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Cold war  / Zimna wojna

Eine Liebesgeschichte im zerrissenen Europa und ein Film, wie man ihn im Kino so elegant, verdichtet und sinnlich kaum mehr sieht.

Text: Dominic Schmid / 26. Nov. 2018

Ein Mann sitzt spätabends in einem Pariser Café und wartet auf eine Frau. Das Türschild ist schon auf fermé gedreht, die Barfrau möchte gerne schliessen. Sie gibt dem Mann den Ratschlag, dass, wenn elle bisher noch nicht gekommen sei, sie auch nicht mehr kommen werde. In diesem Moment tritt eine Frau durch die Tür.

Seit zwei Jahren haben sich Wiktor und Zula nicht mehr gesehen. Über Ostberlin wollten sie damals gemeinsam ihr Heimatland Polen für immer verlassen und in den Westen fliehen. Gegangen ist schliesslich nur Wiktor. Sie habe das Gefühl gehabt, dass es nicht funktioniert hätte, sagt sie und meint damit nicht die Flucht. Heute haben beide neue Partner. Die Frage aber, ob sie glücklich seien, beantworten sie jeweils mit einem Schweigen. Ein paar Schritte durchs nächtliche Paris. Sie hat sich unerlaubt von ihrem Musik­ensemble entfernt, mit dem sie auf Tournee ist; er will, dass sie bei ihm in Paris bleibt. Sie möchte – oder kann – noch nicht. Es folgt ein weiterer Abschied auf unbestimmte Zeit. Mehrere Jahre werden sie sich nicht sehen – das will die Logik des Kalten Kriegs so. Da kehrt sie noch einmal um, für einen richtigen Kuss. Ob er bei den Huren gewesen sei, fragt ihn seine Freundin, als Wiktor später erschlagen nach Hause kommt. Dafür habe er kein Geld, entgegnet er kalt. «J’étais avec la femme de ma vie.»

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Cold War ist ein Meisterwerk der Verdichtung. Das betrifft auch, aber bei weitem nicht nur, seine Bildsprache, die mit dem engen Academyformat (4:3) und dem kontrastreichen Schwarzweiss Erinnerungen an die Filme genau jener Zeit weckt, in der Cold War spielt. Doch nicht nur das Bild, sondern auch die über fünfzehn Jahre erzählte Liebesgeschichte zwischen Wiktor und Zula wird unbarmherzig auf ihr Wesentliches zusammengerafft. Das führt dazu, dass der Film die Psychologie seiner zwei Hauptfiguren weder über die Handlung noch über die Dialoge gestalten kann – dafür sind die gemeinsamen Momente zu selten und zu kurz und die Ellipsen dazwischen zu gross. Vielmehr entsteht hier ein musikalisch abstrahiertes Porträt der europäischen Psyche zwischen 1949 und 1964. Wie in Casablanca – der Vergleich ist mehrfach naheliegend – geht es um zwei Liebende, die wie füreinander geschaffen sein könnten, wenn nicht immer wieder die grossen historischen Entwicklungen, die konkrete Grenzpolitik, sowie ihre verschiedenen Weisen, sich zu Heimat und Exil zu verhalten, ihre Beziehung verunmöglichen würden. Der weltgewandte Wiktor kann sich der Situation und der Kultur in Frankreich anpassen; für Zula hingegen beginnen die Probleme bereits bei der Sprache. Beide müssten, um mit dem anderen zusammen zu sein, die eigene Identität ein Stück weit verleugnen.

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Die ersten Bilder und vor allem Klänge sind noch hoffnungsvoll. Wiktor durchfährt 1949 mit seinen Partnern Irena und Kaczmarek in einem Kastenwagen voller Audioequipment die polnische Landschaft auf der Suche nach authentischer traditioneller Musik – erst zur ethnografischen Aufzeichnung, dann zur Etablierung eines Tanz- und Musikensembles. Bei einem Vorsingen irgendwo in der Provinz trifft Wiktor auf Zula, deren herausstechende Ambition und Talent vom ersten Augenblick an nicht nur ihn faszinieren, sondern auch dem Film, der bis dahin eine Abfolge von wunderschönen ethnografisch-musikalischen Momenten war, eine ganz neue Wendung geben.

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Das Glück währt nur kurz – die Mühlen der Zeit und der Politik drehen unerbittlich. Das drei Jahre später sehr erfolgreich gewordene Ensemble Mazurek bietet nicht mehr nur unschuldige bäuerliche Liebeslieder dar, sondern, nach der Suggestion eines Parteifunktionärs, auch Hymnen auf die Agrarreform. Die Idealistin Irina hat da das Ensemble bereits verlassen und dem opportunistischen Kaczmarek die Führung überlassen. In diesem Moment also will sich Wiktor zusammen mit Zula in den Westen absetzen. So beginnt die Odyssee des unglücklichen Paares durch die europäische Geschichte der Fünfzigerjahre. Die kommunistischen Hymnen, die die bäuerlichen Weisen verdrängt haben, weichen ihrerseits dem Jazz und der Filmmusik, mit denen ­Wiktor in Paris sein Geld verdient. Und als Zula dann 1957 endlich für etwas längere Zeit bei Wiktor ist, halten auch noch das französische Chanson und der Rock ’n’ Roll Einzug in den Film. Doch während Wiktor der Wechsel von der traditionellen polnischen Musik zum Jazz fast fliessend gelingt, schafft es Zula nicht, ihren Gesang erfolgreich ins westliche Register zu übersetzen. Es ist immer und zuallererst die Musik, die Cold War nicht nur den emotionalen roten Faden verleiht, sondern insbesondere das Thema der Identität auf eine nachvollziehbare Ebene hebt und dabei das Kunststück vollzieht, gleichsam musikalisch abstrakt – und damit allgemeingültig – zu bleiben.

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Da kaum je etwas ausformuliert wird und die zahlreichen Ellipsen von mehreren Jahren dem Publikum teilweise eine regelrechten Detektivarbeit abverlangen bei der Rekonstruktion der Geschichte, wäre zu befürchten, dass es sich hier um einen «schweren» Film handelt. Doch Pawlikowski hat mit Cold War ein Werk von solcher Eleganz, erzählerischer Effizienz sowie visueller und musikalischer Sinnlichkeit geschaffen, dass sich als Vergleich wirklich fast einzig die grossen historischen Melodramen der Vierzigerjahre anbieten. Cold War ist ein Film von jener Art, wie sie eigentlich schon lange nicht mehr gemacht werden. Geschichten wie jene von Wiktor und Zula wird es hingegen geben, solange es Nationen und Grenzen gibt und solange es Liebende gibt, die von diesen Grenzen getrennt werden.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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