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Monos

Dauerhaft schmutzig sind die Monos, sonst erfahren wir wenig Konkretes über sie. Doch gerade in seiner Abstraktion offenbart Alejandro Landes’ Film etwas über die Bedingungen einer globalen Jugend in einer Welt ohne Morgen.

Text: Philipp Stadelmaier / 19. Aug. 2019

Sie nennen sich Rambo, Schlumpf, Lady, Wolf, Bigfoot und Bum-Bum und leben auf einem Plateau in den Bergen, inmitten von Kälte, Nebel und Schlamm. Sie arbeiten für eine «Organisation» und bereiten sich vor. Worauf? Auf eine Mission, einen Krieg, den Feind, den Tod. Es geht hart zu unter ihnen. Wer Geburtstag hat, wird vor der Gratulation von allen mit einem Gürtel verprügelt. Sie sind jung, wie jung, weiss man nicht, aber aussehen tun sie wie Teenager. Wie halbe Kinder. Sie nennen sich «Monos».

Ein Kommandant kommt zu Besuch. Ein kleines, drahtiges Kerlchen mit Waschbrettbauch und lauter Stimme, der die Monos antreten lässt, sie inspiziert und an ihre Pflichten erinnert: sich gewissenhaft auf ihre (para-)militärischen Aufgaben vorzubereiten. Der Kommandant hat eine Kuh mitgebracht. Auch sie hat einen seltsamen Namen: Shakira. Wie die Sängerin. Die Kuh, erklärt der Offizier (aber eigentlich schreit er nur die ganze Zeit), gibt Milch; wenn man sie nicht melkt, explodiert sie. Die Monos machen eine andere Erfahrung: Wenn man auf eine Kuh schiesst, stirbt sie. Sie lernen ausserdem, dass ihr Fleisch besser schmeckt als ihre Milch. In einer naturalistischen Szene wird sie zerlegt und ausgeweidet, man will ja nichts verkommen lassen. Ab diesem Punkt bricht die Gruppe auseinander. Der Anführer, Wolf, übernimmt die Verantwortung, indem er sich erschiesst. Sein Nachfolger, Bigfoot, entwickelt separatistische Tendenzen, will sich von der Mutterorganisation absetzen. Die Rohheit und Gewalt, die von den Monos ausgeht und von der Welt, in der sie leben, richtet sich in letzter Instanz gegen sie selbst.

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Was soll man mit diesem Film anfangen? Abgesehen von der Gewalt wird nichts spezifiziert – weder die Namen der «Organisation» oder der Kriegsparteien noch die «richtigen» Namen der Kämpfer_innen. Die Monos haben eine (ihrerseits namenlose) «Doctora» in ihre Gewalt gebracht, offenbar eine Geisel, für die man Lösegeld verlangen könnte, aber bis auf ein kurzes Funkgespräch der Geisel mit Leuten, die ihre Identität überprüfen, kommt es in dieser Richtung zu keinerlei Fortschritten. Wer nach einem geografischen Marker sucht, mag sich daran orientieren, dass in diesem Film des kolumbianisch-ecuadorianischen Regisseurs Alejandro Landes, der in diesem Jahr erst in Sundance und dann im Panorama der Berlinale gezeigt wurde, Spanisch gesprochen wird. Offensichtlich sind wir in einem mittel- oder südamerikanischen Land. Auf Spanisch heisst «mono» «Affe».

Alles bleibt abstrakt, alles entwickelt sich in einem abstrakten Milieu. Dieses Milieu ist die Natur: das Bergplateau und der Dschungel; die kahle Leere und die wuchernde Überfülle; darin die «Affen». Die Monos sind in engem Kontakt mit diesem Milieu, das sie überzieht wie Flechten und Moos. Sie wälzen sich im Schlamm, essen Pilze, die auf einem Kothaufen der Kuh gewachsen sind. Sie sind dauerhaft schmutzig. Der zweite Teil des Films, der im Dschungel spielt, wird, nicht zuletzt wegen des Martyriums der Doctora, zu einer wahren Tour de Force, während der man sich immerfort denkt: Eine Dusche würde jetzt allen guttun. So wird deutlich: Die Akteure sind (wie) Tiere, die auf Reize reagieren, von Impulsen gesteuert werden und mit Brutalität wenig Probleme haben. In Landes’ Film geht es mit seinen abstrakten (Deck-)Namen, die jeder eindeutigen Benennung ausweichen, sie verdecken und überlagern, um eine «Politik der Natur», um eine Politik dessen, was keinen Namen hat: eine Politik des Namenlosen, in der nicht gesprochen, sondern immerfort und brutal gehandelt wird.

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Dies erinnert an moderne Klassiker wie Joseph Loseys Figures in a Landscape (1969), in der zwei Männer von einem Hubschrauber durch eine Wüste gejagt werden, ohne dass man irgendetwas über die Hintergründe erfährt; oder an die grosse surreale Kriegsphantasmagorie Apocalypse Now (1979): Wie Captain Willard am Ende von Coppolas Film, färben sich die Monos die Gesichter schwarz und verschmelzen mit dem Dschungel, mit der Nacht, mit diesem Naturmilieu, das sie ganz und gar überzieht. Auch gibt es Momente, die die Erinnerung an Filme von Apichatpong Weerasethakul wachrufen, mit ihren Gespenstern und fluoreszierenden Tigern, vor allem wenn gegen Ende der Dschungel immer wieder durch den Viewer von Nachtsichtgeräten gefilmt wird und die Wahrnehmungen phantomhaft erscheinen. Monos ist, wie Coppolas auf Joseph Conrad basierender Film, eine Reise ins «Herz der Finsternis». Aber diese Finsternis ist nicht (mehr) die Finsternis einer Welt der Moderne mit ihren Kriegen, ihren Phantasmen, ihrer Trauer um jede Form von transzendentaler Bedeutung.

Die Monos bilden eine Gruppe, die typische Züge «toxischer» und gewalttätiger Männlichkeit aufweist. Aber es handelt sich nicht um eine reine Männerbande. Es sind Frauen darunter und queere Figuren. In einer Szene tanzen sie im nächtlichen Feuerschein und ballern in der Gegend herum. Sofort denkt man an eine Reihe anderer Filme. An Alipato (2016) von Khavn de la Cruz, mit seinen schrillen kriminellen und mörderischen Freaks in den Slums von Manila; an Bertrand Mandicos The Wild Boys (2017), mit seiner Bande «wilder Jungs», die erst ihre Lehrerin vergewaltigen und ermorden und sich später in Frauen verwandeln (und von Frauen gespielt werden). Wie in Monos gibt es auch in diesen Filmen Szenen, in denen es im Schein eines nächtlichen Feuers zu Exzessen kommt: der Freude, der Sexualität, der Gewalt.

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So partizipiert Monos an einer aktuellen Bilderwelt, in der Jugend, Diversität und Verrohung in eins fallen. Diversität ist in diesen Filmen nicht mehr etwas, was erst noch eingefordert werden muss, sondern was längst Realität ist und was sich ganz natürlich mit dem Schmutz, dem Elend, der Brutalität vermischt. Der Film erforscht die Finsternis der heutigen Welt, deren diverse Kinder in jedem Sinne Soldaten sind, Kindersoldaten, die gegen eine Bedrohung kämpfen, die ebenso abstrakt wie konkret ist. Diese Bedrohung hat sich in ihre Körper eingeschrieben und bestimmt ihre Handlungen, lässt ihre Brutalität notwendig erscheinen – aber gleichzeitig ist sie schwer zu konfrontieren. Auf einem Planeten, der der Zerstörung preisgegeben ist, sind die Monos wie Primaten, die um ihr Überleben kämpfen und die dabei in die Logik einer Zivilisation, die von der Zerstörung der Natur gesteuert wird (vom Klimawandel), nicht mehr integriert werden können. Die Natur, das ist ein Sekret, das sie überzieht und stigmatisiert, eine abstrakte politische Identität (so etwas Abstraktes wie: «Rettet den Planeten»), die sie in einen (abstrakten) dunklen, aussichtslosen Kampf ohne klar bestimmbaren Gegner schickt. Die Frage, was man mit diesem Film von Alejandro Landes anfangen soll, verdeckt eine andere: Was fängt man mit den Kindern von heute an, wenn man eine Welt vorbereitet, die kein Morgen mehr kennen soll?

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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