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Baume schneider

Filmförderung – ein «Acte Citoyen»

«Die Welt existiert erst, wenn sie formuliert, in Sprache gefasst vorliegt.» In Fortführung dieses Zitats könnte man sagen, dass die Schweiz existiert, weil sie Künstler und Intellektuelle hat, die sie in Sprache fassen, sie mit kulturellem Leben, Gemeinsinn, Worten und Bildern ausstatten. Sie verhelfen ihr so zur Existenz, für sich selber, und noch besser, in der Welt. In diesem Sinn sind staatliche Hilfen zur Förderung der schweizerischen Filmkultur unabdingbar.

Text: Elisabeth Baume-Schneider / 01. Juli 2013

«… jede gesellschaftliche Krise ist eine Krise der Vorstellungskraft» (Alberto Manguel)

«Die Welt existiert erst, wenn sie formuliert, in Sprache gefasst vorliegt.»* In Fortführung dieses Zitats könnte man sagen, dass die Schweiz existiert, weil sie Künstler und Intellektuelle hat, die sie in Sprache fassen, sie mit kulturellem Leben, Gemeinsinn, Worten und Bildern ausstatten. Sie verhelfen ihr so zur Existenz, für sich selber, und noch besser, in der Welt. Das Kino ist ein Schlüsselmedium dieses In-Sprache-Fassens; es ist eine für unsere Identität und unser kulturelles Erbe konstitutive Ausdrucksform. In diesem Sinn sind staatliche Hilfen zur Förderung der schweizerischen Filmkultur unabdingbar.

Unsere kleinen Dimensionen – als Jurassierin bezeuge ich das gern – hindern uns nicht daran, in der Welt sichtbar und glaubwürdig zu sein, via unsere diplomatischen Aktivitäten, unsere Entwicklungszusammenarbeit, unsere Hochschulen, unsere Industrieprodukte von hoher Qualität, unsere Uhren, unseren Multikulturalismus. Dasselbe gilt für unser Kino. Es bezieht seine Kraft aus unseren unterschiedlichen und/oder geteilten Landeskulturen und hat einen Stellenwert, der viel bedeutsamer ist als die Grösse unseres Landes.

Unser Kino hat, dank grosser Regisseure und mutiger Produzenten, fruchtbare Perioden erlebt, besonders in den sechziger und siebziger Jahren. Obwohl die staatliche Unterstützung aktuell noch zu bescheiden ist, sind die Qualität der künstlerischen Arbeit, die Geduld und Beharrlichkeit der verschiedenen Branchenvertreter ebenso wie die neuen Modalitäten und die Überlegungen bezüglich der Förderpolitik in den Bereichen Produktion und Vermittlung recht vielversprechend.

Natürlich machen die öffentlichen Mittel, die für den Film zur Verfügung stehen, und die Reichweite unseres Marktes die nationale Produktion vergleichsweise kostspielig, solange nur hier, mit eigenen Mitteln und für das heimische Publikum produziert wird. Nebenbei gesagt, ich bin mir meiner Naivität bewusst, wenn ich von «unserem» Kino schreibe, denn gefühlsmässig existiert das Schweizer Kino nicht wirklich, wir haben es eher mit einem frankophonen, einem deutschschweizer und einem italienischsprachigen Kino zu tun. Einige meinen, dass dieses «Schweizer Kino» in einer Krise der Anerkennung steckt oder gesteckt hat. Um es zu unterstützen, müssen wir neue ergänzende Instrumente der Finanzierung, Lenkung und Vermittlung erfinden. Mich faszinieren die vielen Herausforderungen, auf die die Filmwelt in nächster Zeit eine Antwort finden muss, und es stellen sich mir Fragen in Hülle und Fülle. Ich will Ihnen hier nur ein paar davon darlegen, die mit dem Aspekt der Bildung zusammenhängen:

•  Wie präsentieren wir morgen das Schweizer Kino?

•  Welchem Publikum zeigen wir es, und wie bauen wir dieses Publikum oder diese Publika auf?

•  Wie können wir die kulturelle Vermittlung möglichst stimulierend gestalten?

Bezüglich der ersten Frage beruhigt es mich etwas festzustellen, dass das Kino – vom Quartierkino über das Multiplex bis zum Drive-in – seine Seele und seine Aura ebenso bewahren konnte wie sein Publikum. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Kinosäle in der Schweiz regional ungleich dicht verteilt sind und viele nur dank der beachtlichen Arbeit von Freiwilligen überleben.

Die zwei anderen Fragen sind für mich mit der schulischen Welt verbunden. Wenn sich Dramaturgien, Ästhetiken, Rhythmen und Technologien weiterentwickeln und Festivals ihre je eigenen Spezifitäten ausbilden, ist es für mich als Bildungsministerin offensichtlich, dass die visuelle Bildung ebenfalls neu zu erfinden und die Attraktivität des Kinos zu steigern ist, besonders im Hinblick auf das junge Publikum. Die grossartige Arbeit der Zauberlaterne ist in diesem Zusammenhang exemplarisch.

Es geht darum, pragmatisch zu experimentieren, Attitüden und Verhalten der Jugendlichen zu beobachten und unsere Angebote anzupassen. Ich möchte drei bescheidene, in mehrfacher Hinsicht überzeugende Projekte anführen. Sie helfen Jugendlichen angesichts der Bilderflut, mit der sie konfrontiert sind oder die sie überrollt, ihr kritisches Verständnis weiterzuentwickeln, informieren sie über die vielen Fertigkeiten, die es zur Realisierung eines Films braucht, und stacheln ihre Lust an, sich mit der Filmkultur auseinanderzusetzen.

Im Jura und im Berner Jura bietet das interkantonale Schulfestival «Ultracourt» Schülern aller Stufen die Möglichkeit, einen – ultrakurzen – Animationsfilm zu realisieren. Die Schüler arbeiten bei Drehbuch, Regie und Postproduktion mit Professionellen und Lehrern aus den Bereichen Bildende Kunst und Video zusammen. Ein Beispiel praktischer Vermittlung.

Im Rahmen der Vermittlungsaktivitäten des Projekts «Delémont-Hollywood», das jenen Schweizer Film auswählt, der als bester ausländischer Film bei den Oscars präsentiert werden soll, werden ab diesem Jahr und dank des pädagogischen und logistischen Supports von Cinéducation über 3000 Kinder und Jugendliche aus dem Jura, dem Berner Jura und dem Laufonnais Gelegenheit haben, mehr als zwanzig neue Schweizer Filme zu visionieren und, unterstützt von einem pädagogischen Dossier, zu diskutieren.

Für das grosse Publikum gibt es jeweils im November den «Mois du film documentaire», wo beim Plaudern in Gesellschaft von Regisseuren und Produzenten vor und nach den Vorführungen verschiedenste Themen diskutiert werden können. Das junge Publikum ist selbstverständlich zu Vorführungen am Tag eingeladen.

Sie werden verstanden haben: Ich bin vom Wert der Vermittlung durch und für das junge Publikum überzeugt. Filmkulturelle Bildung ist lebenswichtig, denn das junge Publikum ist das Publikum von morgen, und es wird ebenso anspruchsvoll wie anerkennend sein.

An uns als Citoyens ist es, den Jungen mit Initiative und der Unterstützung der öffentlichen Hand ein «Schweizer Kino» von Qualität zu bieten!

Elisabeth Baume-Schneider ist Bildungs-, Kultur- und Sportministerin der Republik und des Kantons Jura, Präsidentin der Eidgenössischen Filmkommission

Aus dem Französischen übersetzt von Lisa Heller

* Gerhard Meier: Land der Winde, Suhrkamp Verlag 1990

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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