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Ladybird 8

Lady Bird

Christine steht vor den Herausforderungen des Erwachsenwerdens mit all seinen gewichtigen und nichtigen Entscheidungen. So etwas wurde schon oft erzählt, aber vielleicht selten so präzise, witzig und doch unprätentiös.

Text: Susie Trenka / 17. Apr. 2018

«Anybody who talks about California hedonism has never spent a Christmas in Sacramento.» Mit diesem Zitat von Joan Didion beginnt Lady Bird von Greta Gerwig, die wie die zitierte Autorin aus dem «langweiligen» Sacramento stammt. In den ersten Filmminuten eröffnet die siebzehnjährige Protagonistin ihrer Mutter Marion während einer Autofahrt, sie wolle weg aus Kalifornien, an ein gutes College an der Ostküste, «where culture is». Von ihrem Leben und ihrer Umgebung explizit angeödet, erklärt sie, das einzig Interessante am Jahr 2002 sei, dass es sich um ein Palindrom handle. Mit typisch jugendlichem Verlangen sehnt sie sich danach, irgendetwas zu durchleben – «live through something».

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Die College-Ambitionen von Christine «Lady Bird» McPherson sowie der Widerstand ihrer Mutter gegen diese Pläne bilden das Handlungsgerüst des Films. Die folgenden rund neunzig Minuten erzählen episodenhaft von einem Jahr, in dem Lady Bird ungefähr das durchlebt, was vor und nach ihr unzählige Teenager schon durchlebt haben und immer wieder durchleben werden. Sie erschummelt sich bessere Noten und spielt im Schulmusical mit, bricht und versöhnt sich mit ihrer besten Freundin Julie, erlebt ersten Liebeskummer und Sex und wird vorübergehend vom Unterricht an der katholischen Highschool suspendiert, als sie an einer Antiabtreibungsveranstaltung provokativ ihre Meinung kundtut. Daneben streitet sie sich mit ihrer Mutter, mit der sie Sturheit und ein hitziges Temperament gemeinsam hat, über wichtige Entscheidungen ebenso wie über Nichtig­keiten, ­während der frisch arbeitslose Vater mit De­pressionen kämpft.

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Mit Kritikerlob und Festivalerfolgen über­häuft, ist der Regieerstling der bis anhin als Schauspielerin bekannten Greta Gerwig mittlerweile auch für Oscars in fast allen Hauptkategorien nominiert worden – verdientermassen. Dabei betritt der Film weder thematisch noch ästhetisch Neuland. Gerwig, von der auch das Drehbuch stammt, hatte offensichtlich keinen Anspruch, das Kino neu zu erfinden oder eine auch nur ansatzweise ungewöhnliche Geschichte zu erzählen. Stattdessen bedient sie das vertraute Gerüst der Coming-of-Age-Story mit einer leichtfüssigen Balance aus Ernsthaftigkeit und Humor, die nebenbei auch als Liebeserklärung an ihre Heimatstadt fungiert. Statt eines übergreifenden Spannungsbogens setzt das Drehbuch auf eine Reihe von Minidramen, wobei auch Schlüsselmomente wie die erste enttäuschte Liebe (der Junge ist schwul) als durchaus überwindbare Krisen präsentiert werden. Das Leben geht weiter, und zwischen die mehr oder weniger prägenden Ereignisse fügen sich humor- und liebevoll inszenierte Vignetten, so etwa als die Schulmädchen die kirchlichen Hostien als Pausensnack missbrauchen.

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Lady Bird ist auf jeder Ebene äusserst sorgfältig gemacht und wirkt dabei bemerkenswert unkonstruiert. Die durchweg überzeugende Besetzung schafft es, die teils höchst schlagfertigen Dialoge ganz natürlich klingen zu lassen, wobei vor allem Laurie Metcalf und Saoirse Ronan in ihren Rollen brillieren. Die beiden sind physisch und schauspielerisch derart aufeinander abgestimmt, dass man sie leicht für ein echtes Mutter-Tochter-Paar halten könnte. Nebenfiguren wie der asia­tische Adoptivbruder und die reiche Schulkameradin Jenna tragen unaufdringlich zu einem umfassenderen Gesellschaftsbild mit seinen Rassen- und Klassen­unterschieden bei. Und en passant streift die Erzählung so einiges, was die (amerikanische) Gesellschaft der Jahrtausendwende umtreibt, von 9/11 bis zur Verbreitung des Mobiltelefons.

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Auch Bildkomposition und Schnitt zeugen von viel Sinn für Humor. Details und präzises Timing und sorgen für einen effizient-flotten, aber dennoch unaufgeregten Erzählfluss, bei dem keine Szene zu lang ist. Hoch anzurechnen ist dem Film zudem, dass er das Publikum zum Schmunzeln bringt, seine Figuren aber nie der Lächerlichkeit preisgibt. Mit den von Gerwig geschilderten Herausforderungen des Erwachsen­werdens können sich wohl fast alle identifizieren. Derart perfekt und gleichzeitig unprätentiös inszeniert sind solch alltägliche Geschichten allerdings nicht alle Tage im Kino zu sehen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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