursuit of Repetitive Beats ist ein Vorzeigestück des immersiven Kinos. Seit seiner Premiere am London Film Festival vor einem Jahr tourt der Film wie eine Jahrmarkt-Attraktion von Festival zu Festival. «Das ist die Art und Weise, wie wir diesen Film zeigen», sagt Produzent Dan Tucker. Wir stehen in der Ausstellung, die den Film begleitet und Flyer sowie Videoaufnahmen von frühen Raves in der Romandie zeigt. «Natürlich werden wir den Film auch für den Heimmarkt herausgeben.» Ein dumpfes Hämmern, als würde man vor den Toren eines Nachtclubs stehen, begleitet das Gespräch. Das Erlebnis am GIFF geht weit darüber hinaus, sich eine Brille aufzusetzen. Der Film zeigt, was im narrativen Kino heute mit Virtueller Realität möglich ist – und wo ihre Grenze liegt. «Für den Film entwickelten wir eine eigene ästhetische Sprache», erzählt mir Tucker, während sich meine Augen erst wieder an die echte Welt gewöhnen müssen. «Dabei mussten wir uns entscheiden, was wir wie zeigen möchten», erklärt er. «Weil die Rechenkapazitäten mobiler VR-Geräte beschränkt sind, kamen etwa durchgehend animierte Sequenzen nicht in Frage.»

Ebenfalls an der Grenze des derzeit technisch Möglichen bewegt sich das Projekt Tulpamancer. Ein retrofuturistischer Computer steht im ersten Raum, auf dem Bildschirm begrüsst mich eine an MS-DOS erinnernde Promtzeile. Ich beantworte «Tulpa» Fragen zu meinem Morgen, erzähle Kindheitserinnerungen und die Begegnung mit einem Fremden. Im nächsten Raum, unter der VR-Brille, zeigt sich mir die Bildwelt, die sich die KI dazu imaginiert hat. Begleitet von sphärischen Klängen erzählt mir eine sanfte Frauenstimme die psychoanalytisch anmutende Geschichte zu meinen Antworten. «Vor einem Jahr wäre dieses Erlebnis noch nicht möglich gewesen», erzählt mir Marc Da Costa, einer der Schöpfer von Tulpamancer. Das 3D-Mapping, welches sich aus der ChatGPT-Konversation mit dem Gast Bilder errechnet, sei komplex und noch in den Kinderschuhen. Als Inspiration diente ihm die theosophische Lehre über die menschliche Aura, welche etwa Künstler wie Wassily Kandinski und Piet Mondrian beeinflusste. Die Idee, dass dem menschlichen Geist und Denken eine visuelle Entsprechung in der Welt entstehen kann, ist mit Tulpamancer in noch etwas kruder Weise umgesetzt. Und lässt doch erahnen, wohin sich die Technologie entwickeln wird.

Dass Virtuelle Realität nicht gesehene Welten erkundet und an die Grenze des Zeigbaren geht, leuchtet ein. Doch ein weiterer Film am GIFF sticht in diesem Punkt heraus. In Die Theorie von Allem erkunden Physiker im Jahr 1962 in einem Alpenthrilller in Hitchcock-Manier die Grenzen der Realität. Eine geheimnisvolle Pianistin bringt einen Doktoranden, der eine revolutionäre These zum Multiversum schreibt, auf die unheimliche Spur, in der Theorie und Praxis aufeinanderprallen. Timm Kröger feierte mit seinem zweiten Spielfilm an den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Während er in Deutschland bereits in den Kinos läuft, muss man sich bei uns noch bis im Frühjahr 2024 gedulden. Oder diesen Mittwoch zur zweiten Vorstellung nach Genf reisen. Michael Kuratli

Wes Anderson original

Wes Anderson entdeckt die Liebe zum Kurzfilm

© Roger Do Minh, 2023 Netflix

30. October 2023

Sind alle Filme von Wes Anderson irgendwie gleich? Bildgestaltung, Erzählweise – es gibt durchaus Dinge, die die Werke des gehypten Meisters des Absurden eindeutig wiedererkennbar machen. Seine Kurzfilme, die auf Geschichten von Roald Dahl basieren und die derzeit zur Anthologie zusammengeschnürt auf Netflix zu sehen sind, sind da keine Ausnahme. (Poison, The Rat Catcher, The Swan und The Wonderful Story of Henry Sugar sind diesen Herbst beim Streamingservice erschienen.)

«Ich denke nicht über meinen eigenen Stil nach», erzählt der Regisseur auf dem Festival Lumière in Lyon. «Ich denke nur daran, was neu ist an der Geschichte, welche neuen Ideen ich habe. Und trotzdem erkennen die Leute bei jedem meiner Filme sofort, dass er von mir ist.» Doch ist diesmal etwas grundlegend anders: Mit dem Kurzformat (der längste der vier Filme ist nur 39 Minuten lang) wagt sich Anderson in einen Bereich, den erfolgreiche Filmemacher:innen oft scheuen. Und Überraschung: Er hat offenbar Freude daran gefunden. «Es war ein tolles Erlebnis», erzählt der Regisseur auf dem Festival Lumière in Lyon. «Netflix hat mich so sehr motiviert. Ich kann mir vorstellen, noch mehr solcher Kurzfilme zu machen.» Netflix kommt also eine zentrale Rolle zu: Der Streamingdienst habe die gesamten Filmrechte an den Werken von Roald Dahl gekauft, «und es würde mir Spass machen, noch ein paar davon umzusetzen.»

In den Dahl-Kurzfilmen hat Anderson seinen Stakkato-Stil auf die Spitze getrieben. Noch schneller fliegen die Worte des Drehbuchs diesmal durch den Raum, dazu gibt es auf dem Bildschirm zweidimensional arrangierte Welten zu sehen, die fast wie aus einem Bilderbuch wirken – ein Bilderbuch, das Anderson vor den Augen der Zuschauer:innen sozusagen durchblättert. «Roald Dahls Worte haben mich dazu gebracht, diese Filme zu machen», so Anderson. Mit seiner eigenwilligen Umsetzung wolle er der literarischen Vorlage ebenso gerecht werden wie den Möglichkeiten aus der Welt des Films.

«Diese filmische Erzählweise ähnelt ein bisschen dem Lesen», erklärt der 54-Jährige, der damit vor allem jungen Menschen die Welt der Bücher nahebringen möchte. Dass seine eigenwillige Erzählform Erfolg hat, mag für uns als Publikum schon selbstverständlich sein. Wes Anderson stellt sie aber offenbar immer wieder selbst infrage. «Es gibt Momente, da mache ich mir Sorgen, dass ich den Bogen überspanne: Wird das Publikum das noch mitmachen?», fragt er und denkt dabei an seine jüngsten Werke. «Aber wenn ich etwas wirklich auf eine bestimmte Art umsetzen will, dann tue ich es einfach – auch, wenn es mir Angst macht.»

Bisher sind alle Literaturvorlagen, die Wes Anderson verfilmt hat, Werke von Roald Dahl gewesen – angefangen hat das vor 14 Jahren mit Fantastic Mr. Fox, einer Adaption von Dahls gleichnamigem Kinderbuch. Ihn reizt aber noch ein anderer Autor, verriet er beim Publikumsgespräch im grossen Konzertsaal von Lyon: Paul Bowles. Dessen wunderbare Kurzgeschichten würden sich auch gut als Kurzfilme machen, meint Anderson. Und fügt hinzu: «Jetzt wird mir sicher jemand diese Idee wegschnappen.» Hoffentlich nicht! Philip Artelt

Frame

Der grüne Teppich wird eingerollt und das Frame öffnet die Tore

9. October 2023

Das 19. Zurich Film Festival, kurz ZFF, ist passé. Über elf Tage flimmerten in ausgewählten Kinosälen 150 Filme über die Leinwand. Der Abschluss bildete die Preisverleihung in der Nacht auf den Sonntag. Schauplatz: das Opernhaus.

Regisseur Selman Nacar gewann mit Hesitation Wound in der Kategorie Spielfilm. Der Film spielt in der Türkei und handelt von der Rechtsanwältin Canan, die sich im Verlauf eines Falls zwischen Moral und Gerechtigkeit entscheiden muss. Hollywoodgate von Filmemacher Ibrahim Nash’at wurde in der Kategorie Fokus ausgezeichnet. Sein Werk porträtiert den Chef der Taliban-Luftwaffe sowie einen Taliban-Leutnant und gibt Einblicke in die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Die Auszeichnung als bester Dokumentarfilm ging an In the Rearview. Regisseur Maciek Hamela hält in seinem Film die Reise geflüchteter Ukrainer:innen fest.

Der Preis in den drei Hauptkategorien ist nebst der Trophäe des Goldenen Auges mit einer Summe von 25 000 Franken dotiert. Für Christian Jungen, Artistic Director des Festivals, ist das Ziel des Wettbewerbs, neue Regietalente zu entdecken und ihre Werke einem breiten Publikum bekannt zu machen. Zu bedauern ist, dass in diesem Jahr demnach in den Hauptkategorien männliche Regisseure die Jurys überzeugen konnten.

Abseits des grünen Teppichs eröffnete das Kino Frame, vormals Kosmos, seine Tore. Seit dem 1. Juni befinden sich die sechs Kinosäle in den Händen der Spoundation Motion Picture AG, die Event- und Vermarktungsagentur des ZFF, die zur NZZ gehört. Ab heute, dem 9. Oktober, startet das reguläre Kinoprogramm mit einem Filmrepertoire an Mainstream-, Arthouse- und Dokumentarfilmen. Yurena Rubido Chaves

WGA Streik

Streik der Writer's Guild endet mit Erfolg für Gewerkschaft

27. September 2023

Drehbuchautor:innen können seit heute mit neuem Elan an ihre Arbeit gehen. Die Führung der Writer's Guilde of America (WGA), der us-amerikanischen Gewerkschaft der Drehbuch-Autor:innen, hat die Aufhebung des Streiks beschlossen. Dies, nachdem eine vorläufige Vereinbarung mit den Hollywood-Studios zustande kam.

Nach 146 Tagen haben die Streikenden nach zehrenden Verhandlungen mit der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) damit einen Erfolg vorzuweisen. Gemäss der Vereinbarung erhalten die Schreibenden unter anderem mehr Lohn, bei Grossproduktionen ist ein Mindestpensum an Autor:innen garantiert und Streamingplattformen müssen künftig Nutzungszahlen offenlegen, die eine Gewinnbeteiligung ermöglichen. Ausserdem legt die Vereinbarung die Verwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) fest. Drehbuchautor:innen können nicht gezwungen werden, KI einzusetzen, um ihre Arbeit zu beschleunigen, KI-geschriebene Texte dürfen nicht in Filmen und Shows verwendet werden, da sie nicht urhe-berrechtskonform sind. Die Verwendung von KI bei Texten zuhanden der Schreibenden muss zudem deklariert werden.

Die Gewerkschaftsführung spricht von einem «aussergewöhnlichen Erfolg» mit «wertvollen Errungenschaften und Schutzmechanismen für Schreibende in allen Bereichen», wie diverse Medien, etwa Jacobin, schreiben. Die Gewerkschaftsmitglieder können über die Vereinbarung zwischen dem 2. und 9. Oktober abstimmen.

Der Streik dauerte seit dem 2. Mai an. Weiterhin nicht bei der Arbeit sind die Schauspieler:in-nen der Gewerkschaft SAG-AFTRA, die um eine eigene Vereinbarung ringen. Der Doppelstreik hat auch Auswirkungen auf die Promotion amerikanischer Produktionen und damit auf Filmfestivals und -starts weltweit. Für Film- und Serienfans wird der lange Streik erst ab kommendem Jahr spürbar. Etliche Staffeln und Kinofilme werden um mehrere Monate verögert produziert und ausgespielt werden.

Der Doppelstreik ist Ausdruck einer erstarkten Bedeutung der Gewerkschaften in den USA. Zurzeit wird nebst der Film- auch die Autoindustrie bestreikt. Dank eines historischen Schul-terschlusses stehen derzeit die Werke der drei grossen Fahrzeughersteller still. Mitarbeitende fordern mehr Lohn und Sicherheiten. Michael Kuratli

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71. Filmfestival San Sebastián: Skandal um Filminterview

21. September 2023

Polemik und erhitzte Gemüter, dafür sorgte an dem diesjährigen Filmfestival der Einweihungsfilm No me llame ternera von Jordi Évole und Màrius Sánchez. Der Film zeigt ein Interview des spanischen Investigativjournalisten Jordi Évole und dem lang untergetauchten ETA-Terroristen Jose Antonio Urrutikoetxea Bengoetxea, auch bekannt als Josu Ternera. Josu Urrutikoetxea galt als einer der führenden Köpfe der baskischen Terrororganisation ETA und war an ihrer Auflösung im Jahr 2018 beteiligt. Ihm werden zahlreiche Morde zur Last gelegt. Sein Prozess steht noch an. Von Reue zeigt der Verdächtige keine Spur.

Als das Filmfestival San Sebastián den Film ankündigte, liessen empörte Reaktionen nicht lange auf sich warten. Über 500 Politiker:innen, Autor:innen und Terrorismusopfer veröffentlichten ein Manifest, in dem sie das Filmfestival aufforderten, den Film zurückzuziehen. Der Vorwurf lautet: «Das Festival verharmlose Terrorismus und verletze ohnehin bereits traumatisierte Opfer».

Festivalleiter José Luis Rebordinos reagierte mit einen offenen Brief, in dem er sich klar gegen Terrorismus aussprach und sich von den Vorwürfen distanzierte: «Wenn man jemanden zu Wort kommen lässt, heisst es nicht automatisch, man teilt seine Weltansicht. Filme sind ein gutes Medium um Dialoge anzustossen und zu verstehen, warum jemand etwas tut.»

Derartige Debatten kennt das Festival in San Sebastián zu genüge. Schon einige Filme, darunter auch preisgekrönte, die hier über die Leinwand flimmerten, spiegelten die politische Situation des Baskenlandes. Etwa Proceso de Burgos von Imanol Uribe (1979). Der Film handelt von einem Kriegsrat gegen ETA-Mitglieder in der Franco-Diktatur. Regisseur Julio Medem wiederum wagte mit La pelota vasca (2003) einen Dokumentarfilm, in dem Stimmen aus allen Lagern zu Wort kommen. Er wurde boykottiert.

Tiro en la cabeza (2008) von Jaime Rosales spielt den Mord an zwei Polizisten nach. Der Film setzt auf distanzierte Bilder. Es gibt keine Dialoge. Das Stilmittel wurde dem Regisseur am Ende zum Verhängnis – der Film wegen seiner Offenheit zum Skandal. Fe de etarras (2017) ist eine Komödie, die mit absurdem Humor die Terrororganisation ETA auf die Schippe nimmt.

Besonders interessant ist der auf eine wahre Geschichte beruhende Film Maixabel (2022) von Iciar Bollaín. Im selben Jahr gewann er den spanischen Fimpreis Goya. Bollaíns Film handelt von zweiten Chancen und restaurative, opferorientierte Justiz. Im Film trifft sich die Witwe eines ETA-Opfers auf ein Gespräch mit dem Täter. Ein Plädoyer für den Dialog. Jone Karres Azurmendi

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Der Schräge: Yorgos Lanthimos gewinnt in Venedig

13. September 2023

Der Preis für den besten Film der Filmfestspiele von Venedig, der Goldene Löwe, geht dieses Jahr an Poor Things von Regisseur Yorgos Lanthimos. Der Film hatte an eben jenem Festival seine internationale Premiere gefeiert und erzählt eine feministische Variante des Frankenstein-Stoffs. Die Hauptrolle der Bella Baxter spielt die US-amerikanische Schauspielerin Emma Stone. Als ihr Filmgatte ist Willem Dafoe in der Rolle des Dr. Godwin («God») Baxter zu sehen. Ausserdem hat Hanny Schygulla, die Grande Dame des Deutschen Films, einen Auftritt in dem Film des Griechen.

Es ist Lanthimos' 13. Film. Bereits für Alpis war er in Venedig 2011 mit dem Preis für das beste Drehbuch geehrt worden. 2018 bekam er in Venedig den Grossen Preis der Jury für The Favourite. Dass er nun mit dem Hauptpreis gewürdigt wird, passt zu seinem kontinuierlichen Aufstieg unter den Art-House-Regisseur:innen der Welt. Die internationale Kritik handelt Poor Things denn auch als seinen bisher besten Film.

Wie Yorgos Lanthimos vom Vertreter der «Weird Wave of Greek Cinema» zum globalen Phänomen wurde, lesen Sie in unserem Hintergrund. Poor Things wird im Februar in die Deutschschweizer Kinos kommen. Oliver Camenzind

Fight club X Ci SQK

Schaulauf in Venedig ohne Hollywood

4. September 2023

An den diesjährigen Internationalen Filmfestspiele von Venedig fehlt der Glamour aus Übersee. Hollywoodgrössen wie Emma Stone, Bradley Cooper oder Michael Fassbender bleiben dem Festival aufgrund des Writers Guild of America Streikes fern.

Nicht so Regisseur David Fincher, unter anderem bekannt durch Fight Club und Se7en. Bei einer Pressekonferenz äusserte sich Fincher zum Streik: «Ich bin natürlich sehr traurig. Ich kann beide Seiten verstehen und alles, was wir tun können, ist, sie zu ermutigen, miteinander zu reden», wie der «Hollywood Reporter» schreibt.

Sein neuster Streich, ein Psycho-Action-Thriller, basiert auf der gleichnamigen Graphic-Novel-Reihe «The Killer». Michael Fassbender spielt in der Verfilmung die Hauptrolle. Der Film um einen Auftragskiller auf Rachefeldzug ist unter anderem im Rennen um die begehrte Trophäe des goldenen Löwen.

Ob sich die Adaption gegen die zweiundzwanzig anderen nominierten Filme durchzusetzen vermag, wird sich am kommenden Samstag bei der Preisverleihung zeigen. Bei der Weltpremiere am vergangenen Sonntag legte The Killer zumindest einen soliden Start hin. David Fincher und sein Film ernteten Standing Ovations. Yurena Rubido Chaves

Hollywoodsign

Der Hollywood-Schriftzug wird 100

30. August 2023

Eigentlich müsste diese Meldung um Weihnachten herum durch die Zeitungen gehen. Denn am 8. Dezember 1923 erhellte der Schriftzug «Hollywoodland» den Hügel über dem famosen Stadtteil von Los Angeles zum ersten Mal. Die Geschichte des Wahrzeichens der Traumfabrik könnte amerikanischer nicht sein. Denn aufgestellt wurden die rund 13 Meter hohen Buchstaben als Werbeaktion für Bauparzellen weit weg von der lärmigen Innenstadt von Los Angeles. Zu seinen Füssen wohnen heute die Schönen und Reichen, die Hollywoods Filmindustrie hervorgebracht hat.

Die Glühbirnen sind passé, abgeschaltet in der Wirtschaftskrise der Dreissigerjahre, ebenso die letzte Silbe «Land». Tragisch auch die Episode um die Schauspielerin Lilian Entwistle, die sich 1932 vom Buchstaben «H» in den Tod stürzte.

Nach dem zweiten Weltkrieg wollte die Stadtverwaltung, in deren Obhut das Land um den Mount Lee fiel, den «Schandfleck» gar abreissen. Doch Hollywood wehrte sich. Bis in die Siebzigerjahre blieb das Wahrzeichen in einem desolaten Zustand, Buchstaben vielen um, die morschen Holzbalken brachen. Schliesslich war der Werbegag ursprünglich nur für eine Dauer von 18 Monaten ausgelegt.

Hugh Hefner, der Herausgeber des «Playboy», kümmerte sich schliesslich um Fundraising zum Erhalt der Buchstaben. Seither werden die Buchstaben vom «Hollywood Sign Trust» gepflegt – und bewacht. Wer sich heute zu nah an das «monument» wagt, muss mit Verhaftung und Schlimmerem rechnen. Just zum Hundertjährigen verpasste man ihnen einen neuen Anstrich. Die ausführliche Geschichte lesen Sie bei der NZZ. Michael Kuratli

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Drama um Hollywood-Drama

23. August 2023

Wer sich bereits gedacht hat, dass ausgerechnet everyones darling Sandra Bullock ins Kreuzfeuer der Medien geraten wird, muss Hellseher:in sein. Kaum etwas hätte man der so beliebten Schauspielerin bisher ankreiden können – ausser eins, zwei nicht allzu gelungene Filme, darunter ein regelrechtes Kinodebakel (All About Steve – auf Disney+ oder Apple TV können Sie sich selbst von dieser fehlgeleiteten Komödie entgeistern lassen). Aber als Miss Congeniality, mit Speed oder Gravity hat Bullock ihren Teil geleistet, um von Fans bewundert und geliebt zu werden.

Der Film, der nun schlechtes Licht auf Hollywood und eben auch auf die Schauspielerin wirft, liegt qualitätsmässig wohl irgendwo dazwischen: The Blind Side erzählt 2009 die Geschichte einer Mutter, die einen talentierten jungen Football-Spieler aus der Misere und zu sich nachhause holt. Um ihm ein Dach über den Kopf und ideale Möglichkeiten zu bieten, an seiner künftigen Karriere als Profisportler zu basteln. So weit, so kitschig, und dass hier Hollywood nochmals eine blütenreine white-savior-Geschichte auftischt, liess den Film nicht besonders gut altern. Auch wenn er als Kitschmelodrama allein vielleicht solide genug wäre, um über seine zwei Stunden Laufzeit hinweg einigermassen unterhalten zu können.

«Based on a true story» – mit dem Anspruch auf Authentizität konnte der Film 2009 noch weitere Punkte einsammeln, denn die Academy, die den Oscar verleiht, hat ihre Statue damals Bullock als beste Schauspielerin für diesen Film überreicht.

Nun erzählte Michael Oher, der NFL-Footballer, auf dessen Biografie der Film basiert, diesen August vor Gericht, dass seine Geschichte damals keineswegs so schön verlief, wie sich das die Drehbuchautor:innen und Produzent:innen im sonnigen Kalifornien gern vorgestellt hätten. Stattdessen soll ihn die Familie, wie «The New York Times» berichtet, in die Übergabe seiner Rechte hineinbetrogen haben. Im Bundesstaat Tennessee kämpft er nun darum, aus der Vormundschaft der Tuohys, dessen Oberhaupt Leigh Anne von Bullock im Film verkörpert wird, entlassen zu werden.

Durch die Sozialen Medien kursiert seither die Frage, inwiefern nicht nur Tuohy, sondern auch Bullock und Hollywood gleichsam ausbeuterisch agiert haben. Eine Aufarbeitung geht dabei einmal mehr mit dem Wunsch einher, im Kino generell kritischer und ethischer zu erzählen. Selina Hangartner

WGA Streik

100 Tage Streik!

16. August 2023

Der Streik der Writers Guild of America (WGA) erreichte letzte Woche seinen 100. Tag. Streikposten in New York und Los Angeles sind zahlreich besetzt und stehen unter anderem vor den grossen Studios von Netflix, Warner Bros. oder Paramount. Laut «Variety» erfahren die Autor:innen Hollywoods überschwängliche Solidarität aus breiten Bevölkerungskreisen. Der Zusammenhalt und das Engagement der Mitglieder sei gross, ebenso wie die Erwartung, nun Nägel mit Köpfen zu machen und die Forderungen der WGA durchzusetzen.

Schon 1988 erwirkte die Gewerkschaft einen 154 Tage langen Streik, den damit längsten der Geschichte der WGA. Zahlreiche Autor:innen wurden damals während dem Streik von den Studios entlassen und gerieten in finanzielle Schwierigkeiten. Dabei ging es um Nachzahlungen für erzielte Gewinnanteile von Serien, die im Ausland ausgestrahlt wurden. Der Streik bewirkte einen neuen Arbeitsvertrag, der Formeln zur Berechnung von Missständen und der Erhöhung des Mindestlohns in der Branche festlegte. 2008 handelte die WGA nach einem weiteren 100-tägigen Streik einen neuen Vertrag aus, der Erfolgsbeteiligungen regelte, wenn Filme oder Serien im Internet vertrieben wurden. Der Streik kostete die kalifornische Wirtschaft damals schätzungsweise 2 Milliarden Dollar, weil die Beschäftigung und das Einkommen in der Branche zu dieser Zeit stark zurücktraten, wie «Vox» schreibt. Die Auswirkungen der Streiks machte sich also weit über die Branche hinaus bemerkbar.

Im aktuellen Streik wurden bereits Gespräche zwischen der WGA und der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) geführt, wobei sich die WGA nicht kompromissbereit zeigte. Da gewisse Anliegen der Gewerkschaft bei den Studiochefs auf taube Ohren stossen, will die WGA standhaft bleiben. Dabei dreht es sich zum Beispiel um Profitanteile, die bei Streaming-Diensten aufgrund von Zuschauer:innenzahlen evaluiert wird. Auf ein schnelles Einlenken der Studios und der AMPTP hofft das Verhandlungskomitee der WGA nicht, darum sei ein standhafter Streik umso wichtiger.

Sorgen, dass Kalifornien aufgrund des Doppelstreiks der Drehbuchschreibenden und Schauspieler:innen erneut in eine Rezession rutscht, macht sich die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass. Sie sprach sich deshalb für eine sofortige Einigung zwischen den Streikenden und den Studios aus. Die beiden Parteien wird dieser Appell wohl nicht von ihren Positionen abbringen. Mel Giese Pérez

Mobiliare luc jacquet kids award 2023

Locarno Kids Award la Mobiliare für Luc Jacquet

10. August 2023

Brutale Kälte, völlige Einsamkeit, Lebensgefahr: Seit 30 Jahren ist der französische Biologe und Filmemacher Luc Jacquet im antarktischen Eis unterwegs. Immer wieder zieht es ihn in diese unwirtlichen Gegenden zurück – die Reisen an das südliche Ende der Welt haben für ihn eine fast schon spirituelle Bedeutung.

Was das bedeutet, was er am Südpol sieht und erlebt, verarbeitet er zu poetischen Filmessays über die erhabene Schönheit der Natur. Und darüber, was für einen Platz dem Menschen in dieser vollkommenen, unberührten Natur zukommt. Mit seinem Debütwerk, La marche de l’empereur, gewann er 2006 den Oskar für den besten Dokumentarfilm.

Und beim Filmfestival in Locarno wurde Jacquet dieses Jahr für seinen neuen Film, Voyage au pôle Sud, mit dem Locarno Kids Award la Mobiliare ausgezeichnet. Diesen Preis stiftet die Versicherungsgesellschaft Mobiliar für Filmemacher:innen, die ein junges Publikum an Film und Kino heranzuführen vermögen. Die Mobiliar gehört zu den Hauptpartner:innen des Festivals und versteht den Film als eine Art Zukunftslabor der Gesellschaft, wie es in einer Medienmitteilung heisst.

Dass Luc Jacquet junge Menschen für seine Themen und für den Film begeistern kann, das hat er am Nachmittag vor der Preisverleihung am 7. August unter Beweis gestellt. Eingeladen wiederum von der Mobiliar, hat er sich den Fragen und Ideen von Jugendlichen gestellt. Die Schüler:innen haben vorgängig am Atelier du Futur teilgenommen, einem Ferienkurs, der junge Menschen mit «brennenden gesellschaftlichen Zukunftsfragen» in Kontakt bringen soll.

Von vieren dieser Schüler:innen hat Luc Jacquet den Preis am Montagabend auf der Piazza Grande überreicht bekommen. Dies aber erst, nachdem zwei Klimaaktivist:innen die Bühne gestürmt haben, was im Publikum für einige Furore sorgte. Der Regisseur und Giona Nazzaro, künstlerischer Direktor des Filmfestivals, handhabten den Zwischenfall aber mit grösster Tessiner Eleganz. Man gab den beiden jungen Menschen ein Mikrofon und vereinbarte, dass sie freiwillig abziehen würden, nachdem sie ihre Botschaft platziert hätten.

Und so hatte der Montag in Locarno wirklich unter dem Stern der Jungen und ihrer Anliegen gestanden. Oliver Camenzind

Barbie SW

Barbie bricht auch in Schweizer Kinos Rekorde

27. July 2023

Haben Sie sich diese Woche gefragt, warum Pink gerade so Mode ist? Das liegt an den enthusiastischen Besucher:innen von Mattels Spielzeugpuppenfilm. Mit weltweit knapp 400 Million eingenommenen US-Dollar für verkaufte Kinotickets durchbrach Barbie nach seinem Start vergangenes Wochenende gläserne Decken. Greta Gerwigs Film übertrumpfte zahlenmässig jeden anderen Film einer weiblichen Regisseurin. Man gerät ins Hoffen, dass das Vertrauen der grossen Studios nachhaltig gestärkt ist und ihr Erfolg den Weg für andere Regisseurinnen zu ebnen vermag.

Auch dank seiner freundlichen (und im Internet hochstilisierten) Konkurrenz zu Christoper Nolans Oppenheimer, der ebenfalls vergangenes Wochenende startete, und einer immensen PR-Kampagne hat Barbie die Zuschauer:innen so zahlreich vor die grosse Leinwand gelockt. In den USA verbuchte man dank beiden Blockbustern das beste Kinowochenende seit 2019. Die Branche hofft deshalb darauf, präpandemische Besucher:innen-Zahlen zu erreichen. Auch in der Schweiz gibt es Grund zur Freude: Für Barbie zählte man am ersten Wochenende 91 000 Zuschauer:innen (in der gesamten DACH-Region satte 930 000). Damit müsste dem Film ein vorderer Rang in der jährlichen Statistik auch hierzulande sicher sein.

Dass Barbie und Oppenheimer (der seinerseits stolze 60 000 Zuschauer:innen in Schweizer Kinos lockte) den Franchise-Filmen Indiana Jones and the Dial of Destiny und Mission Impossible – Dead Rechoning – Part One trotzen, lesen wiederum viele als Sieg des traditionellen, alleinstehenden Blockbusters über die Sequel-Wut Hollywoods. Beim lukrativen Geschäft um die Plastikpuppe ist aber Barbie II nur eine Frage der Zeit. Gerwig, die beim Drehbuch viel Chuspe bewies, erklärte im Interview mit «The New York Times» aber bereits, dass eine Fortsetzung ihres Film wohl ohne sie stattfinden müsste und sie überhaupt nicht daran denke: «At this moment, I’m at totally zero». Selina Hangartner

WA Gstreikt

Über den roten Teppich rollt ein Steppenläufer

19. July 2023

Seit Mai streiken Autor:innen in Hollywood und stehen für faire Arbeitsbedingungen ein. Das sorgt für etliche Produktionsverzögerungen gesorgt (siehe Backstage vom 5. April). Am 14. Juli hat die Gewerkschaft Screen Actors Guild ebenfalls ihre 160 000 Mitglieder zum Streik aufgefordert. Schauspieler:innen kämpfen nun neben Autor:innen für gerechte Verträge zwischen Arbeitnehmer:innen und Produktionshäusern sowie Streamingdiensten wie Netflix und Co. Dabei geht es um faire Löhne und den Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI).

Das Problem ist der überholte Mechanismus, mit dem Beteiligte eines Werks vergütet werden. Tantiemen werden nach wie vor Aufgrund von Besuchszahlen in Kinos und Zuschauenden am Fernseher evaluiert. Im Zeitalter der Streamingdienste sind diese Regelungen aber nicht mehr zeitgemäss. Auch der aufkommende Einsatz von KI bei Drehbüchern und bald ganzen Szenen ist ein besorgniserregendes Thema, denn das Mitbestimmungsrecht von Schreibenden und Schauspieler:innen wurde bislang nicht konkretisiert. Hollywood setzt also noch immer auf alte Geschäftsmodelle, geniesst aber die Vorzüge der Digitalisierung.

Produktionen wurden unterbrochen, Premieren werden boykottiert. Sogar Margot Robbie wird ihrer eigenen Premiere in Barbie fernbleiben. Auf den roten Teppichen der Festivals droht diesen Herbst ausser Öde und Steppenläufer (diese Strohballen, die bei Western über leere Landschaften rollen) nichts geblitzt zu werden. Die von der us-amerikanischen Filmproduktion abhängigen Industrie steht ein verheerender Stillstand bevor.

Dass nun auch die Schauspieler:innen auf die Barrikaden gehen, lässt sich auf die enorme Lohnschere zurückführen. Abgesehen von den Millionengagen für die wenigen Superstars sieht es für die Mitarbeitenden in den grossen Konzernen nämlich mies aus. Während in der Chefetage satte Boni ausbezahlt werden, müssen gewöhnliche Mitarbeitende um ihre Existenz bangen. So verdient beispielsweise Bob Iger, CEO der Walt Disney Company, das 1424-fache eines durchschnittlichen Mitarbeitenden, kalkuliert das Datenvergleichsunternehmen Equilar. Bei einem solchen Missverhältnis ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeiterklasse auf die Barrikade geht. Mel Giese Pérez

Stellan Skarsgard

Stellan Skarsgård erhält den Leopard Club Award

12. July 2023

Vielleicht ist es sein onkelhaftes Gesicht, das ihn in die höchsten Ränge internationaler Filmproduktionen getragen hat. Vielleicht auch seine raue Stimme, die dich zu deinen besten Taten ermutigen, als auch einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen lassen kann. Schaut man zurück in die Filmografie des schwedischen Schauspielers, wird klar, dass es auch mit der schieren Erfahrung, die Skarsgård seit seiner ersten Filmrolle im Jahr 1972 angehäuft hat, zu tun haben muss.

In annähernd 150 Film- und Fernsehproduktionen hat der inzwischen 72-Jährige mitgewirkt und zeigte sich dabei so wandelbar wie kaum ein anderer Zeitgenosse. Im jugendlichen Wahnsinn sägte er sich in einem manischen Kraftakt durch A Simple Minded Murderer (1982), ab Ende der Achtzigerjahre tauchte er auch in internationalen Produktionen wie The Unbearable Lightness of Being (1988) oder The Hunt for Red October (1990) auf.

So richtig ins Fliegen kam die Karriere aber dank der langjährigen Zusammenarbeit mit Lars von Trier. Dieser postulierte gemeinsam mit anderen Filmemacher:innen nach ersten internationalen Erfolgen 1995 mit Dogma 95 medienwirksam die europäische Antwort auf das Blockbusterkino. Ein Jahr später spielte Skarsgård in Breaking the Waves einen querschnittgelähmten Ehemann, der seine Frau zur sexuellen Befreiung anstachelt. Mehr Bewegungsfreiheit räumte von Trier ihm später von Dancer in the Dark bis Nymphomaniac Vol. I ein. Auch einem jüngeren Publikum mag das schauspielerische Schwergewicht ein Begriff sein. Vielleicht weniger wegen seiner polarisierenden Arthouse-Rollen, sondern eher aufgrund diverser Auftritte in Filmen des Marvel Cinematic Universe ab den 2010er Jahren.

Doch wer braucht schon seinen Körper, wenn er einen Charakter wie Stellan Skarsgård hat? Aufgewachsen in einem atheistischen Haushalt, setzte er sich immer wieder für säkulare Prinzipien in seinem Heimatland Schweden ein. «Nach 9/11 las ich die Bibel und den Koran. Das sind wahrlich bizarre Bücher mit viel Gewalt und wenig Liebe. Wer Liebe sucht, ist bei Shakespeare besser bedient, oder Bamse», sagte er einst in einer Fernsehshow. Letztere ist übrigens keine schwedische Schriftstellerin, sondern eine beliebte Cartoonfigur.

Einen Eindruck auf dieser Erde zu hinterlassen, scheint der Mann nicht nur mit seinen Filmen zu wollen. Auf Nummer sicher geht er mit acht Kindern aus zwei Partnerschaften. Vier davon folgten in die grossen Fussstapfen ihres Vaters und bauen gerade an ihrer eigenen Schauspielkarriere. Einer davon, Gustaf, begleitet Vater Stellan zur Preisverleihung in Locarno.

Nun also die Aufnahme in den Leopard Club, dem auch schon Mia Farrow oder Hilary Swank angehören. Giona A. Nazzaro, Direktor des Locarno Film Festivals, begründet die Auswahl folgendermassen: «Sein künstlerischer Ansatz erlaubt es ihm, tiefe existenzielle Melancholien zu erforschen, überschwängliche Freude zu verbreiten oder beunruhigend bedrohlich zu wirken.» Damit adelt er das Chamäleon zur Raubkatze. Michael Kuratli

Locarno stuehle

Ambitioniertes Programm am 76. Locarno Film Festival

6. July 2023

Am 5. Juli lud die Direktion des Locarno Film Festival zur grossen Pressekonferenz nach Bern. Bevor der künstlerische Direktor der Festspiele, Giona A. Nazzaro, das Programm der kommenden Ausgabe bekanntgab, richtete der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried ein paar Worte an die Presse.

Das Festival in Locarno sei die wichtigste Plattform für den kulturpolitischen Austausch der Schweiz, sagte von Graffenried. Und tatsächlich versteht sich Locarno in erster Linie als Forum: als Forum für das schweizerische und internationale Filmschaffen. Dazu passt das bunte Programm, das ab dem 2. August über die Leinwände gehen wird. Die insgesamt 214 Filme stammen aus über 30 Ländern und beschäftigen sich mit den mannigfaltigsten Themen. Da geht es um die Nationenbildung im Gastland Mexiko, um Absurditäten aus dem Kosmos von Quentin Dupieux und um mutmassliche Tötungsdelikte mit Sandra Hüller in der Hauptrolle.

Davon abgesehen stehen aber nur wenige grosse Namen im diesjährigen Programmheft. Zu den Höhepunkten werden die Schweizer Premieren von Ken Loachs Old Oak und Justine Triets Anatomie d’une chute gehören, genau wie die Weltpremiere von Laura Luchettis La Bella Estate. Zu Gast auf der Piazza Grande werden Ken Loach, Cate Blanchett, die Produzentin von Noora Niasaris Shayda und Sandra Hüller aus dem Cannes-Gewinner Anatomie d’une chute sein.

Das Programm sei sicherlich ambitioniert, sagte Giona Nazzaro, aber es seien auch populäre Filme darunter. «Populär, jedoch nicht populistisch», wie er betonte. Dann sind wir mal gespannt. Oliver Camenzind

Elemental online

Pixar muss erneut einen Flop verbuchen

28. June 2023

Einst galten die Animationsfilme von Pixar nicht nur als Spitze technischer Revolution, sie waren auch Publikumslieblinge. Die Hits Toy Story oder Inside Out gehörten ohne Frage zu den wichtigeren Errungenschaften, die das CGI fürs Kino erbrachte.

Doch seit einiger Zeit sieht es düster aus um die Disney-Tochterfirma. Elemental, der laut «The New York Times» mehr als 200 Millionen Dollar gekostet haben soll, konnte in den USA am ersten Wochenende nur 50 Millionen Dollar einspielen.

Dieser Abwärtstrend hat schon letzten Sommer eingesetzt, als Lightyear mit ähnlich desaströsen Zahlen startete. Auch in der Schweiz setzten sich laut ProCinema 2022 nur gut 23 000 Zuschauer:innen für den Toy Story-Spin-off ins Kino, für Inside Out waren es 2015 vergleichsweise noch fast 270 000. Selina Hangartner

Al Pacino Humbling 04

Stars und ihre Kinder: Je mehr, desto freudiger

20. June 2023

«Say hello to my little friend!» – sagte Al Pacino in seiner Rolle als Tony Montana in Scarface. Ob er den Satz in letzter Zeit wieder mal gesagt hat, ist nicht überliefert. Gepasst hätter er aber, denn im Alter von 83 Jahren wurde er kürzlich zum vierten Mal Vater. Das berichten diverse Medien, unter anderem der englische «Guardian». Und ja: Die Mutter des kleinen Buben namens Roman ist etwas jünger als Al Pacino. Okay, ziemlich viel. 54 Jahre trennen den Schauspieler und die 29 Jahre alte Noor Alfallah.

Die frischgebackenen Eltern sind seit etwas mehr als einem Jahr ein Paar. Noor Alfallah ist Filmproduzentin und war davor mit dem Frontmann der Rolling Stones, Mick Jagger, zusammen. Der ist immerhin drei Jahre jünger als Al Pacino, wird im Juli aber auch schon seinen Achtzigsten feiern.

Zu den ersten Gratulanten gehörte Robert De Niro, ein alter Weggefährte und Freund von Al Pacino. «Weiter so, Al», sagte der sinngemäss. Und: «Gott beschütze ihn». Robert De Niro weiss ja nun wirklich, wovon er spricht, wenn es um Kindergeburtstage geht, ist er doch selber 7-facher Vater.

Wie in ihrem professionellen Leben auch, stehen Al Pacino und Robert De Niro damit auch hinsichtlich ihrer Zeugungsfähigkeit sehr weit oben in den Rankings. Mick Jagger zum Beispiel hatte sein letztes Kind mit verhältnismässig jungen 73 Jahren, und sogar der «Playboy»-Gründer Hugh Hefner bekam nach 65 keinen Nachwuchs mehr. Oliver Camenzind

Kino Pathe Küchlin

Legendäres Basler Küchlin am Ende

13. June 2023

Die Kinos in der Schweiz werden wieder weniger. Nach dem Alba und dem Uto in Zürich schliesst auch das Basler Pathé-Cinema Küchlin. Der Mietvertrag wäre erst Ende Juni ausgelaufen, doch jetzt ist schon Schluss. «Lieblos und ganz ohne Vorwarnung», wie es in der «Basler Zeitung» vom 9. Juni heisst, schlossen die acht Säle mit insgesamt 2117 Sitzplätzen. Ein letzter Besuch sei nicht mehr möglich, denn die Ticketautomaten stünden schon zum Abtransport bereit.

Das Kino hatte vor einer kostspieligen Sanierung gestanden, die sich laut Venanzio Di Bacco, CEO von Pathé Schweiz, nicht gelohnt hätte. Der hohe Mietpreis und das fehlende Publikum hätten diese Investition nicht erlaubt. Konkurrieren musste das Küchlin nicht nur mit Streamingdiensten, sondern vermutlich auch mit dem Arena Cinema im Stücki-Einkaufszentrum am nördlichen Rand der Stadt. Dort waren die Eintrittspreise nur gut halb so hoch wie im Küchlin.

Ein Teil des historischen Küchlin-Baus im Jugendstil ist denkmalgeschützt und fungierte in seiner hundertjährigen Geschichte als Gastgeber vielerlei Kulturveranstaltungen. Wie die Kulturstätten zukünftig bespielt wird, ist noch nicht bekannt. Insbesondere die Zukunft des Theaters im Anbau ist noch offen.

Über die Schliessung sind nicht nur Kinogänger:innen bestürzt, auch die Gastronomie macht sich Sorgen. Viele Kinobesuchende suchten vor oder nach der Vorstellung Restaurants auf. Somit fällt ein wichtiger Vernetzungspunkt in der Flaniermeile der Basler Innenstadt weg. Mel Giese Pérez

Kosmos ZFF Kino Frame

Kosmos wird zum ZFF-Kino

31. May 2023

Ein halbes Jahr lang setzten die Säle des geschlossenen Zürcher Kinos Kosmos Staub an. Nun sind die Tage der gähnenden Leere gezählt. Das Kosmos erhält ein zweites Leben und heisst neu Frame. Unter dem gleichen Namen erschien von 2014–2020 ein Filmmagazin als Beilage der «NZZ am Sonntag». Der Chef war Christian Jungen, der heutige Direktor des ZFF. So will das Festival pünktlich zu seiner Eröffnung am 28. September 2023 den Kinobetrieb wieder aufnehmen, wie Jungen mit Vertreter:innen der SBB Immobilien und der neuen Mieterin am 31. Mai an einer Pressekonferenz im Saal 1 des Kinos verkündete.

Betreiberin der Kinos sowie der zugehörigen Bar und dem Club im Parterre wird die Spoundation Motion Picture AG sein, eine hundertprozentige Tochterfirma der Neuen Zürcher Zeitung AG. Mietbeginn ist der 1. Juni. Jennifer Somm, Managing Director bei der Spoundation Motion Picture AG, zeigt sich zum Kinobetrieb optimistisch. «Selbst die Streaminggiganten setzen wieder auf Kinostarts ihrer Filme», sagt sie und verweist auf ermutigende Eintrittszahlen in den USA. «Nobody wants to follow a pessimist», ergänzt Jungen.

Inhaltlich will das Frame beziehungsweise das ZFF auf den Mix setzen, den man vom Festival kennt: «Vom klugen Blockbuster bis zum Dokumentarfilm» wolle man grosses Kino zeigen, so Jungen. Beim Betrieb habe man vorsichtig kalkuliert und glaube daran, dass schwarze Zahlen möglich sind. Man rechne mit 100 000 Eintritten für einen nachhaltigen Betrieb, so Somm.

Dies ist angesichts der insgesamt 800 Plätze umfassenden sechs Säle eine tiefe Auslastung, die die Frage aufwirft, unter welchen Konditionen das ZFF den Betrieb wird fahren können. Wie weit die SBB der neuen Betreiberin beim Mietzins entgegengekommen ist, darüber schweigt sich Alexis Leuthold, Geschäftsleitungsmitglied der SBB Immobilien, an der Pressekonferenz aus. Klar ist aber, dass das Frame die topmoderne Infrastruktur aus der Konkursmasse des Kosmos zu einem günstigen Preis übernehmen wird und daher mit einer sehr tiefen Schuldenlast startet.

Für den Betrieb des neuen Kinos werden sieben bis acht Stellen geschaffen sowie diverse Freelancer beschäftigt werden. Die Ausschreibungen finden bereits im Juni statt. Für das Restaurant und die ehemalige Buchhandlung im gleichen Gebäude suchen die SBB in Zusammenarbeit mit dem ZFF nach einem passenden Partner. Michael Kuratli

Alle gegen Netflix in Hollywoods Writers Strike

29. May 2023

Die amerikanischen Fernseh- und Filmautor:innen, die sich in der Writers Guild of America gewerkschaftlich organisieren, sind Anfang Mai in den Streik getreten. Und jetzt, nach einem Monat, dämmert der Film- und Streaming-Welt langsam, was für Konsequenzen das hat: Serien wie Euphoria, Severance, Stranger Things, Yellowjacket oder American Horror Story können nicht plangemäss weiterproduziert werden. Weil die Schreibenden ihre Arbeit ruhen lassen, fehlen die Skripte. Und ohne Skripte gibt es nun mal keine Drehs.

Die Drehbuchautor:innen sind unzufrieden mit ihren Honoraren. Geht es nach der Gewerkschaft, müssen die Streaminggiganten einen grösseren Teil ihrer Erlöse an die kreativen Köpfe hinter den erfolgreichen Filmen und Serien abtreten. Mehr Dollar pro Zeile. Aber die Produktionsfirmen weigern sich natürlich – weil sie ihr überwältigendes Angebot lieber billiger als teurer hätten.

Besonders frustriert sind offenbar die Autor:innen, die für Netflix arbeiten. Wie die «New York Times» berichtete, fühlen sich die Schreibenden von Netflix am schlechtesten behandelt. Jedenfalls war das bei einem Gipfeltreffen der Streikführung die Antwort auf die Frage, mit welchem Arbeitgeber die Autor:innen am wenigsten zufrieden seien.

Wenn sich die Gewerkschafter:innen nun für Veränderungen starkmachen, meinen sie aber nicht nur die Streamingdienste, sondern auch uns: die Abonnentinnen. Auf Pressebildern waren Streikende mit Protestschildern zu sehen, die dazu aufriefen, alle Abonnemente bei Netflix zu kündigen. Und der Plattform fernzubleiben, bis Netflix neue Geschäftspraktiken beschliesst. Selina Hangartner

05 laissezmoi

Das Wallis in Cannes

23. May 2023

Das Film Festival in Cannes gibt auch dieses Jahr internationalen Filmen eine elegante Bühne. Neben Grössen wie Pedro Almodóvar, Martin Scorsese und Alice Rohrwacher bespielt auch der Genfer Regisseur Maxime Rappaz die Leinwand. Sein Film Laissez-Moi feiert in Cannes Premiere und zeigt, dass sich eine spartenübergreifende Verknüpfung in der Filmbranche lohnt: Der Spielfilm wurde nämlich als erster Film mit der Unterstützung der Valais Film Commission realisiert.

Die Valais Film Commission (VFC) nahm ihre Arbeit im August 2022 auf, die Vorbereitung liegt aber schon über zehn Jahre zurück. Die VFC wurde ins Leben gerufen, um den Kanton Wallis zu einem international attraktiven Drehort zu machen. Schon in der Vergangenheit hat das Wallis grossen Produktionen als Kulisse gedient. Mit seinen epischen Berglandschaften und den malerischen Landschaften bietet der Kanton eine grosse Vielfalt an Schauplätzen. Rappaz’ Premiere in Cannes wirft aber nicht nur auf das Schweizer Filmschaffen ein gutes Licht, sondern auch auf die Vernetzung der VFC.

Besonders an dieser Kommission ist, dass sich die kantonalen Departemente Kultur, Wirtschaft und Tourismus zusammengetan haben, um sich gemeinsam um eine nachhaltige Förderung des Kantons zu bemühen. Doch es gehe nicht nur um eine Aufwertung des Kantons, sondern auch darum, dass die Fachleute im Film ihre Kompetenzen entwickeln könnten. Das sagte Chef der VFC, Tristan Albrecht, dem Branchenmagazin cinebulletin.ch. Die VFC unterstützt Projekte neben punktueller Förderung auch mit dem Cash-Rebate-System, bei dem bis zu 35 Prozent der im Wallis angefallenen Kosten zurückerstattet werden. Das Wallis erkennt die spartenübergreifende Förderung als Schlüsselelement in der Entwicklung der Filmindustrie und setzt in der Schweizer Kulturbranche damit neue Massstäbe. Mel Giese Pérez

Harrison Ford und die Altstars von Cannes

16. May 2023

Gemeinhin galten die Filmfestspiele in Cannes als Glaskugel der Filmindustrie: Allein der Umstand, dass ein Film an der französischen Riviera gezeigt wurde, war eine Adelung. Und wer in Cannes auch nur den winzigsten, unbedeutendsten Preis gewann, durfte damit rechnen, bald weltberühmt zu werden. Top oder Flop – in Cannes wurde Gericht gehalten über die Neuerscheinungen des internationalen Kunstkinos.

Damit ist es nun nicht mehr so weit her wie auch schon. Das Programm ist ausufernd, schon haben sich erste Filmkritiker:innen darüber beschwert. Unmöglich, auch nur von den Highlights alles zu sehen. Kein Wunder: Alle sind sie da in Cannes, von Wim Wenders über Johnny Depp, Pedro Almodovar, Michael Douglas bis hin zu Harrison Ford. Und der wurde auch noch mit dem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Alles Altstars? Ja, und erst noch alles Männer. Die bringen viele Blockbuster aus den USA mit, die ebenso gut bei anderer Gelegenheit hätten abgefeiert werden können. Schon letztes Jahr hiess es hier und dort, Cannes drohe beliebig zu werden. Zwar hatte man Wolodimir Selenski eingeladen, aber danach war schon alles wieder nett und unterhaltsam. Und in diesem Stil scheint es dieses Jahr weiterzugehen: Vom Krieg war schon gar keine Rede mehr, Politik ist wieder out. Indiana Jones dagegen ist immer noch en vogue, auch in seiner fünften Iteration.

Davon abgesehen gibt es natürlich auch dieses Jahr einige vielversprechende Arbeiten, die in Cannes gezeigt werden. So wird Aki Karusimäkis neuer Film Kuolleet Lehdet im Wettbewerb zu sehen sein und Kore-Eda Hirokazus Kaibutsu auch. Das sind zwar auch keine richtigen Neuheiten, aber was solls. Oliver Camenzind

The Super Mario Bros

Aufatmen in Frankreichs Kinos

8. May 2023

Für einmal gute Nachrichten aus der Kinobranche: Im April verzeichneten die französischen Kinos erstmals mehr Eintritte als vor der Pandemie und übertrumpften mit 2.7 Prozent gar den Jahresschnitt 2017-19. Den Ausschlag gab vor allem der Start von The Super Mario Bros. Movie, der allein für 5 Millionen Kinogänge gesorgt hat, wie BFM Business berichtet.

An den Zahlen des Centre national de la cinématographie (CNC) lässt sich auch ein anderer positiver Trend ablesen: Lag der Schnitt der Kinobesuche Anfang 2023 noch bei -26 Prozent gegenüber der Zeit vor der Pandemie, holten die französischen Kinos bis zum 1. Mai auf -13 Prozent auf. Frankreich ist damit auf gutem Weg zur vollständigen Erholung.

Die Schweiz startete im Vergleich zum westlichen Nachbarland von einem schwierigeren Stand ins neue Jahr. Die jährliche Statistik zur Schweizer Kinolandschaft von ProCinema, dem Schweizer Verband für Kino und Filmverleih, ist jedoch um Optimismus bemüht. Etwas über 9 Millionen Eintritte verzeichneten die Säle 2022 schweizweit und damit 61 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Im Tessin steigerten sich die Billettverkäufe sogar um 99 Prozent. Dass die Leute im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie aber trotz Aufhebung der Schutzmassnahmen 3.9 Millionen Mal weniger ins Kino gingen – ein Minus von 30 Prozent – bleibt die ernüchternde Tatsache, an der derzeit die harten Reserven der Kinobetreiber:innen ausbluten.

Schweizer Zahlen für den April sind zurzeit noch nicht bekannt. Hoffnung auf ein besseres Jahresresultat macht der Branche jedoch ein Peak im Januar, der mehrheitlich auf den Blockbuster Avatar: The Way of Water zurückzuführen ist.

Frankreich steht im internationalen Vergleich sehr gut da. Deutschland und Grossbritannien verzeichneten Ende letzten Jahres einen Rückgang der Eintritte um 34 Prozent gegenüber vor der Pandemie, die USA gar einen um 35 Prozent. Michael Kuratli

Metoo Harey Weinstein Backstage

Das Symptom einer ganzen Industrie

2. May 2023

Als vor wenigen Tagen, am 28. April, der «Spiegel» einen Beitrag über Til Schweiger veröffentlichte, zeigten sich wenige vom Inhalt überrascht: Der Schauspieler und Regisseur soll seine Mitarbeiter:innen am Set schikaniert haben. Schon morgens sei er vor Drehtagen so betrunken gewesen, dass Ausfälle und Attacken gegenüber der Crew am Set zugesichert waren.

Aktueller Anlass dieser Berichterstattung ist der Dreh seines jüngsten Films, Manta Manta – Zwoter Teil, bei dem Schweiger, der sowohl Hauptrolle wie Regie übernahm, oft in einem Zustand gewesen sein soll, der ein Dreh unmöglich machte. Auch davor, an den Sets von Kokowääh oder Honig im Kopf, soll Schweiger ausufernde Arbeitszeiten gefordert, selbst Kinderschauspieler:innen drangsaliert haben und gegenüber seinen Mitarbeitenden zumindest in einem Fall sogar handgreiflich geworden sein.

Der «Spiegel» hat sich mit über 50 Filmschaffenden unterhalten und mehrheitlich anonyme, aber einstimmige Aussagen zu Schweiger erfasst: «Die meisten bitten, nicht mit Namen genannt zu werden: Schweiger, der bei vielen Filmen auch selbst Regie führt, ist mächtig. Er könne Karrieren fördern oder beenden», steht in der deutschen Publikation.

Nach dem «Spiegel»-Bericht ging das Geschrei in den sozialen Netzwerken los, wo einige Schwurbler:innen vermuteten, dass Schweiger gerade jetzt kritisiert werde, da er sich in den letzten Monaten und Jahre kritisch gegenüber der Massnahmenpolitik zu Corona äusserte – und dies nun alles Teil einer inszenierten «Cancel Culture Hetzjagd» sei.

Anderswo fand die Kritik an Schweiger wiederum Resonanz. Nora Tschirner, die für die Hit-Komödien Keinohrhasen und Zweiohrküken mit Schweiger zusammengearbeitet hat, zeigt sich in einem Video-Statement solidarisch mit den Schweiger-Kritiker:innen und spricht von einem «offenen Geheimnis», das den problematischen Filmemacher umgebe.

Damit klingt sie den grösseren Kontext an, den hinter diesen Anschuldigungen eigentlich steht: Der Umgang einer gesamten Industrie, die solche Personen fortlaufend schützt. Der Schutz einer fragwürdigen Person wundert auch im Fall Schweiger nicht, hat doch auch sein Manta Manta – Zwoter Teil gerade wieder guten Umsatz in die Kinokassen gebracht.

Laut Tschirner sollen die prekären Zustände «bis auf wenige Sets» ohnehin fast überall herrschen – das Problem reicht scheinbar über Schweiger hinaus. Sie fordert in ihrem Video dazu auf, dass Verantwortliche solchen Sachen auch tatsächlich auf den Grund gehen und die Verhältnisse an deutschen Filmsets sich bessern. Und lobt den Mut jener, die sich trauen, über die halb-offenen Geheimnisse ganz offen zu sprechen. Selina Hangartner

Once upon a time in hollywood XNDT3 E Kopie

«Directors don’t get better as they get older» – Tarantinos letzter Streich

24. April 2023

Quentin Tarantino ist im letzten Monat 60 geworden. Nun kommt das Pensionsalter, und wie Fans bereits wissen (und: befürchten), naht sich fristgerecht tatsächlich das Ende seiner Karriere als Filmregisseur. Schon früh hatte er prophezeit, dass er seine Arbeit nach zehn Filmen aufgeben wird. «Directors don’t get better as they get older», hat er schon 2012 im Interview mit dem «Playboy» gesagt: Er wolle aufhören, bevor seine Filme wie Schnee von gestern seien.

Da Once Upon a Time… in Hollywood sein neunter Streifen ist, wird es nun wohl so weit sein. Gerüchte um den Inhalt seines letzten Films kursierten bis vor kurzem durchs Netz; vielleicht werde es eine Fortsetzung von Kill Bill, ein Horrorfilm oder eine brutale Version von Star Trek, spekulierte man.

Nun kommt Licht ins Dunkel: Sein «The Movie Critic» soll 1977 in Hollywood spielen – während den glänzenden Jahren des New Hollywood Cinemas. Das Drehbuch dazu sei bereits geschrieben, die Dreharbeiten sollen voraussichtlich im Herbst 2023 beginnen, wie er kürzlich in Berlin verraten hat, wo er für die Lesung seines Buchs «Cinema Speculation» diesen April angereist ist.

Anfängliche Annahmen, dass die Filmkritikerin Pauline Kael, einst wichtige Filmkritikerin des «New Yorker», Protagonistin sei, sind nicht bestätigt. Der Inhalt wird zwar noch streng vertraulich behandelt, doch Eins ist sicher: Ein Film über Filmkritiker:innen aus Tarantinos Perspektive wird ganz sicher auch wieder eine Hommage ans Kino sein.

In einer oder anderen Form wird die Koryphäe der Institution Kino ohnehin erhalten bleiben. Auch als Kinobesitzer: Tarantino gehört u. a. das legendäre Vista Theatre in Los Feliz, das nach der Krise nun endlich wieder bereit zur Neueröffnung sei und in dem sogar Projektionen in Tarantinos Lieblingsformat – in gloriosem 70mm-Film – möglich sind. Mel Giese Pérez

Maison de retraite gerard depardieu

Schwere Vorwürfe gegen Gérard Depardieu: Der Schauspieler soll Frauen vergewaltigt und belästigt haben

17. April 2023

Er ist die schillerndste Figur des gegenwärtigen französischen Films: Gérard Depardieu. In über 200 Filmen ist er aufgetreten, hat alle möglichen Rollen gehabt. Er war Obelix, Georges Danton, Auguste Rodin und Kommissar Maigret. Er war an einer Produktion von Serge Gainsbourg beteiligt, in Bertoluccis 1900 an der Seite von Robert DeNiro zu sehen und hat noch mit François Truffaut gedreht. Und Preise hat der Mann gewonnen, dass man Seiten damit füllen könnte.

Aber er war immer auch eine Zumutung, dieser Ausnahmeschauspieler. Er wollte keine Steuern zahlen, also floh er ins russische «Exil». Freundete sich mit Wladimir Putin an. Ein Weingut auf der von Russland annektierten Krim soll Depardieu gehören. Es kam ihm offenbar so vor, dass die Ukraine zu Russland gehöre. Erst nach dem Einfall der Russen in die Ukraine dachte er darüber noch einmal nach. Und änderte schliesslich seine Meinung, wie die französische Tageszeitung «Le Monde» berichtete.

Bisher entschuldige man Depardieus Ausfälle, sein Drama und all die Tiefpunkte mit seinem Alkoholismus. Im Nachrichtenmagazin «Spiegel» gab er einst an, bis zu 14 Flaschen Wein am Tag zu trinken. Darüber hinaus sei er auch den Schnäpsen nicht abgeneigt. Okay, da kann man einmal die Nerven verlieren und in ein Flugzeug pissen, sagten sich die Französ:innen. Da kann man einmal (oder, wie in seinem Fall 13-mal) vom Motorrad fallen.

Solange die Qualität seiner filmischen Darbietungen einigermassen stimmte, sah die Welt Gérard Depardieu alles nach.

Aber jetzt scheint es keine Ausreden mehr zu geben. Die französische Rechercheplattform Mediapart ist alle Produktionen der letzten 20 Jahre durchgegangen, an denen Depardieu beteiligt war. Und hat Finsteres herausgefunden. Die Aussagen von 13 Frauen wurden publik, die ihn sexueller Übergriffe beschuldigen. Er soll sie unpassend berührt haben. Begrapscht. Und dazu obszöne Kommentare gemacht haben. Ausserdem habe er während der Dreharbeiten Sexgeräusche von sich gegeben. Oder habe gerufen: «pussy, pussy, pussy!»

Das Resultat der Mediaset-Recherche ist unschön, aber nicht überraschend. Schon seit 2018 läuft gegen Depardieu ein Verfahren, in dem ihm zweifache Vergewaltigung vorgeworfen wird. Gérard Depardieu ist eine umstrittene Legende. Er hat alles weggesteckt, alles überlebt. Aber jetzt ist sein Niedergang unausweichlich geworden. Endgültig. Oliver Camenzind

Wolf of wallstreet 02

DiCaprio sagt gegen mutmasslichen Finanzbetrüger aus

12. April 2023

Wenn Superreiche ihre Jachten nach Bond-Bösewichten benennen, wieso sollten nicht auch Finanzbetrüger in einen Film über Finanzbetrüger investieren? So geschehen bei Martin Scorseses The Wolf of Wall Street. Der fragliche Investor: Low Taek Jho, der den malayischen Staatsfond um 4.5 Milliarden US-Dollar betrogen haben soll. Das Geld steckte er in diverse Projekte der us-amerikanischen High Society und die Politik, darunter auch in Scorseses Filmprojekt aus dem Jahr 2013.

Als Strohmann für diverse Investitionen in den USA fungierte Prakazrel Michel, genannt Pras, bekannt durch die Band Fugees, die ihn zusammen mit Lauryn Hill und Wyclef Jean berühmt machte. Pras soll auch die Fäden gezogen haben, um bis zu 30 Millionen US-Dollar in den Wahlkampf von Barack Obama zu schleusen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Solche Wahlkampfspenden von Ausländer:innen sind in den USA verboten. Vor Gericht wird Low Taek Jho und Pras Michel nun auch vorgeworfen, mit ihren Investitionen Geld gewaschen zu haben.

Gemäss mehreren Zeitungsberichten, darunter Forbes, hat vor kurzem auch Leonardo DiCaprio vor einem Bundesgericht in Washington eine Aussage zu den beiden gemacht. Den fraglichen Rapper habe DiCaprio Backstage an einem Konzert der Fugees kennengelernt, den malaysischen Investor mit dem lockeren Portemonnaie wiederum über Pras an einer Geburtstagesparty, wie er dort sagte. Vor Gericht sagte er zudem aus, mit Lows Privatjet und einer grossen Gruppe an Silvester von Australien nach Las Vegas geflogen zu sein. Mit dem Ziel, zwei Mal den Jahreswechsel zu feiern. Neben dem Investment in Scorceses Film aus dem Jahr 2013 soll Low auch DiCaprios Umweltstiftung gespendet haben.

DiCaprio wird vor Gericht nicht beschuldigt, sondern musste lediglich – nebst weiteren Prominenten wie Kim Kardashian – zu seinen Verbindungen zu Low Taek Jho aussagen. Was sich jetzt zeigt: Während Leo vor der Kamera den Betrüger spielte, spielte sich hinter der Kamera der wahre Betrug ab. Die Ironie ist bestechend, und Hollywood dürfte mit einer filmischen Antwort wiederum nicht lange auf sich warten lassen. Selbst wenn DiCaprio dann nicht vor der Kamera stehen sollte, eine Investitionsgelegenheit wäre es allemal. Michael Kuratli

Wird in Hollywood bald gestreikt?

5. April 2023

Geradezu unübersichtlich gestaltet sich die Menge an Serien- und Filmtiteln, die im Kino, auf Streaming-Plattformen oder im linearen Fernsehen Tag für Tag ausgestrahlt werden. Viele davon stammen aus den Federn fleissiger Hollywood-Drehbuchautor:innen. Doch bald könnte sich die Anzahl der Neuerscheinungen drastisch reduzieren: Die Writers Guild of America (WGA), die gewerkschaftliche Organisation der Schreibenden, will nächstens einen Streik ausrufen. Das ist in der Geschichte Hollywoods schon mehrfach geschehen. Das letzte Mal 2007. Damals ging es um die Erlöse aus DVDs, an denen die Autor:innen kaum beteiligt waren.

Der Ausfall war damals klar spürbar: Für 100 Tage gab es bei den TV-Sendern statt neuer Folgen Schnee von gestern. 24 etwa musste für einige Wochen aussetzen, die sechste Staffel von Family Guy fiel wegen dem Streik kürzer als geplant aus, genau wie die vierte Staffel von Lost. Erst eine Einigung mit der Alliance of Motion Picture and Television Producers, der Vereinigung der Produzent:innen, ebnete damals den Weg für frischen Content.

Ob sich gerade eine ähnliche Situation anbahnt, werden die kommenden Wochen zeigen. Dieses Mal ginge es hauptsächlich um die strukturellen Verschiebungen rund ums Streaming. Ein Problem sei, wie die «New York Times» berichtet, dass Episoden im Streaming immer länger werden, während Autor:innen mit gleichem Honorar pro Episode entlöhnt würden.

Der «walk out» würde passenderweise am 1. Mai stattfinden. Das Votum zum Streik wird unter den WGA-Mitgliedern am 11. April gegeben. Betroffen wären dieses Mal hauptsächlich jene Serien, deren Ausstrahlungstermin für den Herbst 2023 angesetzt ist, wie etwa die neueste Staffel der Sitcom Abbott Elementary. Im Kino wäre der Effekt nicht gleichermassen spürbar, weil dort in anderen Zeitdimensionen produziert wird. Die Auswirkungen wären dennoch weitläufig: So richtig unangetastet würde wohl nur das Reality-TV bleiben. Selina Hangartner

Arthouse uto baugeschichtliches archiv zürich

Zürcher Studiokinos fordern sofortige Unterstützung

28. March 2023

Das Aussterben der Kinos ist Realität geworden. Im März 2024 soll nun auch das älteste noch existierende Kino der Stadt geschlossen werden: das Kino Uto. Das denkmalgeschützte Gebäude an der Kalkbreite soll demnächst saniert werden. Seit fast zwei Wochen ist nun eine Petition in Umlauf, um den ausgelaufenen Mietvertrag des Lieblingsorts der cinephilen Zürcher:innen zu verlängern. Die Petition fordert, dass die Eigentümerin PK Rück ihren Entscheid nochmals überdenkt. Schon mehr als 6400 Personen haben die Petition unterschrieben. Dennoch komme eine Verlängerung für die Eigentümerin nicht infrage, wie zueritoday berichtete.

Ein Kinobetrieb ohne Gastronomie sei kein nachhaltiges Geschäft mehr, war das Statement von Regina Knöpfel, der Chefin von PK Rück. Es kursieren Gerüchte, dass ein Movie-Escape-Room oder ein Museum ins Uto einziehen könnten. Sicher ist bisher nur, dass das Erdgeschoss des Gebäudes einem Kulturbetrieb zur Verfügung gestellt werde, sagte die PK Rück. Die Eigentümerin will bald bekannt geben, wer das Parterre künftig bespielen wird.

Das drohende Aus der Stadtzürcher Kinos sorgte für eine Debatte über Kinoförderung. Zwar sei der Film im Allgemeinen gut vom Bund unterstützt, die Gelder flössen aber lediglich in Produktionen und unterstützen die Filmkultur seitens der Konsument:innen zu wenig, bemängelten andere Kinobetriebe.

Darum fordert die Arthouse-Gruppe nun 850 000 Franken Subventionen jährlich für Studiokinos. Die Neugass Kino AG unterstützt dieses Vorhaben. Es sei gerechtfertigt, eine solche Hilfe zu beantragen. Die Filmkultur, die das Kino ermöglicht, trage zu einer vielfältigen Kulturlandschaft bei. Dass Kinos zur Belebung der Stadt beitragen und eine Wertschöpfungskette generieren, das findet zwar auch der Stadtrat, schreibt die NZZ. Massnahmen hat die Stadtregierung gleichwohl keine beschlossen.

Dafür prüft die Fachstelle Kultur im Kanton Zürich, wie eine Soforthilfe aussehen könnte. Man spreche hier aber von einer kurzfristigen Lösung, sagte die Fachstelle zum «Tages-Anzeiger». Über langfristige Unterstützung müsse in einem anderen Kontext diskutiert werden, hiess es. Mel Giese Pérez

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Oscars für poppige Diversität

13. March 2023

Sieben Mal mussten Daniel Kwan und Daniel Scheinert eine Rede zu ihrem Film halten. Sieben Oscars, vom Besten Film über die Beste Hauptdarstellerin zur Besten Nebendarstellerin: Das ADHS-Abenteuer durch das Multiversum räumte an dieser Preisverleihung multipel ab. Ob der Film diese Ehre nun verdient hat oder nicht, daran scheiden sich die Geister. Ihre eigene Meinung können Sie sich nach wie vor im Kino bilden, auch unsere Kritik finden Sie immer zum Nachlesen.

Man kann bei jeder weiteren Oscarverleihung den Untergang Hollywoods herbeireden, oder man kann hinnehmen, dass die Academy Awards nicht die Richtschnur der Filmkunst sind. Ob Everything, Everywhere All at Once tatsächlich der beste Film des Jahres ist, kann auch das rund 10'000 Leute umfassende Jury-Gremium, das in den vergangenen Jahren stark diversifiziert und ausgeweitet wurde, nicht abschliessend beurteilen. Die Preisverleihung krankt schliesslich auch noch immer daran, dass die Nominierungen nicht divers genug ausfallen. So wurde im Vorfeld der Oscars kritisiert, dass keine Schwarze Darstellerin und keine Regisseurin für die Hauptpreise nominiert wurden.

Lesen Sie zum Thema Schwarzes Hollywood unser Interview mit der Präsidentin des Academy Museums Jacqueline Stewart. Sie schaut kritisch auf die eigene Institution und sagt Wandel ist in der Filmbranche immer eine Frage des finanziellen Erfolgs.

Klar ist aber, dass auch andere Nominierte eine Ehrung verdient hätten. Etwa Todd Field mit Tár und dessen Hauptdarstellerin Cate Blanchett. Ihre glänzende Verkörperung einer rücksichtslosen Stardirigentin wäre zweifelsohne oscarwürdig gewesen. Dass nun statt der bereits zweifach mit einem Oscar bedachten Blanchett Michelle Yeoh eine Statuette erhielt, kann – nebst ihrer guten Leistung – auch als Ausdruck des gesteigerten Bewusstseins für Diversität gewertet werden. Yeoh ist schliesslich die erste asiatische Frau, die in der 95-jährigen Geschichte der Awards einen solchen erhält.

Von der seltenen Kombination, in den vier wichtigsten Kategorien zu gewinnen, wurde Everything, Everywhere All at Once nur von Brandon Fraser in The Whale abgehalten. Für seine Leistung gewann er die Auszeichnung als Bester Schauspieler. Der Film startet diese Woche in den Kinos, lesen Sie hier unsere Meinung dazu.

Vor Freude aus dem Häuschen dürfe man diese Woche auch in Deutschland sein. Im Westen nichts Neues gewann schliesslich vier Mal, unter anderem in der Kategorie Bester Internationaler Film. Das macht die leidige Adaptation von Remarques Roman leider nicht besser, dürfte der deutschen Filmindustrie aber starke Impulse geben, vor allem, was die Zusammenarbeit mit Streamingservices wie Netflix angeht. Michael Kuratli

Gleichstellung ist noch nicht erreicht

8. March 2023

Anlässlich des Frauentags am 8. März beschwört das Branchenblatt «Variety» eine Erfolgswelle weiblicher Filmschaffender herauf. In der angelaufenen Award-Season zeichnet sich das in den USA aber kaum ab: Die Frauenquote der Oscar-Nominationen fällt mit rund 24 Prozent auch 2023 tief aus.

Und: Nominiert sind Frauen vor allem in den immergleichen Sparten, etwa fürs Kostümdesign, für das es bei den Oscars auch 2023 nur weibliche Kandidatinnen gibt. Andererseits waren in der 95-jährigen Existenz von Hollywoods wichtigstem Filmpreis nur sieben Frauen je für ihre Regie nominiert, wie «The Hollywood Reporter» berichtet. In diesem Jahr findet sich keine einzige Regisseurin in der Auswahl.

Azra Djurdjevic, Filmproduzentin und Co-Präsidentin von des Swiss Women’s Audiovisual Network (SWAN), kennt das Problem: «Stereotype Rollenbilder, unbewusste Vorurteile sowie Sexismus vor und hinter der Kamera halten sich leider immer noch hartnäckig.» Auch im Kontext der Schweizer Filmszene seien Frauen gerade in technischen Berufen untervertreten. Auf den Listen des diesjährigen Schweizer Filmpreises ist die Frauenquote wohl erfreulich hoch (Elena López Riera, Carmen Jaquier und Ursula Meier etwa treten um den besten Spielfilm an), doch unter den Nominierten ist weder eine Kamera- noch eine Tonfrau.

Was sich hinter der Kamera abspiele, setze sich vor ihr fort. Dort werden Schauspielerinnen besonders in Bezug auf ihr Alter diskriminiert: «Vor der Kamera fängt das Verschwinden der Frauen bereits mit 30 an und je älter sie werden, desto seltener sind sie zu sehen.» Auch thematisch zeige sich in der Repräsentation von Frauen nach wie vor ein beunruhigender Trend. Djurdjevic zitiert eine kürzlich unternommene Studie des deutschen Abendprogramms, die zeigte, wo der inhaltliche Fokus liegt: «Geschlechterspezifische Gewalt an Frauen ist in 34 Prozent des Programms zu finden, die Opfer kommen nur in 8 Prozent der Fälle zu Wort».

Nicht zu Wort kommen? Die Branche scheint sich in ihren Inhalten zu reflektieren, Misogynie sickert durch alle Schichten, wie es auch die internationalen #metoo-Debatten zeigen. Eine ähnliche Diskussion könnte übrigens auch in der Schweiz noch vehementer geführt werden: SWAN hat für diesen Zweck eine Plattform lanciert, auf der Erfahrungen, die in der Schweizer Filmszene gemacht werden, anonym geteilt werden können. Selina Hangartner

Metoo Harey Weinstein Backstage

Harvey Weinstein bleibt hinter Gittern

27. February 2023

Über 80 Frauen haben den Filmproduzenten Harvey Weinstein seit 2017 wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt. Der beteuert weiterhin seine Unschuld.

Im März 2020 wurde er in New York bereits zu 23 Jahren Haft verurteilt. Nun folgt aus Los Angeles ein zweites Verdikt: Harvey Weinstein muss 16 weitere Jahre hinter Gitter. Das aktuelle Urteil basiert auf der Klage eines italienischen Models, das 2013 von Weinstein vergewaltigt wurde.

Der bald 71-jährige Weinstein wird die nächsten 39 Jahre – den Rest seines Lebens – wohl nicht mehr freikommen. Das ist eine Erleichterung und ein grosser Fortschritt für Hunderte von Frauen in der Filmindustrie. So äussert sich zum Beispiel Schauspielerin Caitlin Dulany, die 1996 Opfer eines Übergriffs von Weinstein wurde, zu dem aktuellen Urteil: «Zu wissen, dass er höchstwahrscheinlich den Rest seines Lebens eingesperrt verbringen wird, erfüllt mich mit einem Gefühl von Frieden».

Dass Weinstein nach zwei Gerichtsurteilen noch immer alles abstreitet, ist absurd, und die Argumente seines Verteidigers beleuchten, wie die Strukturen in der Filmindustrie funktionieren. Er habe in 50 Jahren so viele tolle Filme produziert und Schauspieler:innen zu einer Karriere verholfen, sei gesundheitlich angeschlagen, habe Kinder und ein erfülltes Leben. Das alles solle man ihm nicht wegnehmen, sagte Weinsteins Verteidiger. Richterin Lisa Lench wies einen Antrag der Verteidigung auf einen neuen Prozess jedoch zurück.

Es mag den Frauen ihr Trauma nicht nehmen, doch der Fall Weinstein wird als wegweisend angesehen. Es ist das erste Mal, dass ein Täter mit seiner Macht tatsächlich, wenn auch erst nach Jahrzehnten des Missbrauchs, Konsequenzen erlebt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, und eine Bestätigung an alle Opfer, dass es sich lohnt, rechtliche Wege einzuleiten. Josefine Zürcher