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Raw deal

Die reichere Hälfte des Kinos

Ursprünglich hergestellt als billiges Komplementärprogramm zu den aufwendigen Grossproduktionen des klas­sischen Hollywood gibt es
in den B‑Movies der Dreissiger- bis Fünfzigerjahre ein Kino zu entdecken, das oft viel radikaler und origineller war, als seine teureren Vor­bilder: subversiv experimentell, unbändig berührend, lakonisch knapp und mutig unwahrscheinlich.

Text: Lukas Foerster / 14. Dez. 2018

[…] Wenn heute von B-Filmen die Rede ist, so bezieht sich das zumeist auf eine bestimmte Ästhetik: B-Movies heissen Filme, die etwas reisserischer, spekulativer, tra­shiger, exploitativer, insgesamt weniger geschmackssicher, aber dafür unter Umständen unterhaltsamer daherkommen als der «ernsthafte» Rest des Kinos. Die Viennale-Retrospektive plädiert hingegen für einen historisch präziseren Gebrauch des Begriffs: Der B-Film ist filmgeschichtlich betrachtet keine ästhetische Kategorie, sondern eine produktions- beziehungsweise vor allem distributionstechnische.
Die grösseren Studios besassen eigene Kinoketten und konnten aufgrund ihrer dominanten Marktstellung auch den übrigen, unabhängigen Lichtspielhäusern ihre Bedingungen und vor allem ihr Programm diktieren. Kernstück der Vorführpraxis war das sogenannte Double Bill beziehungsweise Double Feature: Jede Vorführung bestand aus zwei in der Auswertung oft strikt aneinander gekoppelten Spielfilmen (plus Vorprogramm). Der Begriff «B-Film» ist somit erst einmal einfach nur «the second half of a double bill»: Nachdem zuerst die Hauptattraktion (das A-Movie) präsentiert wurde (meist eine aufwendige, glamouröse Produktion mit grossen, landesweit bekannten Stars in den Hauptrollen), folgte anschliessend ein zweiter Film, bei dem von den Darstellernamen über das Budget bis hin zur Laufzeit alles eine Nummer kleiner war – zumindest auf den ersten Blick.

Thecrimeofdoctorcrespi

Denn von heute aus betrachtet stellt eine ganze Reihe dieser historischen B-Filme ihre einstigen gros­sen Geschwister locker in den Schatten. Die atmosphärischen Horrorfilme des Produzenten Val Lewton wie etwa The Leopard Man und Ghost Ship oder Edgar G. Ulmers legendärer, albtraumartig zerfaserter Film noir Detour etwa sind längst weithin anerkannte Klassiker. Die Viennale-Retrospektive unternahm nun die unbedingt lohnende Aufgabe, ausgehend von solchen Fixpunkten die Welt des niedrig budgetierten Hollywoodkinos der klassischen Ära etwas umfassender zu erschliessen. Dabei wurde sogar die historische Aufführungspraxis – wenn auch interessant abgeändert – übernommen; viele der drei bis vier B-Filme, die man während des Festivals täglich sehen konnte, wurden als klug zusammengesetzte Double Features präsentiert. Man könnte diese Versuchsanordnung also folgendermassen beschreiben: Was wird sichtbar, wenn die prestigeträchtigeren A-Filme wegfallen und dafür das «second half of a double bill» verdoppelt wird?

Zunächst offenbart sich eine bemerkenswerte Vielfalt. Keineswegs – auch hierin zeigt sich, wie stark sich der B-Movie-Begriff im Lauf der Zeit verändert beziehungsweise vor allem verengt hat – geht es nur um einen Haufen spekulativer Grusel- und hanebüchener Science-Fiction-Filme. Insbesondere das klassische Horrorkino ist zwar mit mehreren hochinteressanten Titeln vertreten (mein Highlight in diesem Bereich: John H. Auers The Crimes of Dr. Crespi aus dem Jahr 1935, ein minimalistischer Schocker nach Edgar-Allan-Poe-Motiven, entschleunigt und in fast schon abstrakten Dekors inszeniert, mit einem genüsslich jede einzelne seiner ausgesucht grotesken Grossaufnahmen auskostenden Erich von Stroheim in der Hauptrolle), das Wiener Programm umfasst jedoch auch Krimis, Western, Komödien und Musicals. Also alle zentralen Genres des klassischen Hollywoodkinos. Das B-Kino ist, so gesehen, keine blosse Nische, sondern eher ein massstabverschobenes Spiegelbild des grösseren A-Kinos […]

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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