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Mais im Bundeshuus

Schweizer Parlamentarier sind nicht gerade dafür bekannt, für Aufregung zu sorgen und Filmstoffe zu liefern. Was soll also an einem als Politthriller angekündigten Film über die «GenLex» spannend sein?

Text: Rolf Breiner / 01. Sep. 2003

Wie – dröge Politik als Dokumentarfilmthema, und dazu noch aus dem Schweizer Politalltag? Vom Grossredner und Unternehmer, der rechtslastig durch die Schweizer Politlandschaft blocht, einmal abgesehen, sind die Schweizer Parlamentarier nicht gerade dafür bekannt, für Aufregung zu sorgen und Filmstoffe zu liefern. Was soll also an einem als Politthriller angekündigten Film über die «GenLex» spannend sein?

Das konnten sich die «Filmhelden» auch nicht recht vorstellen und wurden vom Lausanner Regisseur Jean-Stéphane Bron eines Besseren belehrt. Der hatte sich schlicht vorgenommen, hinter die Kulissen zu blicken und Parlamentarier bei der Knochenarbeit zu zeigen. Kein Forum für grosse Sprüche, keine Arena für Politshows, wie sie das Schweizer Fernsehen DRS wöchentlich bietet, keine Werbeplattform. Ihn interessierten Fragen wie: Was passiert in den beratenden Kommissionen? Wie funktioniert die Legislative?

Sein Film fokussiert sich auf die Arbeit der nationalrätlichen Kommission an der so genannten Gen-Lex, die die Gentechnologie in den Griff bekommen will. Ein Thema, das Emotionen schürt – auch in der Bevölkerung.

Helden und Heldinnen

Kurz und knapp, aber kernig führt Bron die fünf Protagonisten aus der 25-köpfigen Kommission ein, die ihm quasi als Aushängeschilder dienen. Johannes Randegger (62, FDP) aus Basel markiert den knallharten Vertreter der Chemieindustrie, ein alter Löwe im Politzoo. Der Luzerner Landwirt Josef Kunz (58, SVP) ist ein bodenständiger Traditionalist, der mit Bauernschläue um seine Anliegen kämpft. Liliane Chappuis (48, SP), seit sieben Jahren Gemeindepräsidentin von Corpataux, nimmt die Position einer leisen Beobachterin mit grünem Flair wahr. Professor Jacques Neirynck (CVP) aus Ecublens, Schriftsteller, Wissenschaftler, Belgier, Franzose und Schweizer, spielt die Rolle des Unschlüssigen, des Zögerlichen und plädiert für Forschungsfreiheit. Der heimliche Star der «Auserwählten» ist die Baselbieterin Maya Graf (41, Grüne). Erst seit Juni 2001 im Nationalrat geht sie frisch und forsch ans Werk, direkt, ungeschminkt und mit spitzbübischem Charme.

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Draussen vor der Tür

Nach der knappen Einführung geht Filmer Bron in medias res. Das heisst: Sein Team bleibt draussen vor der Tür. Die Kommission tagt im Zimmer 87 des Bundeshauses. Und die Filmequipe wartet auf seine «Botschafter». In den Sitzungspausen diskutieren Teilnehmer Thesen und Taktik, mögliche Koalitionen und Winkelzüge, Voten und Prognosen. Je länger, je mehr vergessen sie die Kamera – oder tun zumindest so. Mimik und Gestik wirken echt, selbst wenn sie gespielt sein sollten. Sie kommentieren Möglichkeiten, Risiken, Vorschläge und auch Niederlagen, zeigen Freude und Frust. Man bespricht sich, berät sich, beschwört ein wankelmütiges Mitglied, knüpft Allianzen oder heckt einen Gegenvorstoss aus. Die Kamera Eric Stitzels bleibt unauffällig, registriert, wird bisweilen zum Beichtvater, dem man verschwörerisch ein Geheimnis anvertraut.

Showdown im Bundeshaus

Im letzten Teil weitet sich die Szenerie, richtet die Kamera ihr Augenmerk aufs Parlament, wo die entscheidenden Abstimmungen über Vorschläge der Kommission und diverse Anträge über die Bühne gehen. Gelingt es Maya Graf, ihr Freisetzungsmoratorium durchzubringen? Haben Randegger & Co noch Pfeile im Köcher? Setzen sich die Wirtschaftslobbyisten durch? Der Showdown läuft. Doch damit ist die Auseinandersetzung mit der industriell genutzten Gentechnologie noch nicht zu Ende. Maya Graf und Gleichgesinnte haben 100 000 Unterschriften für eine Volksinitiative zu Lebensmitteln aus gentechnischer Landwirtschaft zusammengetragen.

Die emotionell geschürte Problematik diente den Filmern als Aufhänger. Der Film zielt dabei nicht auf ein bestimmtes politisches Ziel, sondern wollte das politische Prozedere zeigen und den beratenden Prozess, der sich von Herbst 2001 bis Juli 2002 hinzog, sichtbar machen. Das ist erstaunlich spannend und einsichtig gelungen. Dramaturgisch geschickt baut der Film Spannung auf, bis zum letzten Gefecht im Nationalratssaal.

«Das kommt mir vor wie ein Polit-Western, natürlich ohne Pistolen», meint die beteiligte Maya Graf, die nach dreifacher Visionierung etwas Distanz zum Film und ihrer Darstellung finden konnte. Und rückblickend: «Ich bin ganz unbekümmert an das Thema herangegangen, habe mich eingearbeitet. Letztlich hatte ich nichts zu verlieren. Gegenpart Johannes Randegger stand dagegen unter grösserem Erwartungsdruck.» Die Baselbieterin hatte wie ihre Kollegen anfangs mit den Dreharbeiten Schwierigkeiten, bis das Vertrauen zum Filmer gefunden wurde. «Für mich war es eine wichtige Erfahrung, über so lange Zeit mit einem Filmteam zusammenzuarbeiten. Der Film zeigt die Auseinandersetzung zwischen Menschen, es gelingt ihm zu beschreiben, was und wie solche parlamentarische Arbeit abläuft.» Dabei geht man freundlich-zivilisiert miteinander um. Respekt ist hier kein Fremdwort.

Jean-Stéphane Brons Rapport erfasst Politik pur, ungeschliffen, ungeschönt, vermeintlich ehrlich. Engagement, Wille, Leidenschaft des Einzelnen werden spürbar. Demokratie in progress. Produzent Robert Boner und Regisseur Jean-Stéphane Bron bieten prächtigen Polit-Anschauungsunterricht und haben sich so um die Schweizer Demokratie verdient gemacht.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2003 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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